# taz.de -- Die Grünen im Saarland: Darf ein Mann auf Platz eins? | |
> Die Saar-Grünen streiten um die Listenaufstellung. Spitzenkandidat Ulrich | |
> erntet Kritik – und ein peinliches Video gibt es auch noch. | |
Bild: Spitzenkandidat in der Kritik: der Saarländer Grüne Hubert Ulrich | |
FRANKFURT taz | Nach der umstrittenen Wahl des früheren Landes- und | |
Fraktionsvorsitzenden der Saar-Grünen Hubert Ulrich, 63, zum | |
Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl brodelt es an der Parteibasis. | |
In einem Brief, den rund fünfzig Parteimitglieder aus mehr als 20 | |
Ortsvereinen unterschrieben haben, kündigt ein „Grünes Bündnis Saarland“ | |
an, alle innerparteilichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um gegen die | |
Listenaufstellung vorzugehen. Von einem „eklatanten Verstoß gegen die | |
Satzung“ und von einer „Brüskierung des Bundesverbands“ ist da die Rede, | |
weil für Platz eins der Landesliste nach der Bundessatzung [1][zwingend | |
eine Frau vorgesehen] sei. | |
Das Ziel die innerparteilichen Opposition ist es, die Liste mit Ulrich an | |
der Spitze für ungültig erklären zu lassen. Dabei nehmen die | |
Ulrich-KritikerInnen sogar in Kauf, dass die Partei von den Stimmzetteln im | |
Saarland verschwinden könnte. | |
Laut Gesetz müssen die Listenvorschläge der Parteien bis zum 19. Juli bei | |
der Landeswahlleiterin eingereicht sein. Bis dahin dürften die | |
Parteigerichte den schwelenden Streit noch nicht entschieden haben. Ulrichs | |
GegnerInnen erwägen deshalb sogar die Anrufung ordentlicher Gerichte. | |
## Von wegen Generationenwechsel | |
Mit kurzer Unterbrechung hatte der 63-jährige Ulrich seit 1991 den | |
Landesverband geführt. Nach der Niederlage bei der Landtagswahl 2017 (Grüne | |
4 Prozent) war er als gescheiterter Spitzenkandidat zurückgetreten. Von | |
einem „Generationenwechsel“ war damals die Rede. Doch offenbar beschwingt | |
von den guten Umfragewerten der Partei will er es jetzt noch einmal wissen. | |
Dass am vergangenen Sonntag Tina Schöpfer, bis zum Parteitag | |
Landesvorsitzende, mit ihrer Kandidatur für den Bundestag gescheitert sei, | |
habe sie sich selbst zuzuschreiben, sagt er: „Die Leute kennen sie und | |
wollten sie nicht!“, so Ulrich zur taz. In fünf Wahlgängen hatten die | |
Delegierten die Kandidatin glatt durchgereicht. Nach dem dritten Wahlgang | |
öffnete die Versammlung „Frauenplatz“ eins für Männer. | |
Ulrich warf seinen Hut in den Ring und siegte. Als „Quatsch“ bezeichnet er | |
die These, er habe in einem abgekarteten Spiel sein Comeback | |
„rücksichtslos“ und satzungswidrig durchgesetzt. „Mehr Demokratie, als w… | |
hier praktiziert haben, geht nicht“, kommentierte der frisch gewählte | |
Spitzenkandidat die umstrittene Entscheidung. | |
Allerdings hadert mit der Personalie nicht nur die Gruppe, die das | |
Frauenstatut verletzt sieht. Der Grüne Markus Tressel, 44, der im September | |
aus dem Bundestag ausscheidet, sagt zu den Vorgängen: „Es mutet schon fast | |
tragisch an, wenn ein Mann mit seiner Erfahrung und seinen Verdiensten | |
nicht mehr weiß, wann er der Partei schadet oder nutzt“. | |
## Weggefährten auf Distanz | |
Tressel hatte im Vorfeld des Parteitags auf eine neue Kandidatur | |
verzichtet, aus privaten Gründen, und wollte auch nicht noch einmal als | |
Landesvorsitzender antreten. Er gibt sich überzeugt, zusammen mit Tina | |
Schöpfer als Vorstands-Tandem die Partei gut auf die Bundestagswahl und die | |
Landtagswahl 2022 vorbereitet zu haben. Hubert habe am Sonntag „mit seinem | |
Allerwertesten alles eingerissen, was andere in vier Jahren mühevoll | |
aufgebaut haben“, sagte Tressel zur taz. | |
Und auch ein anderer, langjähriger Weggefährte Ulrichs geht auf Distanz: | |
Klaus Kessler, 70, von 2009 bis 2012 grüner Bildungsminister in der ersten, | |
von Ulrich im Saarland ausgehandelten Jamaikakoalition, von 2013 bis 2017 | |
neben Ulrich Landtagsabgeordneter. | |
Er kritisiert das „System Ulrich“ und nennt die Vorgänge auf dem Parteitag | |
ein abgekartetes Spiel. „Das ganze Gebaren hat der Partei schon schweren | |
Schaden zugefügt“, so Kessler zur taz. Den Brief, mit dem die Annullierung | |
der Liste angestrebt wird, habe er nicht unterschrieben, um nicht zu einer | |
noch größeren Spaltung beizutragen. | |
Er geht davon aus, dass zahlreiche Ortsvereine und die Grüne Jugend für die | |
von Hubert angeführte Liste keinen Wahlkampf machen werden. „Die, die in | |
der Vergangenheit Wahlkampf gemacht haben, werden das auch diesmal tun!“, | |
gibt sich Ulrich gelassen. Ob er vor ein ordentliches Gericht zieht, sollte | |
das Bundesschiedsgericht die Liste kassieren, fragt ihn die taz. „Ja“ ist | |
Ulrichs Antwort. | |
## Bundesgrüne not amused | |
Auf taz-Anfrage teilt die Pressestelle der Bundesgrünen mit, der | |
Bundesvorstand habe sich am Montag mit den Vorgängen im Saarland befasst: | |
„Zuständig ist in jedem Fall das Landesschiedsgericht im Saarland“, heißt | |
es aus Berlin. Und auf die Frage, ob Ulrich durch einen Verzicht auf seine | |
Kandidatur möglicherweise den Verstoß gegen die Satzung heilen könnte, | |
antwortet die Pressestelle: „Theoretisch könnte Hubert Ulrich auf den Platz | |
verzichten.“ Ulrich selbst schließt allerdings einen solchen Schritt | |
ausdrücklich aus. Vielleicht auch, weil er weiß, wer ihm auf Platz zwei | |
folgt. | |
Es ist die von ihm unterstützte Saarbrücker Kommunalpolitikerin Iryna | |
Gaydukova. Im Internet macht ein peinlicher Ausschnitt aus ihrer | |
Parteitags-Befragung die Runde, der [2][Hohn und Spott] auf sich zieht. | |
„Wie stehst Du zur Fahrradpolitik? – Fahrrad?“ fragt der um deutliche | |
Aussprache bemühte Versammlungsleiter. | |
„Ja, ich stehe sehr positiv, was wollt Ihr von mir, wie kann man von einer | |
Grünen erwarten eine andere Antwort?“, ist der erschöpfende Beitrag der | |
Kandidatin. Und zur Frage „Wie willst Du soziale Gerechtigkeit und | |
Klimaschutz sinnvoll verbinden?“, fällt ihr auch nach einer längeren | |
Bedenkzeit gleich gar nichts ein. Nach der nächsten, ebenfalls | |
unbeantworteten Frage zum Zertifikatshandel reißt das Video ab. | |
Am Donnerstagmittag meldete der Saarländische Rundfunk, dass Gaydukova | |
wegen des Shitstorms, den sie derzeit erlebe, aus der Partei ausgetreten | |
sei. Am Vormittag war schon der Rücktritt des Landesvorsitzenden Ralph | |
Rouget bekannt geworden – fünf Tage nach seiner Wahl. Es rumort bei den | |
Grünen im Saarland. | |
25 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Gespaltene-Gruene-im-Saarland/!5777678 | |
[2] https://twitter.com/search?q=%23Gaydukova&src=typed_query&f=live | |
## AUTOREN | |
Christoph Schmidt-Lunau | |
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