# taz.de -- Stocken der Psychiatriereform: Schluss mit der Anstalt | |
> Viele psychisch kranke Menschen sind mit ambulanter Hilfe besser dran als | |
> mit einer Einweisung in die Psychiatrie. Doch der Reformprozess stockt. | |
Bild: Die medikamentöse Behandlung psychischer Erkrankungen ist nicht immer di… | |
Seit 50 Jahren soll in Deutschland die Versorgung von psychisch kranken | |
Menschen verbessert werden. Weg von einem sedierten Verwahren in Anstalten, | |
hin zu wohnortnahen Angeboten, die einerseits Heilungsprozesse befördern | |
und andererseits ein gutes, selbstbestimmtes Leben mit der Krankheit | |
ermöglichen. | |
Doch der Reformprozess kommt nur langsam voran und ist in vielen Regionen | |
ganz stecken geblieben, darunter ausgerechnet in Bremen, einst Vorreiterin | |
der Psychiatriereform. 2013 hat dort sogar das Landesparlament | |
beschlossen, dass es so nicht weitergeht und einen Zeitplan vorgelegt, wann | |
welche Schritte umgesetzt sein sollen. Doch auch das brachte nicht den | |
gewünschten Impuls, stattdessen lag Bremen vier Jahre später an der | |
[1][Spitze der bundesweiten Tabelle bei medikamentösen Zwangsbehandlungen] | |
und Fixierungen. | |
Jetzt liegt die Hoffnung auf Martin Zinkler, dem neuen Chefarzt der | |
kommunalen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Er hat auf seiner | |
vorherigen Stelle im schwäbischen Heidenheim bewiesen, [2][dass eine andere | |
Psychiatrie möglich ist]. Voraussetzung dafür ist eine Einigung mit den | |
Krankenversicherungen. Denn die zahlen gut für die stationäre Versorgung | |
und schlecht oder gar nicht für ambulante Angebote. | |
Ein Ausweg sind regionale Budget-Verträge, bei denen die Versorger nicht | |
nach den Krankenhaus-Fallpauschalen abrechnen, sondern das Geld dort | |
einsetzen, wo es die Patient*innen brauchen. Solche Verträge gibt es | |
nicht nur in Heidenheim, sondern auch in mehreren Landkreisen in | |
Norddeutschland. | |
## Behandlung aus freien Stücken | |
Zinkler will aber noch mehr. Er hat die Vision, dass sich Menschen in | |
Zukunft [3][aus freien Stücken für eine Behandlung entscheiden können, ganz | |
ohne Zwang, und so, wie sie zu ihnen passt]. Das aber setzt eine | |
Gesellschaft voraus, die nicht Verantwortlichen und Mitarbeiter*innen | |
des Gesundheitssystems sagt: „So, jetzt macht mal schön, diese Berichte | |
über an Betten fixierte und mit Medikamenten ruhiggestellte Menschen wollen | |
nicht mehr lesen, das verdirbt einem ja den Morgenkaffee.“ Sondern den | |
eigenen Umgang mit psychischen Krankheiten auf den Prüfstand stellt. Darf | |
es sie überhaupt geben? Ertragen wir es, der Tatsache ins Auge zu blicken, | |
dass Menschen an und in dieser Welt verrückt werden? | |
Denn psychische Erkrankungen entstehen selten einfach so, aus heiterem | |
Himmel, aufgrund irgendwelcher fehlgeleiteten Synapsenverschaltungen oder | |
Ungleichgewichten im körpereigenen Chemiehaushalt. Mittlerweile gibt es | |
zwar Hinweise darauf, dass unter anderem [4][Autoimmunerkrankungen | |
psychotische Zustände verursachen] können, aber als gesichert gilt, dass | |
die dauerhafte Verletzung der Seele krank macht. Zu wenige Glücksmomente, | |
zu wenig Hautkontakt, zu viel Angst und Stress und das vielleicht schon von | |
frühester Kindheit an, beeinflussen den Hormonhaushalt und können auch | |
Hirnstrukturen verändern. | |
Die Vorstellung, solche verletzten Seelen gut mit Zwangsbehandlungen und | |
Klinikaufenthalten heilen zu können, mutet … irre an. | |
30 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Menschliche-Psychiatrie/!5433369 | |
[2] https://psychiatrie-verlag.de/product/zinkler-m-modellvorhaben-nach-%C2%A7-… | |
[3] /Zwangsbehandlung-in-der-Psychiatrie/!5787242 | |
[4] https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32166503/ | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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