| # taz.de -- Nachruf Kurt Biedenkopf: Ein König für Sachsen | |
| > Ex-Ministerpräsident Biedenkopf gab den Sachsen wirtschaftliche Erfolge | |
| > und Selbstbewusstsein. Den Rechtsextremismus unterschätzte er. | |
| Bild: Kurt Biedenkopf beim Neujahrsempfang von Sachsens Ministerpräsident Kret… | |
| Berlin taz | Der Mauerfall öffnete ihm eine zweite Karriere. Eigentlich war | |
| Kurt Biedenkopf Ende der 1980er Jahre komplett abgeschrieben. Das | |
| Verhältnis zu Helmut Kohl war zerrüttet, als Landesvorsitzender der CDU in | |
| NRW war er gescheitert – gegen die Übermacht der damaligen | |
| nordrhein-westfälischen Staatspartei SPD kam er, der immer ziemlich | |
| professoral wirkte, nicht an. | |
| Arnold Vaatz, damals Bürgerrechtler und heute weit rechts in der CDU, holte | |
| ihn nach Sachsen, um einen ehemaligen Funktionär der DDR-Blockpartei CDU | |
| als Ministerpräsidenten zu verhindern. Es begann die Ära von „König Kurt“ | |
| als Ministerpräsident. | |
| Biedenkopf holte drei Mal eine absolute Mehrheit für die CDU. Er verstand | |
| es, die Sehnsucht des konservativen Teils der Sächsinnen und Sachsen nach | |
| einer besonderen sächsischen Identität zu bedienen und dockte an die | |
| Vergangenheit des kleines Landes als Königreich an, was für ziemlich viele | |
| ältere BewohnerInnen bis heute wichtig ist. Zur Staatskanzlei machte er | |
| einen königlichen Protzbau an der Elbe, auf dessen Dach bis heute eine | |
| goldene Krone sitzt. | |
| Für die Rolle als Sachsen-Versteher war hilfreich, dass er von 1938 bis | |
| 1945 nebenan in Sachsen-Anhalt aufgewachsen war, was er und sein Berater | |
| geschickt nutzten. Nach 1945 zog seine Familie zurück in den Westen. | |
| ## Industriestandort reaktiviert | |
| Sein Sensorium für die Schattenseiten des Landes nach der Wende war weniger | |
| ausgeprägt. Berüchtigt ist sein trotziger Ausspruch, dass die Sachsen immun | |
| gegen Rechtsextremismus seien. Das war im Jahr 2000, als die NPD bereits in | |
| zahlreichen Kommunalparlamenten saß und die Straßen der Kleinstädte in der | |
| Sächsischen Schweiz und im Erzgebirge – der Autor hat es selbst erlebt – | |
| abends den Skinheads gehörten. | |
| Eisern hielt Biedenkopfs CDU-Regierung am Dogma fest, dass die | |
| „SED-Nachfolger“ von der PDS genauso schlimm – oder schlimmer – seien w… | |
| die, die rechtsaußen stehen. Das war die sächsische Variante der | |
| Hufeisentheorie. | |
| Aber seine Popularität hatte auch einen Kern. Erfolgreich reaktivierte er | |
| die Tradition Sachsens als Industriestandort, er half bei der Ansiedlung | |
| der Chipindustrie in Dresden und machte sich für den sächsischen Standort | |
| von VW in Zwickau stark. | |
| ## Linke Ideen angezapft | |
| Der erfolgreiche Wirtschaftskurs lag auch an guten Leuten, die er in sein | |
| Kabinett holte – ein Talent, bei dem er Helmut Kohl ähnelte, der ihn, der | |
| schon mit 34 Jahren Professor für Wirtschafts- und Arbeitsrecht in Bochum | |
| wurde, in den siebziger Jahren in die Politik geholt und ihn 1973 zum | |
| CDU-Generalsekretär gemacht hatte. Kohl förderte mit Heiner Geißler, | |
| Biedenkopf und später Rita Süssmuth unabhängige Köpfe, die die | |
| intellektuell ausgetrocknete Partei wiederbeleben sollten. | |
| Der Zeitgeist in der Bundesrepublik war damals klar links – das Trio setzte | |
| etwa nicht daran, die CDU als rechten Gegenpol zu verorten, sondern zapfte | |
| linke Ideen an und übersetzte sie für die CDU. Biedenkopf saß einer nach | |
| ihm benannten Kommission vor, die die betriebliche Mitbestimmung | |
| vorantreiben sollte und deren Vorschläge später in das Mitbestimmungsgesetz | |
| von 1976 einflossen. | |
| Zusammen mit Geißler stellte er die „Neue Soziale Frage“ – und schuf dam… | |
| ein neues Schlagwort. Es ging darum, Arbeitslose, RentnerInnen mit geringem | |
| Einkommen und alleinstehende oder nicht berufstätige Frauen, die in der | |
| Sozialpolitik bis dahin kaum mitgedacht waren, mehr in den Blick zu nehmen. | |
| Die CDU, bis dahin eher ein konservativer Honoratiorenclub, musste man | |
| plötzlich wieder ernst nehmen. | |
| Als König Kurt war er ein (bei den meisten) beliebter, unangefochtener | |
| Ministerpräsident, zwanzig Jahre vorher ein scharfsinniger Analytiker, der | |
| Debatten mitprägte – nur wenige PolitikerInnen schaffen es, zwei so | |
| unterschiedliche Rollen in ihrem Leben auszufüllen. Am Donnerstag ist Kurt | |
| Biedenkopf in Dresden mit 91 Jahren gestorben. | |
| 13 Aug 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Hinck | |
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