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# taz.de -- Therapeut über die Flutkatastrophe: „Die Familie ist wichtiger d…
> Verarbeiten Kinder Katastrophen anders als Erwachsene? Was hilft nach
> einem traumatischen Erlebnis? Ein Kinder- und Jugendpsychotherapeut
> erklärt.
Bild: Auch Kinder haben durch das Unwetter ihr Zuhause verloren: Szene aus dem …
taz: Herr Dittkrist, bei dem Unwetter im Westen Deutschlands wurden ganze
Städte zerstört, mindestens 170 Menschen starben, viele verloren in den
Fluten ihr Zuhause – darunter auch Kinder. Was brauchen sie nach so einem
traumatischen Ereignis?
Henning Dittkrist: Das, was sie eigentlich immer brauchen, nur eben noch
mehr: ihre Familie. Eltern sollten so viel Zeit wie möglich mit ihren
Kindern verbringen und ihnen viel Zuneigung schenken, etwa durch
Umarmungen. Ebenfalls wichtig ist, Kindern zu verstehen zu geben, dass ihre
Gefühle berechtigt sind und es in Ordnung ist, zu weinen. Eltern sollten
ihre Kinder darüber hinaus von Medienberichten fernhalten, da Bilder und
Videos retraumatisierend wirken können. Allen voran brauchen Kinder jetzt
die Gewissheit, dass sie in Sicherheit sind.
Wie gebe ich meinem Kind ein Gefühl von Sicherheit?
Indem Sie ihm zum Beispiel sagen, dass solche Katastrophen nur sehr, sehr
selten passieren. Da man Kinder mit Worten allein jedoch gar nicht so gut
erreicht, ist es wichtig, Zuversicht auszustrahlen. Sehen Kinder in den
Augen ihrer Eltern Angst und Verzweiflung, dann fürchten auch sie sich. Wer
[1][aber sein Haus von Schutt], Schlamm und Trümmern befreit, der
vermittelt seinem Kind: „Das, was passiert ist, ist schlimm, aber es geht
weiter und zusammen schaffen wir das.“
Sollte ich also vermeiden, vor meinem Kind Schwäche zu zeigen und zu
weinen?
Nein. Es ist sehr wichtig, authentisch und ehrlich zu sein. Kinder merken
sofort, wenn die Eltern ihnen etwas vorspielen oder Dinge verheimlichen.
Auf keinen Fall sollte man seine Kinder eine Zeit lang zu Verwandten
schicken, um das Chaos zu Hause alleine zu beseitigen. Die Eltern sind in
so einer Krisensituation das Allerwichtigste für ihre Kinder. Am meisten
hilft ihnen, wenn sie bei der Bewältigung der Probleme miteinbezogen
werden, sie also bei Aufräumarbeiten dabei sein und zuhören dürfen, wenn
ihre Eltern mit anderen Erwachsenen über die Flut sprechen. Nur so können
sie die Lebensveränderung verarbeiten – das ist bei der Trennung der Eltern
dasselbe wie mit einem vom Hochwasser zerstörten Haus.
Worauf muss ich achten, wenn ich mit meinem Kind über die Überschwemmungen
rede?
Darauf, dass Ihre Antworten dem Alter und der Reife des Kindes angemessen
sind. Schockierende Dinge, wie dass man eine Leiche im Garten gefunden hat,
erzählt man einem Kind natürlich lieber nicht. Grundsätzlich sollte es aber
keine Tabuthemen geben. Wichtig ist, Kindern genau zuzuhören und darauf zu
achten, was sie sagen und fragen. Denn sie können falsche V[2][orstellungen
von der Überschwemmung] haben und katastrophische Phantasien entwickeln,
die mit der Realität gar nichts zu tun haben. Diese Vorstellungen sollten
Eltern unbedingt korrigieren.
Und was, wenn mein Kind gar nicht über das Geschehene sprechen will und
sich zurückzieht?
Kindern fällt es oft schwer, ihre Gefühle mit Worten auszudrücken. Häufig
äußern sich ihre Emotionen stattdessen in ihrem Verhalten, etwa beim
Spielen oder Malen. Eltern sollten ihre Kinder genau beobachten und sich
fragen: Wie hat sich mein Kind vor der Katastrophe verhalten und wie
verhält es sich jetzt? Es gibt Kinder, die werden nach so einem Ereignis
total aggressiv, andere werden ruhig und zurückhaltend. Wieder andere
lachen weniger, können sich schlechter konzentrieren oder haben starke
Stimmungsschwankungen. Kurzum: Es lässt sich nicht vorhersagen, wie Kinder
auf eine Katastrophe reagieren.
Was mache ich, wenn ich merke, dass mein Kind sich verändert hat?
Dann beobachten Sie, wie lange die Veränderung anhält. Nach traumatischen
Ereignissen ist es erstmal normal, wenn Kinder zerstreut sind, Albträume
oder Gefühlsausbrüche haben, schließlich muss das Gehirn das Geschehene
irgendwie verarbeiten. Verhalten sich Kinder aber über Monate hinweg
anders, sollten Eltern eine*n Kinder- und Psychotherapeut*in
aufsuchen. Denn dann besteht Verdacht auf Traumatisierung.
Sind Kinder gefährdeter als Erwachsene, nach einem schrecklichen Erlebnis
an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu erkranken?
Nein, nicht unbedingt. Oft erlebe ich sogar das Gegenteil. Ich habe schon
einige Kinder aus Kriegsgebieten behandelt, die mit ihren Familien nach
Deutschland geflohen sind. Häufig waren nicht die Kinder traumatisiert,
sondern ihre Eltern. Das liegt daran, dass die Lebenswelt der Eltern
zusammenbrach, die der Kinder aber nicht. Denn die Lebenswelt der Kinder
bestand aus der Familie, und die ist ja mit nach Deutschland gekommen. Für
Kinder ist es gar nicht so schlimm, wenn das Haus zerbombt oder, wie in
diesem Fall, von Hochwasser zerstört wird. Was für sie zählt, ist, dass sie
ihre Eltern und Geschwister bei sich haben.
24 Jul 2021
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## AUTOREN
Rieke Wiemann
## TAGS
Hochwasser
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