| # taz.de -- Bürgermeister zieht Bilanz: „Wir sind überall zu langsam“ | |
| > Die Stadt Konstanz war die erste, die den „Klimanotstand“ ausgerufen hat. | |
| > Was hat sich seitdem klimatechnisch getan am Bodensee? | |
| Bild: Wunderschön gelegen: Konstanz am Bodensee. Auch ein Paradies für Stand-… | |
| taz: Herr Burchardt, vor zwei Jahren hat Konstanz als erste deutsche | |
| Kommune den [1][Klimanotstand] ausgerufen. Was hat das gebracht? | |
| Ulrich Burchardt: Den ersten Jahrestag konnten wir wegen Corona nicht | |
| begehen, zum zweiten haben wir in diesem Jahr die Stadtwandel-Aktionstage | |
| durchgeführt und soeben einen neuen Sachstandsbericht zum Klimaschutz | |
| vorgelegt. Wir haben in den zwei Jahren vor allem ein sehr ambitioniertes | |
| und sehr konkretes Ziel beschlossen: [2][Konstanz will bis 2035 weitgehend | |
| klimaneutral sein]. Und zwar ohne Schönrechnen, wie es andere tun, und | |
| überprüft und begleitet vom ifeu-Institut in Heidelberg. Wir kennen das | |
| Ziel, aber noch nicht den genauen Weg und auch nicht, wie wir ihn | |
| finanzieren wollen. Wenn die Fridays for Future gesagt haben: „Wir wollen, | |
| dass ihr springt“, haben wir das getan. Kopfüber. | |
| Welche ganz konkreten Maßnahmen haben Sie beschlossen? | |
| Die Liste ist lang, wir haben mehr als 70 Maßnahmen von der Dämmung der | |
| Häuser bis zur Förderung des Radverkehrs. Aber wir merken auch, dass alle | |
| BürgerInnen beim Ziel dabei sein müssen: Uns gehören als Stadt nur 3 | |
| Prozent der Gebäude, die anderen 97 Prozent müssen aber auch mitmachen. Und | |
| wir merken, dass es schwierige Themen gibt, wo die Lösung nicht einfach | |
| ist. Ein Beispiel: Eigentlich brauchen wir eine zweite Gasanbindung an die | |
| Schweiz, um die gesetzlich vorgeschriebene Versorgungssicherheit | |
| gewährleisten zu können. Aber die Klimaschützer sagen: Ihr könnt doch nicht | |
| ernsthaft eine neue Gasleitung bauen. Beide Positionen sind legitim. Wir | |
| haben deshalb ein Institut beauftragt, das noch mal durchzurechnen und | |
| Alternativen zu nennen. | |
| Wie sehr haben Sie die Emissionen reduziert? | |
| Wir haben viel getan: Häuser gedämmt, ein neues Blockheizkraftwerk in | |
| Betrieb genommen, das für 100 bezahlbare Wohnungen gebaut wurde und nun 600 | |
| Haushalte effizient mitversorgt. Da sinken die Emissionen um 40 Prozent, | |
| das ist nicht klimaneutral, aber ein großer Schritt. Wir haben ein | |
| Jugendhaus energetisch saniert und den Energieverbrauch um das | |
| Dreizehnfache verbessert. Der 7er-BMW als Dienstwagen für den OB ist | |
| abgeschafft, ich fahre jetzt E-Bike, der Fuhrpark wird nach und nach auf | |
| E-Autos umgestellt. Wir bauen einen klimapositiven Stadtteil mit 3.500 | |
| Wohnungen auf 60 Hektar, das ist richtig groß für Konstanz. Und wir | |
| diskutieren darüber, einen Klimabürgermeister einzuführen. | |
| Das sind Einzelmaßnahmen. Aber können Sie sagen, wir waren vor zwei Jahren | |
| bei X und jetzt bei X minus soundso viel Prozent? | |
| Nein, das können wir nicht, weil wir das X nicht kennen. Wir müssen erst | |
| mal berechnen, wie hoch unser CO2-Ausstoß als Stadt oder bei den | |
| Stadtwerken überhaupt ist. Diese Messbarkeit ist sehr wichtig. Wir wollen | |
| eine Statistik aufstellen: Wie hoch sind die Emissionen, wie schnell gehen | |
| sie runter, welche Maßnahmen bringen wie viel. Das wird verknüpft mit einem | |
| Klimafonds, in den die Bürgerschaft einzahlen kann, um Maßnahmen zu | |
| finanzieren. | |
| Das klingt bisher nur wie ambitionierte Klimapolitik. Welchen Unterschied | |
| macht da der Notstand? | |
| Der Druck auf uns ist enorm. Alle schauen auf uns, gefühlt, und sagen: Was | |
| macht ihr jetzt? Es war Zufall, dass wir die erste Stadt waren, und wir | |
| merken, dass wir viele Pionierentscheidungen treffen. | |
| Was sind die großen Brocken? | |
| Der Absenkpfad für unsere Emissionen geht ab jetzt steil nach unten. Wir | |
| sehen: So weit müssen wir nächstes und übernächstes Jahr sein, das ist | |
| heftig, wenn man sich das konkret ansieht. Wir sind ja auch alleiniger | |
| Eigentümer der Stadtwerke und haben 2020 mehr als 1 Million kWh Erdgas | |
| geliefert. Das muss also ersetzt werden, da laufen wir auf ganz schwierige | |
| Entscheidungen zu. Und wenn wir Parkplätze streichen wollen, geht die | |
| Diskussion manchmal auch kräftig los. | |
| Notstand hieß ja auch, jede Entscheidung zu überprüfen, was sie | |
| klimapolitisch bedeutet. Was hat das bewirkt? | |
| Jede Vorlage im Gemeinderat wird untersucht: Ist die Entscheidung | |
| klimarelevant? Wenn ja, muss das dargelegt und kann öffentlich diskutiert | |
| werden. Also wenn beispielsweise das Schulamt sagt, wir brauchen Luftfilter | |
| in den Klassenräumen, müssen wir das bewerten. | |
| Luftfilter heben den Stromverbrauch. | |
| Ja, die haben einen großen Strom- und Ressourcenverbrauch. Wir können das | |
| dann erst mal nur feststellen. Und wir sehen: Wir produzieren viel zu wenig | |
| Strom selbst. Wir sind ja eingeschränkt, weil wir in Konstanz zu wenig | |
| Flächen haben: Wir sind begrenzt durch den Bodensee und die Schweiz, und | |
| auf unserer kleinen Gemarkung gibt es viele Naturschutzgebiete. Dann kommt | |
| noch der Denkmalschutz. | |
| Wieso der Denkmalschutz? | |
| Eines der großen Probleme bei der Klimaneutralität, Stichwort Dämmung, | |
| Stichwort Photovoltaik: Die Konstanzer Uni macht Photovoltaik zum Beispiel | |
| nur in homöopathischen Dosen, weil der Denkmalschutz dagegen ist. Auch auf | |
| den riesigen Kirchendächern geht bisher gar nichts. Aber so funktioniert | |
| das nicht. Da müssen wir ganz neue Wege gehen. | |
| Welche Auswirkungen der Klimaänderungen sehen Sie in Konstanz? | |
| Beim Beschluss des Klimanotstands hatten wir gerade den Dürresommer 2018 | |
| hinter uns. Im stadteigenen Lorettowald haben wir stellenweise Kahlschlag | |
| an riesigen uralten Buchen machen müssen, die waren nicht zu retten wegen | |
| der Trockenschäden. 2018 wurde auf dem Rhein die Schifffahrt eingestellt, | |
| zu wenig Wasser. Und das Wasser war so warm, dass viele Fische gestorben | |
| sind, das war richtig krass, die trieben tot durch den Rhein. Selbst der | |
| tiefere Obersee stand kurz vor einem Fischsterben. Es hieß, ein halbes Grad | |
| mehr und das ist für viele Fische das Ende. Dann kamen zum Glück ein paar | |
| große Gewitter, die alles umgerührt haben. Man konnte es auch fühlen: Der | |
| See war einfach viel zu warm. | |
| Hatten Sie Probleme mit Starkregen wie bei der Flutkatastrophe im Westen? | |
| Wir haben große Niederschläge, aber wir sind nicht so bedroht wie an der | |
| Ahr. Wir haben wenige Zuflüsse und eine riesige Oberfläche. Der Bodensee | |
| ist gutmütig und hat riesige Ausweichflächen. Selbst wenn das Wasser | |
| steigt, heißt das bei uns: Morgen wird vielleicht eine Warnmarke erreicht, | |
| dann können wir übermorgen die Sandsäcke füllen. | |
| Es wird diskutiert, ob Klimaschutz eine Pflichtaufgabe der Kommunen werden | |
| soll. Was ist Ihre Meinung? | |
| Das ist denkbar, muss aber finanziert werden. Man kann nicht einfach sagen, | |
| die Kommunen sollen mal machen. Aber vielleicht würde uns so eine Regelung | |
| mit der richtigen Finanzierung endlich zu Fortschritten beim Windausbau, | |
| den Radwegen, Tempo 30 oder dem Bauen mit Holz bringen. Bisher steckt da | |
| vieles fest, nichts geht wirklich gut voran. | |
| Hilft die grün geführte Landesregierung da? | |
| Baden-Württemberg muss zugestehen, dass wir im Klimaschutz nicht wesentlich | |
| weiter sind als andere Länder. Wir sind überall zu langsam, das ist zum | |
| Verrücktwerden. Auch wenn es hart klingt: Unsere Landesregierung ist auch | |
| nur eine normale Landesregierung. | |
| 9 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Bernhard Pötter | |
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