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# taz.de -- Lübecker Synagoge wiedereröffnet: Leben unter Sicherheitsmaßnahm…
> Die Synagoge in Lübeck öffnet wieder ihre Türen. Die Nationalsozialisten
> hatten sie verwüstet, Neonazis in den 1990ern Brandanschläge verübt.
Bild: Als einzige in Schleswig-Holstein nicht in der NS-Zeit zerstört: Lübeck…
Hamburg taz | Die große Kuppel und die maurische Fassade fehlen, wenn die
jüdische Gemeinde in Lübeck die Carlebach-Synagoge wieder öffnet. Die
Nationalsozialisten hatten bis auf den Backstein alles „Fremde“ in dem
jüdischen Gotteshaus entfernt. Die Gemeinde hat über die Neugestaltung
gestritten: „Es war eine leidenschaftliche Diskussion“, sagt der
Vorsitzende der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein, Igor Wolodarski.
„Die Spuren der Geschichte wollten wir nicht verwischen.“
Die Schäden sollten sichtbar bleiben. Mehr noch: Der Verlust würde durch
einen Vergleich verstärkt, denn in der Synagoge werde ein Modell des
ursprünglichen Gebäudes ausgestellt.
Zehn Jahre nach dem Renovierungsbeschluss und sieben Jahre nach
Sanierungsbeginn konnte das jüdische Gotteshaus in der St.-Annen-Straße am
Donnerstag offiziell seine Türen öffnen. „Eine große Freude für die
Gemeinde, aber auch eine große Herausforderung“, sagt Rabbiner Nathan
Grinberg der taz.
In Schleswig-Holstein ist die 1880 eingeweihte Synagoge die einzige, die im
Nationalsozialismus nicht vollständig zerstört wurde. In der
Reichspogromnacht 1938 brannten die Nationalsozialisten das Gotteshaus
nicht ab, weil neben dem Gebäude Kunstwerke und Wertgegenstände reicher
Lübecker:innen in einem Archiv lagerten. Sie befürchteten wohl, dass das
Feuer übergreifen könnte. Allerdings verwüsteten die Nationalsozialisten
die Innenräume und zwangen die Gemeinde, das Gebäude weit unter Wert an die
Stadt zu verkaufen.
## Zum zweiten Mal angezündet
Es blieb [1][nicht der einzige Angriff auf das jüdische Leben in der
Hansestadt:] 56 Jahre nach der Reichspogromnacht brannte die Synagoge doch.
In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1994 legten Stephan W., Boris H.-M.,
Nico T. und Dirk B. an einem Seiteneingang Feuer, das einen Vorraum und
auch wertvolle Dokumente schwer beschädigte.
Im Gebäude lebte zu diesem Zeitpunkt auch eine jüdische Familie. Sie hatten
Glück, denn sie bemerkten den starken Qualm rechtzeitig und alarmierten die
Feuerwehr, die das Feuer binnen weniger Minuten löschen konnte. Die fünf
anwesenden Bewohner:innen waren außer Gefahr.
Es war das erste Mal in Deutschland nach 1945, dass versucht wurde, ein
jüdisches Gotteshaus niederzubrennen. „Lübeck wird als die Stadt in die
Geschichte eingehen, in der zum ersten Mal nach fünfzig Jahren wieder eine
Synagoge gebrannt hat“, sagte damals [2][Bürgermeister Michael Bouteiller].
Die Tat der Rechtsextremen im Alter von 19 bis 24 Jahren löste in
Deutschland und in der Welt Entsetzen aus. Am Abend des 25. März 1994 kamen
rund 200 Lübecker:innen zu einer Mahnwache vor die Synagoge, in der die
Gläubigen das Pessachfest feierten. Einen Tag später gingen unter dem Motto
„Lübeck hält den Atem an“ etwa 4.000 Menschen auf die Straße.
## Bundesanwalt ermittelt
Die damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis
(SPD) sprach von einer „Wahnsinnstat“. Der Vorsitzende des Zentralrats der
Juden in Deutschland zu der Zeit, Ignatz Bubis, nannte die rechtsextremen
Republikaner (REP) und die Deutsche Volksunion „geistige Brandstifter“ des
Anschlages.
Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen. Am Tatort führte ein
nicht gezündeter Brandsatz zu den vier Männern aus dem rechtsextremen
Milieu. Ihnen wurde außer schwerer Brandstiftung auch versuchter fünffacher
Mord angelastet. Am Ende des Prozesses im April 1995 sah das
Oberlandesgericht Schleswig aber keine gesicherte Grundlage für versuchten
Mord, weil die Täter bestritten, von der Wohnung im Obergeschoss gewusst zu
haben.
Der Vorsitzende Richter verurteilte die Täter zu Haftstrafen zwischen
zweieinhalb und viereinhalb Jahren. Am 8. Mai 1995, dem 50. Jahrestag des
Endes des Zweiten Weltkriegs, brannte es wieder auf dem Gelände. Ein
angrenzender Schuppen war angezündet worden. Die Täter:innen wurden
nicht gefunden, die Ermittlungen 1997 eingestellt. 2001 stand eine
Bombenattrappe auf dem Gelände.
Die [3][jüdische Gemeinde in Lübeck] kann jetzt nach Gottesdiensten im
Keller wieder ihren Glauben in der Synagoge leben. Aber es bleibt ein Leben
unter Sicherheitsmaßnahmen. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9.
Oktober 2019, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, hat erneut die
Notwendigkeit dafür offenbart.
15 Aug 2021
## LINKS
[1] /Brandanschlag-in-Luebeck-1996/!5741659
[2] /Interview-mit-Michael-Bouteiller/!5265978
[3] http://www.jg-luebeck.de/
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
Lübeck
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Schwerpunkt Neonazis
Brandanschlag
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Juden
Antisemitismus
IG
Unterbringung von Geflüchteten
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