# taz.de -- Zukunft des Verlags Gruner + Jahr: Gedrückte Stimmung | |
> Seit Monaten bahnt sich eine Verzahnung zwischen dem Hamburger Verlag | |
> Gruner + Jahr und der RTL Group an. Anfang August soll Klarheit | |
> herrschen. | |
Bild: Enorme Außenwirkung: Das Verlagsgebäude von Gruner + Jahr am Hamburger … | |
HAMBURG taz | „Wer weiterdenkt … erfindet seinen Beruf einfach selbst“ – | |
diesen Slogan fanden Leser*innen der Illustrierten Stern neulich in | |
einer Eigenanzeige des Verlags Gruner + Jahr (G+J). Die Reklame weist auf | |
vermeintlich ungewöhnliche Karriereerfolgsgeschichten hin, die in dem | |
Unternehmen möglich sind. | |
Seinen Beruf selbst erfinden? Keine schlechte Idee, dürften sich einige | |
Mitarbeiter*innen des Verlags mit dem Hang zum Galgenhumor beim Blick | |
auf die Anzeige gedacht haben – denn viele von ihnen haben Angst, dass sie | |
sich bald einen neuen Job suchen müssen. Seit Monaten bahnt sich eine | |
Verzahnung zwischen dem Verlag und der RTL Group an – wobei ein | |
Unternehmens-Konglomerat unter der Hoheit der Fernsehleute entstehen | |
dürfte. | |
Nach Informationen des Handelsblatts soll diesbezüglich Anfang August | |
Klarheit herrschen. Ob der Verlag „von RTL geschluckt“ wird, wie es der | |
Spiegel (an dem Gruner + Jahr 25 Prozent hält) neulich formulierte – | |
darüber entscheiden die Gesellschafter des Bertelsmann-Konzerns. | |
Vollständig zu Bertelsmann gehört G+J seit 2014; bis dato hatte noch die | |
Hamburger Verlegerfamilie Jahr Anteile gehabt. Bei der RTL Group wiederum | |
ist Bertelsmann Mehrheitseigner. | |
Kooperationen, von denen sich eher nicht sagen lässt, dass sie der | |
journalistischen Vielfalt förderlich sind, gibt es im Bertelsmann-Reich | |
schon jetzt reichlich: So druckt der Stern die Textfassung einer RTL-Doku | |
über Diego Maradona oder hebt Hape Kerkeling aufs Cover, der im | |
Bertelsmann-Fernsehen künftig den Trend zur seriösen Unterhaltung | |
verkörpern soll. Und wenn die „Bertelsmann Content Alliance“ unter dem | |
Motto „Packen wir's an! – Gesund leben. Gesund bleiben.“ eine Themenwoche | |
ausruft, sind die Buchverlage des Konzerns, diverse Zeitschriften von G+J | |
und die TV- und Radiosender von RTL am Start. | |
Quasi die personifizierte Verzahnung von Fernsehen und Verlag ist der | |
G+J-Vorstandsvorsitzende Stephan Schäfer. Diesen Posten trat er im April | |
2021 an. Zudem firmiert er bei RTL seit Anfang 2019 unter der Bezeichnung | |
„Geschäftsführer Inhalte & Marken“. Somit ist er verantwortlich für die | |
Inhalte von 13 TV-Kanälen in Deutschland. Gleichzeitig leitet er einen | |
Großverlag, der bis vor wenigen Wochen – als man sich von der französischen | |
Zeitschriftentochter Prisma Media trennte – noch im internationalen | |
Geschäft mitmischte. Das ist ungefähr so, als wäre jemand Vorstandschef bei | |
einem Profifußballclub und gleichzeitig Sportdirektor bei einem anderen. | |
Im Hamburger Stammhaus ist die Stimmung seit Januar gedrückt. Damals wurde | |
bekannt, dass das eigenständige Politik- und Wirtschaftsressort des Stern | |
in Hamburg aufgelöst wird. Seit dem 1. März gibt es eine gemeinsame | |
Hauptstadtredaktion mit dem Wirtschaftsmagazin Capital und dem Quatschblatt | |
Business Punk. Eine Bankrotterklärung für den Stern, der mal eine | |
Institution des bundesrepublikanischen Politikjournalismus war – auch wenn | |
das nun schon ein paar Jahrzehnte her ist. | |
Diese Entscheidung erschütterte das Grundvertrauen vieler | |
Redakteur*innen – nach dem Motto: „Wenn die das machen, ist nichts mehr | |
unmöglich.“ Wer sich darauf eingestellt hatte, dass es den gedruckten Stern | |
noch zehn Jahre geben wird, ist, was die Restlaufzeit angeht, nun | |
pessimistischer. Nach der Auflösung des zentralen Ressorts verließen | |
innerhalb kurzer Zeit gleich mehrere Redakteur*innen das Haus. | |
Wie ist es um das publizistische Selbstverständnis und den Zukunftswillen | |
eines Verlages bestellt, der sein namhaftestes Magazin von innen sturmreif | |
schießt? Das ist nur eine der Fragen, die die Mitarbeiter*innen von | |
G+J umtreibt. Eine andere lautet: Wird der Standort Hamburg in den | |
Zukunftsstrategien für Gruner + Jahr eine ähnliche Rolle spielen wie | |
bisher? Im Mai gab G+J bekannt, dass man, anders als vorher angekündigt, | |
nach dem geplanten Auszug aus dem denkmalgeschützten Verlagshaus am | |
Baumwall nicht Mieter in einem geplanten Mischnutzungsgebäude in der | |
Hafencity werden wird. Die Entscheidung lässt sich so deuten, dass der | |
Verlag weniger Mietfläche braucht als vorgesehen. | |
## Firmensitz am touristischen Hotspot | |
Carsten Brosda, Senator für Kultur und Medien, sagte damals zwar, | |
Bertelsmann-Chef Thomas Rabe habe gegenüber Bürgermeister Peter Tschenscher | |
ein „klares und eindeutiges Statement zum Standort Hamburg“ abgegeben. Die | |
Formulierung weckte wegen ihrer redundanten Überbetonung – Gibt es auch | |
„klare“ Statements, die nicht „eindeutig“ sind? – eher Zweifel an der | |
vorgeblichen Botschaft. | |
Was die Suche nach neuen Mietobjekten angehe, stehe die städtische | |
Wirtschaftsförderungs-GmbH Hamburg Invest im „regen Austausch“ mit dem | |
Verlagshaus, sagt Sprecher Enno Isermann, der Sprecher der Kulturbehörde. | |
Die städtische GmbH hilft Hamburger Firmen unter anderem bei | |
„Restrukturierungsprojekten“. | |
Wo auch immer in Hamburg die G+J-Redaktionen künftig zu Hause sein werden: | |
Kein Firmensitz kann auch nur entfernt die Außenwirkung des jetzigen am | |
Baumwall haben. Hier, an einem touristischen Hotspot, flanieren täglich | |
Tausende Menschen. Und, Printkrise hin oder her, es werden immer ein paar | |
Tourist*innen darunter sein, die sagen: Ach, das ist also das Gebäude, | |
in dem all die Magazine gemacht werden! | |
Über einen neuen Standort in Hamburg kann der Verlag zwangsläufig erst | |
entscheiden, wenn die Bertelsmann-Gesellschafter über die Zukunft des | |
Traditionshauses entschieden haben – und damit mindestens indirekt auch | |
darüber, wie viele Arbeitsplätze in der Stadt verloren gehen werden. Stefan | |
Endter, beim Deutschen Journalistenverband (DJV) Geschäftsführer des | |
Landesverbands Hamburg, sagt: „Für uns kommt es darauf an, dass am Ende des | |
Prozesses alle journalistischen Arbeitsplätze in Hamburg erhalten bleiben.“ | |
Protest gegen die Pläne der Oberen flammte in der Belegschaft nicht auf – | |
was zu einem Großteil den Rahmenbedingungen der Pandemie geschuldet ist. | |
Die internen Informationsveranstaltungen zu den Optionen mit RTL fanden | |
online statt. Und beim Starren auf ein paar Kacheln spürt man, anders bei | |
einer Betriebsversammlung vor Ort, die Stimmung der Kolleg*innen nicht. | |
Es entstehen keine spontanen Gespräche unter Gleichgesinnten, die | |
Vernetzung ist schwieriger. Ein Redakteur sagt resigniert: „Die Pandemie | |
hat den Hierarchen bei ihren Plänen in die Hände gespielt.“ | |
28 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
René Martens | |
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