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# taz.de -- Coronaregeln bei Olympia in Tokio: Eng an eng in die Blase
> Der taz-Olympiareporter hat Tokio erreicht. Hinter ihm liegt ein langes
> Ringen mit den Regeln zum Infektionsschutz – ein Erfahrungsbericht.
Bild: Tokio 2021: Vorrangige Fahrbahn für die Fahrzeuge vom olympischen Transp…
Tokio taz | Die Verwunderung ist auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen
aus Portugal, Dänemark, Thailand und etlichen anderen Ländern groß. Wir
sitzen dicht an dicht in einem Bus, der uns vom Flughafen Haneda auf einen
Parkplatz beim Pressezentrum direkt zu einer Taxischlange gebracht hat.
Und nun bekommen wir von einem Mann aus dem Organisationsteam vor Ort
erklärt, dass von hier aus alle einzeln zu ihren Hotels chauffiert werden,
auch diejenigen, die für ein Medium arbeiten und möglicherweise gar im
selben Zimmer wohnen. Auf die zu erwartende Sinnfrage, die einige auch laut
stellen, ist er präpariert. „Das steht so im Playbook“, behauptet er
lächelnd.
Es ist der Hinweis auf das heilige Buch dieser Olympischen Spiele, das die
mittlerweile gerade in Japan so umstrittene globale Sportveranstaltung
inmitten der Pandemie sicher machen soll. Es ist in jeweils spezifisierten
Versionen für Athlet:innen, Medienschaffende und angeblich auch für
Funktionär:innen erschienen. Namentlich kommt dieses Werk zwar
spielerisch daher, inhaltlich ist das Playbook aber gefüllt mit zahllosen
Verboten und Vorschriften, die wiederum Grundlage für weitere Regelwerke,
eine schier uferlose Bürokratie und jede Menge Fragen geworden sind.
Warum das Playbook erst vom Parkplatz des Medienzentrums aus auf strikte
Trennung achtet, das wäre so eine Frage. Aber sie macht keinen Sinn.
Bürokratie erfährt ihre Legitimation aus sich selbst heraus, hat einmal der
Soziologe Franz Oppenheimer festgestellt. Sie gehorcht eben auch bei den
Olympischen Spielen in Tokio nicht der [1][Logik des Pandemieschutzes],
sondern schafft dank eigener Autorität eine Simulation von Sicherheit, die
für Freunde des absurden Theaters eine wahre Freude sein müsste.
Notgedrungen musste ich mich am Flughafen mit einer 14-tägigen Quarantäne
einverstanden erklären, die mir nur die Berichterstattung vom Hotelzimmer
aus ermöglichen würde. Mein vor vielen Wochen eingereichter „activity
plan“, zu welchen Wettbewerben ich gehen möchte, ist von der japanischen
Regierungsstelle aus noch nicht genehmigt worden, weshalb ich für die
verkürzte dreitägige Quarantäne und die darauf folgende elftägige
eingeschränkte Bewegungsfreiheit nicht infrage komme. Die Frau vom
Organisationsteam am Flughafen hat mir erklärt: „Wir werden alles für Sie
tun, was möglich ist.“ Eine schöne Zusage nach etwa 9.000 Flugkilometern.
Dass mich all das nicht mehr überraschen konnte, hat eine längere
Vorgeschichte.
## Schöne Grüße von Thomas Bach
Sie begann etwa Anfang Februar als die erste Version des Playbooks in einer
weltweiten Internetrunde für Medienschaffende vorgestellt wurde. Vorab
wurde ein Grußwort von IOC-Chef Thomas Bach eingespielt. An Genaueres kann
ich mich nicht erinnern. Tolle Spiele trotz herausfordernder Umstände wird
er den Journalist:innen versprochen haben und der Menschheit damals
bestimmt auch schon dieses von Tokio ausgehende Licht am Ende des Tunnels.
Also all das, was nach Bachs Geschmack die Medien viel zu selten
transportieren über die Spiele, und dann ging es los mit der Regelkunde und
den neuen Herausforderungen für die Presse.
US-Zeitungen wie die New York Times und die Washington Post hatten deshalb
Wochen später einen Protestbrief an Bach verfasst. Die Einschränkungen und
Datensammlungen stünden in keiner Relation zum Pandemieschutz. Das IOC
antwortete, die Maßnahmen seien wegen Corona erforderlich. Aber wie
bereits erwähnt, als Teilnehmer dieses sozialen Experiments der Simulation
von Sicherheit hilft einem Logik nicht weiter.
Für das „Ankunfts- und Abreise-Informations-System“ musste ich mir einen
Account einrichten und zudem eine Verifizierungs-App auf dem Handy
herunterladen, um ein paar Flugdaten und mein Hotel einzutragen. Das klingt
jetzt vielleicht komplizierter, als es ist. Die Organisatoren von Tokio
2020 haben mir einen 24-seitigen Anhang geschickt, in dem knapp
zusammengefasst ist, was man dafür tun muss. Als mein Flug nach Tokio
allerdings kurzfristig storniert wurde, konnte ich auf das System nicht
mehr zugreifen. Eine Mail hat dann plötzlich auch ausgereicht.
Meine Rolle als Covid-19-Verbindungsmann (Covid-19 Liaison Officer) zu den
Organisatoren von Tokio 2020, der ich als alleiniger Vertreter meiner
Zeitung in Tokio automatisch bin, wurde mir freundlicherweise in einer Mail
mit acht Anhängen erklärt. Wichtig als CLO ist etwa, dass ich auch die
dritte und letzte Version des Playbooks (68 Seiten) genau gelesen habe.
Darüber hinaus habe ich noch etliche weitere Manuals zugeschickt bekommen
für meinen „activity plan“ und das „Infection Control Support System“
(ICON), in dem der Aktivitätsplan hochgeladen werden muss, weil ich ja
sonst nicht die Ocha-App in Betrieb nehmen kann, über die ich täglich meine
Körpertemperatur und Gesundheitsdaten übermitteln soll. Ebenso ist mir
ausführlich nahegelegt worden, dass ich die ersten 14 Tage meine GPS-Daten
über das Mobiltelefon freigeben muss, damit jederzeit nachverfolgt werden
kann, ob meine Bewegungen mit den Daten meines Aktivitätsplans in Einklang
zu bringen sind.
## Abschreckendes Regiment
Im Sinne des Pandemieschutzes dürfte die abschreckende Wirkung dieses
Bürokratiemonstrums als am effektivsten eingestuft werden. [2][Etliche
Kollegen sind zu Hause geblieben]. Sie wollten oder konnten es sich nicht
leisten, so viel Arbeitszeit aufzubringen, um dann in Tokio arbeiten zu
können. Ein Akkreditierungsentzug wäre dagegen nicht so einfach gewesen.
Die Maßnahmen vor Ort und ihre flexiblen Auslegungen scheinen wiederum zu
unterschiedlich zu sein, als dass sie die behauptete Sicherheit garantieren
könnten. Von Tokio 2020 wurde ich in einer dieser Erkläranlagen darauf
hingewiesen, dass ich beim Coronatest vor dem Abflug einen Nasenabstrich
machen müsse. Der Leiter des Testzentrums in Berlin, mit dem Tokio 2020
kooperiert, schaute sich den Vorabdruck an, in dem die Kreuze schon
entsprechend gesetzt waren, und warf ihn kurzerhand in den Papierkorb. „Das
ist Quatsch, Nasenabstriche machen wir hier nicht.“ Dass ich stattdessen in
Tokio einen Speicheltest vorlegte, war schließlich auch kein Problem.
Fotografen am Flughafen erzählten mir, sie müssten nicht drei Tage in
Quarantäne und könnten schon morgen arbeiten – in nächster Nähe zu den
olympischen Athlet:innen. Sie fotografieren allerdings für einen nationalen
olympischen Dachverband, der die Bilder dieses Großevents im Sinne der
Veranstalter zu inszenieren weiß.
Gerade eben ist noch eine Mail vom Organisationskomitee angekommen. Mein
Aktivitätsplan sei genehmigt. Ich beginne Licht am Ende des Tunnels zu
sehen.
21 Jul 2021
## LINKS
[1] /Sponsorenrueckzug-von-Olympia/!5781634
[2] /Corona-und-die-Fussball-EM/!5782402
## AUTOREN
Johannes Kopp
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