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# taz.de -- Studie zu Lockdowns: Die Rechnung mit dem Tod
> Es sterben mehr Menschen durch Covid-19 als durch Lockdowns, zeigt eine
> neue Analyse. Nur: Sollte man Tote gegeneinander aufrechnen?
Bild: In vielen Ländern gab es einen oder mehrere Lockdowns. Nicht wenige füh…
Durch Lockdowns sterben nicht mehr Menschen als durch Covid-19. [1][Das ist
das Ergebnis einer Analyse] von zwölf Wissenschaflter:innen, die Daten
aus 94 Ländern ausgewertet haben. Auf den ersten Blick bietet die Studie
die passenden Gegenargumente für Kritiker:innen des Lockdowns. Doch
sollte man das Denkspiel, Tote gegeneinander aufzurechnen, mitmachen?
Die Wissenschaftler:innen gehen auf unterschiedliche Gründe ein, die
dafür sorgen können, dass der Lockdown zu Toten führt. Da ist einerseits
die Gesundheit, die durch Lockdowns gefährdet wurde, weil beispielsweise
Krebsvorsorgeuntersuchungen nicht eingehalten wurden; dann sind es
Suizide; ebenso die Einschränkung globaler Gesundheitsprogramme, etwa gegen
Malaria.
Gängige Argumente also, die von Lockdowngegner:innen angeführt wurden.
So äußerte beispielsweise der britische Politiker [2][Nigel Farage im
November], dass der Lockdown mehr „Lebensjahre“ koste als Corona selbst. Er
bekam Zustimmung: Graham Brady, ebenfalls britischer Politiker, rechnete
aus, dass die Zahl der Suizide um 50 Prozent steigen werde. Menschen, die
Suizid begehen würden, wären nicht so leicht hinnehmbar, weil sie im
Schnitt 37 Jahre alt seien und Coronatote um ein Vielfaches älter, meist 82
Jahre.
Die nun veröffentlichte Studie nimmt sich dieser gängigen Argumente an und
klopft sie auf ihre Nachweisbarkeit ab. Dafür wurden Daten des World
Mortality Dataset ausgewertet. Die wissenschaftliche Analyse zeigt: Es ist
nicht so einfach, Tote gegeneinander aufzurechnen und die genauen Gründe
für einen Tod zu klassifizieren. Manchmal sei beispielsweise nicht klar zu
erkennen, ob eine Gesundheitsversorgung wegen eines Lockdowns unterbrochen
war.
Es kann auch andere Gründe haben, die indirekt mit der Pandemie
zusammenhängen. Die Wissenschaftler:innen verweisen darauf, dass es im
Vereinigten Königreich [3][mehr Krebstote während der Pandemie] gab. Ob das
daran lag, dass das Gesundheitspersonal von der Onkologie auf die
Coronastation verlegt wurde, oder daran, dass wegen Lockdownmaßnahmen nicht
genügend Menschen zur Krebsvorsorgeuntersuchung gingen, das lässt sich
nicht immer klar nachvollziehen.
## In Japan stieg die Suizidrate nach dem Lockdown
Das zeigt: Wer Farage und Co mit eigenen Denkmustern bekämpft, der:die hat
es nicht einfach. Zahlen, die für Klarheit sorgen, gibt es dann doch: Die
Analyse greift Studien auf, die zeigen, dass „gängige Tode“ wie die durch
Grippe oder Autounfälle während Lockdowns zurückgingen. Auch lässt sich
keine Zunahme der Suizide während der Lockdowns feststellen. In Japan
stiegen die Suizidraten erst nach dem Lockdown und dem Anstieg der
Arbeitslosigkeit.
Auch betonen die Wissenschaftler:innen, dass im Zusammenhang mit den
Lockdowns immer wieder von der psychischen Gesundheit die Rede sei, während
die psychische Gesundheit im Zusammenhang mit dem Virus untergehe: „Das
Fehlen der Schule wirkt sich eindeutig auf die psychische Gesundheit von
Kindern aus, aber genauso der Verlust eines geliebten Menschen durch
Covid-19“.
Erst am Dienstag wurde eine [4][Studie im Fachjournal Lancet]
veröffentlicht, in der geschätzt wird, dass etwa 1,5 Millionen Kinder einen
Elternteil wegen Covid-19 verloren haben. Susan Hillis, die die Studie
leitete, erklärte, dass etwa alle zwölf Sekunden ein Kind ein Elternteil
oder ein:e Betreuer:in wegen Covid-19 verliere. Vielleicht ist das das
ultimative Argument gegen Lockdowngegner:innen: Wenn verhindert werden
kann, dass Kinder zu (Halb-)Waisen werden, dann sollte man nicht zögern.
Die Studie übers Sterben taugt für diese Argumentation sowieso nicht. Denn
einerseits ist sie lückenhaft: Themen wie Vereinsamung, häusliche Gewalt
oder langfristige Folgen von psychischen Erkrankungen wurden nicht
analysiert. Andererseits gibt es bessere Methoden, psychische Erkrankungen
durch Lockdowns ernst zu nehmen anstatt sie gegen Covid-19-Tote
aufzurechnen.
Dafür braucht es eine Regierung, die sowohl die körperliche als auch die
mentale Gesundheit der Bevölkerung ernst nimmt und berücksichtigt, die also
auch im Lockdown dafür sorgt, dass [5][genügend Frauenhausplätze] zur
Verfügung stehen, [6][Unterkünfte für Obdachlose] frei zugänglich sind, der
Zugang zur psychologischen Betreuung erleichtert wird, die Präsenzpflichten
von Schulkindern und Studierenden nicht anders behandelt als die der
Arbeitnehmer:innen und Soforthilfen tatsächlich sofort ausgezahlt
werden.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie
können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (0800/111 0 111,
[7][www.telefonseelsorge.de])
22 Jul 2021
## LINKS
[1] https://gh.bmj.com/content/6/8/e006653
[2] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/konservative-rebellen-und-farag…
[3] https://www.thelancet.com/journals/lanonc/article/PIIS1470-2045(20)30388-0/…
[4] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)01253-8/…
[5] /Gewalt-gegen-Frauen-in-der-Pandemie/!5730408
[6] /Unterbringung-von-Obdachlosen-in-Hamburg/!5772020
[7] http://www.telefonseelsorge.de
## AUTOREN
Nicole Opitz
## TAGS
Lockdown
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