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# taz.de -- Kraft des Fußballs in Nordmazedonien: Team Hoffnung
> Das Miteinander im diversen Nationalkader entspricht nicht dem Alltag. Im
> Team ist die albanischstämmige Minderheit gut integriert.
Bild: Einigende Emotionen: In Skopje wurde die EM-Qualifikation ausgelassen gef…
Der legendäre Tag Ende März, als die deutschen Männer mit 1:2 gegen
Nordmazedonien in der WM-Qualifikation verloren, ist nicht nur hierzulande
in Erinnerung geblieben. Zwei Tore erzielte Nordmazedonien damals, eines
schoss Goran Pandev, eines Eljif Elmas. Ein ethnischer Mazedonier und ein
ethnischer Albaner mit türkischen Wurzeln. Ein Ereignis von Symbolkraft.
„Alle Medien haben geschrieben: Das ist das wahre Gesicht dieses Landes“,
so erzählt es Ana Tomovska Misoska. Und dieses Gefühl sei bei der EM
geblieben. Dass Nordmazedonien am heutigen Montag vermutlich bei der EM
ausscheidet, ist da eher sekundär.
Tomovska Misoska ist Psychologin und hat viel Feldforschung zur Lage
zwischen ethnischen MazedonierInnen und AlbanerInnen betrieben. Denn leicht
ist es nicht hier. Zum ersten Mal überhaupt ist das Land für eine
Fußball-EM qualifiziert. Aber wem gehört das Nationalteam? [1][Zwischen 20
und 25 Prozent der Bevölkerung in Nordmazedonien sind ethnische
AlbanerInnen], die sich oft als StaatsbürgerInnen zweiter Klasse fühlen.
Vor rund zwanzig Jahren explodierten die ethnischen Spannungen im Zuge des
Kosovokrieges und brachten das Land an den Rand eines Bürgerkriegs. Seither
hat sich einiges getan, mehr AlbanerInnen sind in öffentlichen Posten
repräsentiert, sie erhalten Bildung in ihrer Sprache. „Es hat eine langsame
Verbesserung gegeben, auch statistisch“, so Tomovska Misoska. „Aber wir
sind noch nicht komplett über den Berg. Diese Spannungen kriechen immer
wieder an die Oberfläche.“ Und der Fußball soll sie heilen.
Es herrscht ein entspannter EM-Patriotismus in Skopje. Viele Bars sind mit
Nationalflaggen geschmückt und bieten Public Viewing an, die Häuser und
Autos bleiben aber von Fahnen relativ unbelastet. „Die Stimmung ist
verhaltener, als sie sonst wäre“, sagt Aleksandar Krzalovski. „[2][Die
sozialdemokratische Regierung] will nicht, dass allzu laut gefeiert wird,
um Griechenland und Bulgarien nicht zu provozieren.“ Es ist mit allen
Nachbarn kompliziert.
## Werbespot gegen Diskriminierung
[3][Kompliziert ist es schon mit dem eigenen Namen], der nach langem
Konflikt mit Griechenland kürzlich geändert wurde – Konservative wie
Krzalovksi sagen weiter Mazedonien, nicht Nordmazedonien. Krzalovski ist
Direktor des MCMS, einer NGO, die sich nach seinen Angaben etwa für
ethnische Minderheiten, Entwicklung der Zivilgesellschaft und Frauen
einsetzt. Sie hatte zu dieser EM eine publikumswirksame Idee. Gemeinsam mit
den Nationalspielern hat sie einen Werbespot gegen Diskriminierung gemacht.
„Es ist das mit Abstand durchmischteste Team, das wir je hatten“, sagt
Krzalovski. „Und ich denke, dieses Team hat die Leute im ganzen Land
wirklich mehr vereint.“
Das Narrativ vom bunten und harmonischen Nationalteam kennt man in
Deutschland [4][oder Frankreich gut]. Und nicht immer spiegelt das die
Realitäten im Land wider. Symbolisch wichtig ist es trotzdem. Es sei noch
gar nicht so lange her, sagt der Direktor, dass im Nationalteam vor allem
ethnische Mazedonier spielten. Die Mischung sei auch schlicht Pragmatismus
von Trainer Igor Angelovski. „Wir haben nicht mehr viele gute Mazedonier,
aber einige sehr gute Albaner. Es gibt natürlich die übliche
nationalistische Minderheit, die sich beschwert. Aber die Maßnahme hat
etwas gebracht, auch deshalb sind die meisten Leute zufrieden.“ Zumindest,
solange der Erfolg da ist.
Während das Nationalteam eine vereinende Kraft hat, wirkt der Klubfußball
häufig spaltend. Der berühmteste albanische Klub, KF Shkëndija, ist gerade
Meister geworden. Seine Ultras verbindet eine ausgeprägte und von
Nationalismus triefende Rivalität mit den Ultras des mazedonisch geprägten
Vardar Skopje, die ebenso wenig Kinder von Traurigkeit sind. Teils kommt es
zu Gewalt. „Spannungen in der Gesellschaft übertragen sich auf die
Fankurven, nicht umgekehrt“, analysiert Ana Tomovska Misoska. „Natürlich
ist es ein Teufelskreis, denn wenn es Fan-Gewalt gibt, berichten die Medien
mit ihrem jeweiligen ethnischen Blick.“
Hinter dem ethnischen Getöse sind ironischerweise weltweite Kräfte im
Spiel. Der KF Shkëndija wird von Ecolog finanziert, einem
Militärdienstleister mit Sitz in Dubai. Vardar Skopje wiederum hatte einen
russischen Oligarchen hinter sich, der mit der konservativen Regierung
verbandelt war. Und sich nach deren Fall aus dem Staub machte. Skopje
spielt nun nur noch zweitklassig.
Armend Nuhiu ist im Shkëndija-Trikot zum Treffen gekommen. Nuhiu ist
albanischstämmiger Übersetzer und Shkëndija-Fan, wir treffen uns in der
Kleinstadt Tetovo, einem Zentrum der AlbanerInnen in Nordmazedonien. Es ist
Markttag, unzählige VerkäuferInnen stapeln Obst, Zigaretten, Haarspangen,
alles ganz schlicht am Straßenrand.
## Angst vor Großalbanien
Gewisse Unterschiede zu Skopje fallen auf. Die Moscheen, einige Frauen mit
Kopftuch, das Fehlen nordmazedonischer Nationalflaggen. „Zugegebenermaßen
unterstützen die Leute hier das Nationalteam nicht mit gleicher
Emotionalität“, erzählt Nuhiu. „Die Albaner schauen, aber sie organisieren
keine speziellen Events. Trotzdem habe ich in den sozialen Medien viele
Solidaritätsbekundungen gelesen. Das ist in den letzten zehn Jahren viel
mehr geworden.“ Auch er glaubt, dass die EM die Menschen vereint habe.
Gleichzeitig berichtet er über Streitpunkte. Die albanischstämmigen Spieler
weigern sich, die Hymne mitzusingen – weil dort im Text nur Mazedonier
abgefeiert werden. Das wiederum erzürnt die ethnischen Mazedonier, die
stetig befürchten, ihre MitbürgerInnen wollten am liebsten ein Großalbanien
aufmachen. Wie sehr sie das wirklich wollen, ist umstritten. „Das gilt
höchstens für zehn Prozent“, glaubt Nuhiu. „Die Mehrheit der Bevölkerung
wünscht sich einfach ein besseres Leben, bessere Löhne, bessere
Infrastruktur.“ Andere wie Krzalovski vermuten, dass die Mehrheit der
AlbanerInnen immer noch mit (Groß-)Albanien solidarisch sei. Nuhiu sieht
den Streit pragmatisch: Ihm persönlich sei es ziemlich egal, wer in der
Hymne auftauche. „Aber ich bin da eine progressive Minderheit.“
Dass viel nebeneinander her gelebt wird, hat auch mit dem Schulsystem zu
tun. In Nordmazedonien hat jede Minderheit das Recht, in ihrer Sprache
unterrichtet zu werden. Das führt aber auch zur Segregation. „Das
Bildungssystem ist komplett parallel“, sagt die Psychologin Tomovska
Misoska. „Selbst mehrsprachige Schulen trennen die Klassen. Sie versuchen,
Begegnungen zu vermeiden, um Konflikte zu verhindern. Sie halten die Kinder
voneinander fern.“ An der Uni setze sich das fort. Das Ergebnis sei, dass
man sehr wenig voneinander wisse. „Wir könnten viel mehr
außerunterrichtliche Begegnungen und gemeinsame Aktivitäten schaffen“,
fordert sie. „Oder auch gemeinsamen Unterricht, zum Beispiel in
Fremdsprachen, IT oder Sport. Auch der Lehrplan ist wichtig: Welche Namen
werden benutzt, welche Geschichte gelehrt?“
Und wichtig seien auch gemischte Teams wie das Nationalteam. „Die Leute
sind heute alle sehr stolz darauf, dass es so divers ist. Es geht in die
richtige Richtung.“ Es gibt sie tatsächlich, die verbindende Kraft des
Fußballs, die die Uefa so gerne rühmt. Trotz der Tatsache, dass dieses Team
bislang null Punkte geholt hat. Manchmal zählen andere Dinge.
21 Jun 2021
## LINKS
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[3] /Mazedonien-und-Griechenland/!5565052
[4] /EMtaz-Sportsoziologe-ueber-Frankreich/!5317930
## AUTOREN
Alina Schwermer
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