# taz.de -- Indigene Übersetzerin in Mexiko: Die Geschichte der Malinche | |
> War die indigene Übersetzerin des spanischen Eroberers Hernán Cortés eine | |
> Vermittlerin zwischen den Kulturen? Die Erinnerung ist umstritten. | |
Bild: Indigene Tänzerin, aufgenommen 2017 in Mexiko Stadt | |
Hat die Malinche die indigene Bevölkerung Mexikos verraten? Oder war sie | |
eine brillante Frau und Mediatorin zwischen den Kulturen, die zum Opfer der | |
Verhältnisse wurde? | |
Lange Zeit bestanden kaum Zweifel, dass die Weggefährtin des spanischen | |
Eroberers Hernán Cortés große Verantwortung für den Fall der | |
Aztekenhauptstadt Tenochtitlán im August 1521 trug und deshalb eine | |
Verräterin für „ihr Volk“ war. | |
Selbst in der Umgangssprache hat sich diese Sicht auf die Frau | |
durchgesetzt, die als Tochter einer indigenen Familie zur Welt kam. Als | |
„malinchista“ werden Personen bezeichnet, die ausländischen Interessen mehr | |
Bedeutung zumessen als den mexikanischen. In der nationalistisch | |
orientierten Gesellschaft des Landes dürfte es wenig Schimpfworte geben, | |
die schwerer wiegen. | |
[1][Der Vorwurf gegen „La Malinche“,] die auch Malintzin, Malinalli oder | |
Doña Marina genannt wird, hat einen ambivalenten Hintergrund. Ohne sie wäre | |
Cortés möglicherweise im Kampf gegen den aztekischen Machthaber Moctezuma | |
gnadenlos untergegangen. Zunächst war sie als Sklavin bei dem spanischen | |
Eroberer gelandet, später begleitete sie ihn bei seinen Feldzügen, | |
übersetzte bei Verhandlungen und bekam mit ihm ein Kind. | |
## Kritik der Historiker und Feministinnen | |
Das alles bot die Grundlage für ihre Zuschreibung als „Verräterin“ und | |
„Prostituierte“, die sich im und nach dem Unabhängigkeitskampf im 19. | |
Jahrhundert durchsetzte. Ausgerechnet die weißen Eliten, die Nachfahren der | |
ersten Konquistadoren, stärkten diesen Diskurs, um Mexiko vom „Fremden“ als | |
Nation abzugrenzen. | |
Einige Feministinnen und Historiker kritisieren diese Zuschreibung schon | |
lange, da sie zum Ziel habe, die historische Bedeutung indigener Frauen | |
unsichtbar zu machen. Blickt man genauer auf das wenige, was von Malintzin | |
bekannt ist, ergibt sich das Bild einer intelligenten sprachbegabten Frau, | |
die wissentlich oder gezwungen die weibliche Rolle in den Gesellschaften | |
der Mexicas, Totonaken und Mayas radikal infrage stellte. | |
Da sie Cortés als Übersetzerin und Vermittlerin diente, nahm sie an seinen | |
Verhandlungen mit den mächtigsten Männern teil. Das stieß bei den indigenen | |
Herrschern auf großes Befremden, wie der Film „Malintzin, die Geschichte | |
eines Rätsels“ zeigt. | |
## Die komplexe Geschichte der Kolonisierung | |
In der Person Malintzin spiegelt sich die Komplexität der Kolonialisierung | |
wider. Die Indigene hatte allen Grund, mit den Spaniern gegen Moctezuma zu | |
kooperieren, schließlich kam sie von einem Volk, das von den in | |
Tenochtitlán herrschenden Mexicas unterdrückt und ausgebeutet wurde. | |
Nicht anders erging es den Totonaken und der Bevölkerung der Region | |
Tlaxcala, die sich mit Hilfe der Malinche mit den Konquistadoren gegen | |
Moctezuma verbündeten. Ohne diese Allianzen hätte Cortés keinen Stich | |
gemacht – und ohne Malintzin wären sie wohl nicht zustande gekommen. | |
Die Kritik an der diskriminierenden Zuschreibung der Malinche ist auch bei | |
der Regierung angekommen. Vergangene Woche wurde im ehemaligen Tenochtitlán | |
und heutigen Mexiko-Stadt an die Eroberung vor 500 Jahren, am 13. August | |
1521, erinnert. Neben der Ruine des aztekischen Tempels, auf dem seit | |
Jahrhunderten eine Kathedrale thront, inszenierte die Regierung eine | |
Sound-und-Licht-Show über das Leben in der Aztekenmetropole. | |
## Die negierte Bedeutung der indigenen Frauen | |
Präsident Andrés Manuel López Obrador bezeichnete die Kolonialisierung als | |
Katastrophe, und die Hauptstadtbürgermeisterin Claudia Sheinbaum | |
kritisierte die Stigmatisierung der Malinche. Man wolle die Bedeutung | |
indigener Frauen in der Gesellschaft insgesamt hervorheben und müsse im | |
Konkreten mit ihr anfangen, sagte sie. | |
Ob dieser Vorsatz jenseits des Spektakels in Mexiko-Stadt bei den | |
Nachfahren der Opfer der Eroberung Tenochtitláns ankommt, muss sich erst | |
noch zeigen. Denn auch wenn die Malinche als „Vermittlerin zwischen den | |
Kulturen“ interpretiert wird, begegneten sich diese Kulturen natürlich | |
nicht auf Augenhöhe. Daran hat sich bis heute nichts geändert. | |
19 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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