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# taz.de -- Pestizide auf Obst und Gemüse: Wenn waschen nicht reicht
> Immer wieder finden sich Pestizide auf konventioneller Ware. Was tun, um
> sie zu entfernen? Und warum gibt es noch keine App zur Erkennung?
Bild: Lecker. Direkt in den Mund? Besser nicht
Berlin taz | Man kann sie nicht sehen. Nicht riechen, nicht schmecken und
auch nicht fühlen. Und trotzdem sind sie häufig auf Obst und Gemüse aus
konventionellem Anbau zu finden, das im Laden oder auf dem Marktstand
liegt: Pestizide.
Natürlich wäre es das Beste, zu Bio-Ware zu greifen, um weniger Schadstoffe
aufzunehmen. Doch es gibt manchmal auch Gründe, die dagegen sprechen: Etwa
dass das Geld nicht reicht, dass die Biogurke in Plastik verpackt ist, die
konventionelle aber nicht und Plastikvermeidung in der eigenen
Prioritätenliste weiter oben steht. Oder dass der Bioapfel aus Neuseeland
kommt und der konventionelle aus Norddeutschland.
[1][Nachdem Greenpeace im Mai in 70 untersuchten Proben von aus Brasilien
importiertem Obst 59 belastete Stücke fand], stellt sich daher die Frage:
Was tun mit Gurke, Apfel oder Melone, damit die Pestizide trotzdem nicht im
Körper landen?
Gertrud Winkler, Professorin im Bereich Ernährungs- und
Lebensmittelwissenschaften an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, gibt
zunächst einmal vorsichtig Entwarnung: Für eine Studie, die sie an der
Hochschule durchführen wollte, sei es schwierig gewesen, überhaupt stark
belastete Ware zu finden. Tatsächlich zeigt beispielsweise auch der
Pestizidreport des Landes NRW etwa bei Erdbeeren, einer Obstsorte, die
tendenziell stark belastet ist: Höchstmengenüberschreitungen sind selten.
Seit 2019 wurden 389 Proben von Erdbeeren aus konventionellem Anbau
genommen. Nur eine davon überschritt die zugelassene Höchstmenge.
Allerdings: In 93 Prozent der Proben wurden Pestizide gefunden, in 90
Prozent gleich mehrere. Die Zahl lag zwischen 2 und 14. Das erhöht die
Menge der aufgenommenen Pestizide, auch ohne dass Höchstmengen
überschritten werden. Dass wer regional kauft, hier nicht unbedingt auf der
sicheren Seite ist, zeigt das Land, aus denen die über die Höchstmenge
hinaus belasteten Erdbeeren kamen: Deutschland.
## Waschen, reiben, trocknen
Ein Teil dieser Pestizide wirkt systemisch. Die Substanz ist also nicht nur
auf der Oberfläche, sondern dringt in das Produkt ein. Winkler sagt daher:
„Das Minimale, das drauf ist, kann man nur minimal verringern.“ Das
bekannte Mittel sei dabei das beste: Waschen und Reiben unter fließendem
Wasser, anschließend mit einem Tuch trocknen. Das Abreiben ist wichtig,
weil viele Pestizide heute quasi wasserfest sind – sie sollen durch
Regenwasser nicht vom Produkt abgewaschen werden. Der Vorteil davon ist,
dass sich so die Menge an Pestiziden reduzieren lässt, die insgesamt
eingesetzt wird. Der Nachteil, dass davon aber potenziell mehr bei den
Verbraucher:innen ankommt.
Winkler rät, auch konventionelles Obst, das geschält werden muss, zu
waschen – besonders wenn etwa ein Kind die Banane in die Hand nehmen soll.
Oder zumindest nach dem Schälen und vor dem Essen die Finger zu reinigen,
damit Rückstände nicht an die Fruchtstücke oder direkt von den Fingern in
den Mund geraten.
US-Forscher:innen untersuchten weitere Möglichkeiten, Pestizidrückstände zu
entfernen. [2][So ließen sie fließendes Wasser, ein Chlorbad und eine
Lösung aus Natriumhydrogencarbonat, das beispielsweise in Backpulver
enthalten ist, gegeneinander antreten]. Das Ergebnis: Ein 15-minütiges Bad
in der Natriumhydrogencarbonat-Lösung entfernte 80 Prozent des Pestizids
Thiobendazol und 96 Prozent des Pestizids Phosmet.
Das Problem: Ein Teil der Substanzen befand sich bereits 24 Stunden nach
dem Auftragen in der Schale. Bei Thiobendazol war es bis zu 80 Mikrometer
tief vorgedrungen. Durch Schälen ließen sich weitere Rückstände entfernen,
aber man würde damit auch wichtige Nährstoffe wegschälen.
Winkler sieht die Untersuchung ohnehin skeptisch: „Der Mix aus
unterschiedlichen Substanzen, der heute üblicherweise verwendet wird,
reagiert auch unterschiedlich auf Oberflächenbehandlungen.“ Darauf
verlassen, dass nach dem Waschen auch alles weg ist, kann man sich also
nicht.
## Die App-Idee
Dabei gäbe es theoretisch einen Weg für Verbraucher:innen, zumindest zu
erkennen, ob Pestizide auf der Oberfläche sind. „Die Möglichkeit, das mit
dem Smartphone zu machen, ist da“, sagt Friedrich Melchert. Er ist
Geschäftsführer von specTelligence, einer Firma, die sich aus dem
Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF)
ausgegründet hat.
Am IFF hatten Forscher:innen 2017 eine Technik entwickelt, die mittels
Smartphone-Kamera beurteilen kann, ob beispielsweise ein Apfel mit
Pestiziden belastet ist. „Wir können mit dieser Technologie nicht die
Pestizidrückstände direkt erkennen, sondern die Veränderungen, die etwa auf
einem Apfel durch die Pestizide entstehen“, erklärt Melchert.
Spektralanalyse ist das Stichwort. Eigentlich braucht man dafür eine
Hyperspektralkamera. Sie ermittelt, wie viel Licht welcher Farbe ein Objekt
zurückwirft. Die Fraunhofer-Forscher:innen tricksten und beleuchteten den
Gegenstand mit dem Handydisplay kurz in unterschiedlichen Farben.
Intelligente Auswertalgorithmen sollen die mangelnde Qualität von
Smartphone-Kameras ausgleichen.
Das Problem ist laut Melchert: „Wir haben für eine Pestizid-Erkennung
keinen Partner gefunden.“ Denn die Entwicklungskosten sind hoch. Nicht für
die App an sich, sondern für den Aufbau der Datenbank, die für ihren
Einsatz nötig ist. Ausreichend belastete und unbelastete Proben müssen
gefunden und zunächst im Labor analysiert werden, um den Grad der Belastung
zu bestimmen. Mit diesen Werten muss die Anwendung dann lernen, was ein
belastetes Stück Obst oder Gemüse von einem unbelasteten unterscheidet –
und zwar für jede Sorte einzeln.
## Steigendes Bewusstsein bei Verbraucher:innen
Und wer sollte diese Investitionskosten aufbringen? Die Supermärkte?
Melchert winkt ab. „Für eine Supermarkt-Kette kommt da nichts Positives bei
raus.“ Entweder melde die App keine oder eine niedrige Belastung, das sei
im Rahmen dessen, was die Kund:innen erwarteten. Oder eine hohe Belastung
oder eine bei einem Bio-Produkt – das schlage sich negativ nieder.
Immerhin: Die Supermärkte scheinen das Pestizid-Problem mittlerweile zu
sehen. Viele Ketten definieren Grenzen, die noch unter den gesetzlich
festgelegten Höchstwerten liegen. So schreibt etwa Lidl seinen Lieferanten
vor, dass Obst und Gemüse nur ein Drittel der Rückstände aufweisen darf,
die gesetzlich erlaubt sind. Die Summe aller Rückstände darf den Wert von
80 Prozent der gesetzlichen Höchstgesamtmenge nicht überschreiten und von
maximal 5 Substanzen stammen.
Christiane Huxdorff, Greenpeace-Expertin für nachhaltige Landwirtschaft,
sieht auch bei Verbraucher:innen ein steigendes Bewusstsein: „Das
Wissen über Pestizide hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen.“ Sie
vermutet: Wer Wert darauf lege, möglichst wenig davon zu sich zu nehmen,
kaufe eben doch bio.
2 Aug 2021
## LINKS
[1] /Re-importierte-Pestizide-in-Obst/!5767917
[2] https://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/acs.jafc.7b03118
## AUTOREN
Svenja Bergt
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