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# taz.de -- Psychologe über Distanzunterricht: „Nicht wegzudiskutieren“
> Distanzunterricht war im Frühjahr 2020 so effektiv wie Sommerferien, sagt
> Andreas Frey – und verteidigt sich gegen Kritik vom Lehrerverband.
Bild: Jüngere Schüler*innen waren stärker von den durch Distanzunterricht ve…
taz: Herr Frey, Eltern fürchten, dass es ab Herbst wieder Distanzunterricht
gibt. Sie haben herausgefunden, dass der im Frühjahr 2020 so effektiv war
wie Sommerferien – weltweit. Klingt drastisch.
Andreas Frey: Bei unseren Ergebnissen handelt es sich um
Durchschnittswerte. Der [1][Distanzunterricht] ist nicht auf weiter Front
gescheitert, aber eben für einige. Und da so richtig.
Woran lag’s?
Ich nehme an, dass drei Faktoren ausschlaggebend sind: Einmal, dass sich
die Schülerinnen und Schüler während dieser Zeit deutlich weniger mit
Lernaktivitäten beschäftigt haben als vor dem Lockdown. Das Münchner
ifo-Institut hat zum Beispiel herausgefunden, dass die Schüler*innen nur
48 Prozent der Lernzeit im Vergleich zu Präsenzzeiten investiert haben. Zum
zweiten, dass der Distanzunterricht ad-hoc angeboten werden musste und
zumindest in der Anfangszeit die Unterrichtskonzepte noch nicht optimiert
waren. Da haben in den ersten Wochen eben auch ein paar Dinge nicht
funktioniert, die man dann später ganz gut hinbekommen hat. Und, der dritte
Punkt: Wenn Schülerinnen und Schüler schon vor der Pandemie aufgrund
sozialer Ungleichheiten im Lernen beeinträchtigt waren, dann wurde das für
viele mit dem Distanzunterricht noch mal schlimmer.
Fürs Frühjahr 2020 attestieren Sie „Stagnation mit Tendenz zu
Kompetenzeinbußen“. Welche Kompetenzen haben die Schüler*innen in der
Pandemie verloren?
Wir haben Wissen und Können in den Schulfächern untersucht, zum Beispiel
Mathematik oder Lesekompetenz. Es gab ordentliche Ausschläge nach oben,
aber eben auch welche, die nach den Schulschließungen im Frühjahr 2020 eine
sehr schlechte Leistung gezeigt haben.
Wie stehen jüngere im Vergleich zu älteren Schüler*innen da?
Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass jüngere Schülerinnen
und Schüler, also in der Primarstufe, stärker von den Problemen betroffen
waren als die älteren.
Sie haben die Daten nicht selbst erhoben, sondern für Ihre Arbeit andere
Studien ausgewertet. Wie genau hat das funktioniert?
Wir haben wissenschaftliche Datenbanken nach Studien zu Schülerleistungen
während COVID-19-bedingten Schulschließungen durchsucht und dann all die
verwendet, die eine Vorher-Nachher-Messung gemacht und angemessene Mess-
und Analysemethoden verwendet haben – so, dass die Unterschiede dann
wirklich als Effekte der [2][Schulschließungen] interpretierbar waren und
nicht aus anderen Gründen auftraten. Da blieben dann ganze 11 Studien
übrig, allerdings mit jeweils Tausenden Teilnehmenden.
Wie viele davon kamen aus Deutschland?
Drei der Studien kamen aus Deutschland, die anderen aus Australien,
Belgien, China, den Niederlanden, der Schweiz und den Vereinigten Staaten.
Der Lehrerverband sagt, Ihr Befund sei für Deutschland in keiner Weise
gedeckt…
Den Kommentar stufe ich als prophylaktische Maßnahme ein, um etwaige
Schuldzuweisungen an die Bildungspolitik umzuleiten. Klar, ein
differenziertes Bild für Deutschland liefert die Studie nicht. Das war aber
auch gar nicht die Absicht. Wir haben Durchschnitte ermittelt, und da liegt
der durchschnittliche Lerneffekt im Distanzunterricht eben bei dem der
Sommerferien. Das ist nicht wegzudiskutieren. Wenn man jetzt in die
einzelnen Studien reingeht, gibt es zum Teil auch positive Ergebnisse. Eine
dieser Studien, bei denen Online-Lehre gut funktioniert hat, kommt auch aus
Deutschland. Und das ist ein durchaus erfreuliches Ergebnis, da es
aufweist, dass Distanzunterricht durchaus effektiv sein kann. Nun bleibt zu
wünschen, dass sich solche Ansätze mehr und mehr durchsetzen.
Ihre Studie deutet auch darauf hin, dass die negativen Effekte von
Schulschließungen ab Herbst nicht mehr ganz so stark waren. Was hat sich
geändert?
Ich denke, die Lernkurve war während des ersten Lockdowns sehr steil –
anfangen von den Ländern, die digitale Plattformen eingerichtet oder
weiterentwickelt haben, die inzwischen auch funktionieren. Auch die
Lehrkräfte vor Ort haben ganz viel ausprobiert und dazugelernt, genauso wie
die Schülerinnen und Schüler und deren Eltern.
Die Bundesregierung hat mit dem Corona-Aufholprogramm zwei Milliarden Euro
zur Verfügung gestellt, um Lernrückstände aufzufangen und die
psychosozialen Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche abzufedern.
Ist das ausreichend?
Für das kommende Schuljahr ist es erstmal ausreichend, aber die Frage ist:
Was passiert danach? Denn selbst wenn die Pandemie dann vorbei ist, sind
die sozialen Ungerechtigkeiten in der Schule nicht weg. Es wäre
wünschenswert, wenn dann Mittel für die Weiterführung erfolgreicher
Initiativen zur Verfügung stünden.
Welche Maßnahmen braucht es langfristig?
Konzepte, mit denen wir Schüler*innen zurückholen können, die jetzt ganz
abgetaucht sind. Die werden wir durch Nachhilfecamps nur schwer aktivieren
können. Hier können individuelle psychologische Beratungsangebote helfen.
Wichtig ist auch die flächendeckende Messung von Schülerleistungen im
Rahmen des Bildungsmonitorings, um differenzierte Analysen durchführen zu
können.
29 Jun 2021
## LINKS
[1] /Bildungsminister-ueber-Schulschliessungen/!5762220
[2] /Schulschliessung-aus-Sicht-einer-Mutter/!5738030
## AUTOREN
Franziska Schindler
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