# taz.de -- Kurdischer Familie droht Abschiebung: Protest mit Polizeieskorte | |
> Seit einem Monat sitzt eine Familie im Transitbereich des BER fest. Am | |
> Freitag soll sie in die Türkei abgeschoben werden. Den Eltern droht dort | |
> Haft. | |
Bild: Die „Sammelstelle für Abschiebungen“ am BER am Mittwochabend | |
BERLIN/SCHÖNEFELD taz | Der Protest an diesem Mittwochnachmittag am 11. | |
August beginnt nach einem kurzen Spaziergang, flankiert von Polizist*innen. | |
Auf dem letzten Teil des Weges zur Kundgebung vor dem | |
[1][Abschiebegefängnis am BER], hinter dem Gelände des alten Flughafens | |
Schönefeld, eskortiert die Polizei die Protestierenden. Ist ja | |
Flughafengelände. | |
Umgekehrt wurden früher am Tag schon die hinaus gebracht, für die dieser | |
Protest stattfindet: die kurdische Familie C., die aus der Türkei über die | |
Ukraine nach Deutschland geflohen ist. Am 16. Juli sollen die vier Personen | |
am BER angekommen sein, seitdem gelten sie als noch nicht eingereist. | |
Stattdessen werden sie im Transitbereich des Flughafens festgehalten. Am | |
Freitag um 6 Uhr sollen sie mit einer Ryanair-Maschine in die Ukraine | |
abgeschoben werden. | |
Rund 60 Menschen sind gekommen, um dagegen zu protestieren. Dazu aufgerufen | |
hatte die Berliner Gruppe „[2][No Border Assembly]“. Die Familie bekommt | |
davon nichts mit; damit sie während der Demonstration weg ist, hat die | |
Polizei sie für den Nachmittag in die Erstaufnahmeeinrichtung des DRK in | |
Wünsdorf gebracht. Als eingereist gilt sie trotzdem nicht. | |
## Zwei Anträge auf Asyl abgelehnt | |
Der erste Asylantrag der Familie sei im Schnellverfahren bearbeitet und | |
abgelehnt worden, heißt es in einer Presseerklärung des Flüchtlingsrats | |
Brandenburg. Die Bitte der Familie, vor der Anhörung eine*n Anwält*in | |
kontaktieren zu dürfen, sei ebenso abgelehnt worden. Am Nachmittag der | |
Kundgebung wird bekannt, dass das Verwaltungsgericht Potsdam auch den | |
zweiten Antrag ablehnt, dies jedoch an Bedingungen knüpft: Es müsse geprüft | |
werden, ob die medizinische Versorgung im Zielland sichergestellt sei. Ob | |
das die Ukraine oder die Türkei ist und wer das kontrollieren soll, lässt | |
das Gericht offen. Möglicherweise verzögert das die Abschiebung um ein paar | |
Tage. | |
Über Odessa war das Ehepaar C. mit seinen vier Kindern geflüchtet, zwei der | |
vier Kinder haben die Eltern laut Flüchtlingsrat dort zurücklassen müssen. | |
Der Berliner Linken-Abgeordnete Hakan Taş erklärt am Rande der Kundgebung | |
die politische Brisanz dieser Abschiebung: „Die Türkei hat mit der Ukraine | |
eine Vereinbarung, so dass es einfacher ist, sie weiter abzuschieben. Wenn | |
sie in die Türkei zurückkommen, werden sie direkt verhaftet.“ | |
Die Familie ist nicht nur kurdisch, eine Minderheit in der Türkei, sondern | |
auch politisch aktiv: Der Mann soll vor Jahren gefoltert worden, die Frau | |
in der pro-kurdischen Partei HDP aktiv gewesen sein. Die Partei sieht sich | |
in der Türkei [3][zunehmend mit Repressionen] konfrontiert, ein | |
Verbotsverfahren wurde im Juni [4][eingeleitet]. | |
Zur Kundgebung ist auch eine [5][ehemalige Abgeordnete] der HDP gekommen, | |
Sibel Yiğitalp. Gegen sie wurde in der Türkei wegen ihrer politischen | |
Aktivität ermittelt, seit zwei Jahren lebt sie daher in Deutschland. | |
„Einerseits möchte man keine Flüchtlinge aufnehmen, andererseits werden mit | |
Ländern wie der Türkei Kooperationen geschlossen“, kritisiert sie auf der | |
Kundgebung. Die Kurd*innen in der Türkei stünden unter großem Druck, so | |
Yiğitalp: „Bürgermeister der HDP werden abgesetzt.“ | |
Für das Potsdamer Verwaltungsgericht hingegen liege die politische | |
Aktivität des Mannes zu lange zurück, so der Berliner Flüchtlingsrat. Auch | |
die der Frau würde nicht ausreichen. | |
## Fall bei Bundestagsabgeordneten angekommen | |
Der Fall ist bereits in der Bundespolitik angekommen. | |
Grünen-Bundestagsabgeordnete Canan Bayram hat die Familie am Dienstag | |
besucht und sich an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und dessen | |
Staatssekretär gewandt, ohne eine Antwort erhalten zu haben: „Es ist für | |
mich nicht nachvollziehbar, warum man jetzt um jeden Preis diese Familie | |
abschieben will. Das hat nichts mehr mit maßvollem Umgang zu tun“, erklärte | |
sie gegenüber der taz. Im persönlichen Gespräch hätten alle vier | |
Familienmitglieder auf sie einen psychisch belasteten Eindruck gemacht. | |
Die Frau hat laut Flüchtlingsrat nach dem ersten abgelehnten Asylantrag | |
einen Suizidversuch begangen, wurde daraufhin ins Klinikum Neukölln | |
gebracht. Auch ihr Ehemann gilt als psychisch krank. | |
Eine Ärztin, die die beiden vor der Abschiebung untersuchte, soll daher | |
beide als nicht reisetauglich befunden haben. Daraufhin soll ein zweiter | |
Arzt hinzugezogen worden sein, der beiden die Reisefähigkeit bescheinigte. | |
„Eine sehr fragwürdige Art und Weise“, findet Bayram das, sie will dem im | |
Innenausschuss nachgehen. | |
Das Brandenburgische Innenministerium war für eine Stellungnahme nicht zu | |
erreichen. Ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ließ | |
verlauten, man könne sich „aus datenschutzrechtlichen Gründen grundsätzlich | |
nicht zu Einzelfällen im Asylverfahren äußern“. | |
Am Abend nach der Demonstration wurde Familie C. wieder zum BER gebracht, | |
so der Berliner Flüchtlingsrat. Inzwischen sei ihr das WLAN abgestellt | |
worden. | |
12 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Abschiebungsfluege-durch-Lufthansa/!5781728 | |
[2] https://noborderassembly.blackblogs.org/de/2021/08/10/kundgebung-stoppt-die… | |
[3] /Massnahmen-gegen-HDP-in-der-Tuerkei/!5386793 | |
[4] /Verbotsverfahren-in-Tuerkei/!5777414 | |
[5] /Buergerkrieg-in-Diyarbakir/!5266259 | |
## AUTOREN | |
Cristina Plett | |
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