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# taz.de -- Hommage an Esther Ofarim: Mit einer gewissen Unverzagtheit
> 80 Jahre ist die israelische Sängerin Esther Ofarim jüngst geworden. Ihr
> Auftritt vor den Toren Hamburgs ließ vergangene Zeiten lebendig​ werden.
Bild: Stimmlich in bester Form: Esther Ofarim
Ein halbtropischer Auftritt, einer ihrer raren, in einem Bootshaus direkt
an der Elbe. Es könne gewiss stark regnen, sagte der Mann vom gastgebenden
Schleswig-Holstein Musik Festival, dann werde es aufs Dach prasseln – aber
höchstens zehn Minuten, da sei er sicher. Er war eine Spur nervös, das
Wetter sollte bloß nicht diesen Coup eintrüben: Diese Künstlerin für diesen
Sommerreigen klassischer Konzerte (gern auch in Scheunen und auf schick
gemähten Wiesen) gewonnen zu haben. Sie geht nicht überall hin.
Die Künstlerin ließ sich nicht beirren, und als sie auf die Bühne kam,
prasselte nur der Beifall: Esther Ofarim, rote Haare, freundliches Antlitz,
gehüllt in eines der schönsten Kleider, das sich für diesen schwülen Abend
nur denken ließ: ein schwarzes, gazeangeknittertes Stück Stoff, in dem sie
mit ihren knappen Bewegungen eine gewisse Eleganz zeigte, sehr cool,
ungebügelt fein.
80 Jahre ist Ofarim im Juni geworden, hier im Schuppen 1 des mächtigen
Bootshauses an der Elbe wirkt sie, als könne solch ein Alter nur in Würde
und Anmut gelebt werden. Es riecht am Veranstaltungsort nach echter
Bootskultur, in der Luft liegt weniger Parfum als ein Duft von Ölen und
Teer. Die Ofarim aber, ist sie den Jüngeren noch ein Begriff? „Meine Mutter
hörte das so gern“, „Meine Oma hat ihre Platten“, „Mein Opa erzählt v…
ihr“ – so sagen sie über eine Frau, die in den 1960ern das erste Mal eine
Berühmtheit wurde, als Sängerin, oft zusammen mit ihrem damaligen Mann Abi
Ofarim.
Geboren wurde sie 1941 in Safed, einem jüdisch-frömmlerischen Ort oberhalb
des Sees Genezareth, es war noch kein Staat Israel, dafür britisches
Mandatsgebiet. Kind einer jüdischen Familie, eingewandert gerade aus
Syrien, gesegnet mit einer klaren, in allen Höhen und Tiefen sicheren und
zugleich kräftigen Stimme. Esther Ofarim hatte da und dort mit ihrem Mann
Abi in Israel Erfolge, aber für Größeres mussten Grenzen überwunden werden.
Eine Nebenrolle in Otto Premingers zionistischer Kinoarbeit „Exodus“ als
Esther Reichstat (wie die Ofarims eigentlich hießen), neben Paul Newman und
Eve Marie Saint. Auftritte bei Festivals, 1963 gar sie allein mit [1][„T’en
va pas“] für die Schweiz beim Eurovision Song Contest und danach immenses
Interesse der Musikindustrie.
So ein Paar, vor allem so eine Sängerin, fehlte für ein Publikum auch in
der Bundesrepublik, das weder auf Beat stand noch auf Schlager. Die
Ofarims, das war dieser gewisse Sound erwachsener Musik, der politische
Stücke ins Geschmackvolle, ins Liedguthafte übertrug. Odetta, Nina Simone,
Miriam Makeba, Nana Mouskouri, sie alle interpretierten die Songs der
politisch aufbrüchigen 60er Jahre, machten Folk ohne Hippieappeal – und
Esther Ofarim war unter ihnen noch ein eigenes Elysium. Auftritte in den
USA, in Europa, in Japan oder Australien: Sie war, obgleich nie offiziell,
auch Botschafterin Israels, dieses Staat gewordenen Verständnisses vom
Überlebenwollen um jeden Preis nach dem Holocaust.
Am Montagabend, der intensive Schauer vom Himmel hatte ein Ende gefunden,
war diese Zeit durch das Programm Ofarims so lebendig, dass dem Publikum
eine Seligkeit in den Gesichtern stand. Nach [2][„My Fisherman My
Laddie-O“] kam „Dirty Old Town“. Dann, eine Verneigung vor dem von ihr
verehrten Leonard Cohen, das neuere „[3][Hallelujah]“, einige Stücke auch
von Yoni Rechter, ihrem Bandleader aus Israel, mal getragen, dann wieder
lustig albern wie in „Drunk“. Dann, das einzige Lied auf Deutsch, „Suraba…
Johnny“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill (von ihnen etwas später auch
„Moon of Alabama“, linkes Schlagerliedgut mit allerbester Kredibilität).
„Scarborough Fair“ von Simon & Garfunkel hatte sie ebenfalls im Programm,
schließlich abermals Cohen, sein „Bird on the Wire“ bekam durch ihre
Interpretation eine gewisse Unverzagtheit.
Stimmlich war sie, was in ihrem Alter bei anderen Künstler*innen
keineswegs selbstverständlich ist, in bester Form. Ihre Höhen nur
gelegentlich zurückhaltender als einst, ihre Tiefen wärmer denn je – vor
allem aber ihre Kraft verblüffte. Es mögen tausend Zuschauer*innen im
Wedeler Bootshaus vor Hamburg gewesen sein, die vor Glück mit Beifall
großzügig umgingen. Die Ofarim gab nach der spektakulär in den
Klatschillustrierten ausgetragenen Trennung von ihrem Mann Abi in den
späten 60er Jahren ja nur sehr wenige Konzerte, ob in Israel, wo sie
manchmal als Heimkehrerin, dann wieder als „zu deutsch geworden“
kommentiert wurde, oder in Deutschland.
An diesem Abend hatte sie offenkundig Lust, einen Liederreigen zu
präsentieren, der auch als Testament ihrer frühen Zeit interpretiert werden
kann: Wir alle singen und verstehen die Lieder vom Frieden, von Aussöhnung,
vom Verstehen, von der Melancholie wie der Fröhlichkeit. Wir kommen als
Welt zusammen!
Sie war ja kein Hitparadenstar, obwohl „[4][Cinderella Rockefella“], ein
kabarettoides Couplet, ein heiteres Stück, das international in vielen
Charts sehr weit oben lag, Pop in jeder Hinsicht war. 1969 spielte sie in
dem Krimi-Dreiteiler „11 Uhr 20“ (mit Hans-Joachim Fuchsberger, Gila von
Weitershausen), einem „Straßenfeger“ wie man damals sagte, eine
geheimnisvolle Sängerin namens Miriam, die in der Kasbah ein Lied singt –
und die man zehn Filmminuten später als Leiche wiedersieht. Sie war ein
Darling der relevanten Musikshows, die immer irgendwie den Titel „Gala“
trugen und internationaler waren als die heute üblichen Shows in ARD und
ZDF.
Sie war so angebetet, dass die Bee Gees sich ausbaten, für sie ein Lied
komponieren zu dürfen. Was sie durften, die drei australischen Brüder und
die Ofarims kannten sich aus Großbritannien. Heraus kam ein kanonischer
Kracher in wehmutsstiftender Absicht namens [5][„Morning of My Life“] –
eine Ode an die Zeit der jungen Jahre, die appelliert, nicht alles sofort
zu wollen und geduldig zu bleiben; ein Leben sei lang und biete viele
Möglichkeiten. Die Ofarim gab dieses Lied als Zugabe, hinreißend rund
gesungen, abermals ehrerbietig freundlichster Beifall.
Sie lebt im Übrigen seit Jahrzehnten in Hamburg, dort blieb sie hängen, im
früheren jüdischen Viertel an der Alster, aus privaten Gründen. Und das war
auch ganz naheliegend, denn die Stadt hat ihr ja immer besonders den Hof
gemacht. In den 80er Jahren begann in Deutschland, die Generation der
Sixties war nicht mehr jung, ihre nächste Karriere: Eine Hauptrolle in
Joshua Sobols Holocaust-Musical „Ghetto“ unter der Regie Peter Zadeks; in
weiteren Rollen der sehr junge Ulrich Tukur, dazu Giora Feidman mit seinem
deutschen Bühnendebüt – und eben die Ofarim.
Es war die Zeit, als israelische Stimmen noch gern gehört wurden, ohne
zeitgleiche Forderung nach Verdammnis der politischen Zustände. Die
Theaterkritik, die sich ohnehin schwer tat mit dem Sobol-Stück, kulminierte
seinerzeit zu einem kleinen Skandal (Darf man aus dem Holocaust ein Musical
machen?), sowohl in Westberlin bei der deutschen Uraufführung, als auch
später in Hamburg am Schauspielhaus. Aber das Musical wurde ein Blockbuster
des Bildungstheaters, und die Ofarim Vorstellung für Vorstellung besonders
mit Beifall bedacht.
An diesem halbtropischen Abend in Wedel schien es, als wäre die Ofarim mit
80 Jahren so gut gelaunt, so freundlich, so smart und fein wie nie. Sie
musste nichts beweisen, und das hat ihr Konzert auch zu einer Art
Geburtstagsdank gemacht. Mit einem kleinen Winker ging sie ins Off, nicht
erschöpft, eher: erfrischt.
2 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=kDYMzyREGCI
[2] https://www.youtube.com/watch?v=JD0fSKQpgqk
[3] http://Hallelujah
[4] https://www.youtube.com/watch?v=GhkpcWNdob0
[5] https://www.youtube.com/watch?v=j_CtNJK4bu0
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
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Chanson
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Moderne Kunst
Sängerin
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