Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Begleitprozess nach dem Tod: Die Angst vor dem Danach
> Die meisten Menschen begleiten ihre Liebsten nach dem Tod nicht. Für
> einen wirklichen Abschied kann dieses Ritual aber wichtig sein.
Bild: Wir haben gelernt, Tote schnell in professionelle Hände abzugeben
Ich musste 36 werden, bis ich zum ersten Mal einen toten Menschen gesehen
habe. Ich habe kürzlich mal eine kleine Umfrage gemacht: Die wenigsten
haben ihre Liebsten nach dem Tod noch mal gesehen. Vor ein paar Jahren
hätte ich das auch normal gefunden. Schließlich leben wir in einer
Gesellschaft, in der wir gelernt haben, unsere Toten möglichst schnell in
professionelle Hände abzugeben und dann in eine andere Richtung zu schauen.
Dabei hätte es im Lauf meines Lebens einige Gelegenheiten gegeben. Als ich
ein Kind war, starb mein Opa, der zweite, als ich ein Teenager war. Meine
Oma in meinen Zwanzigern, eine gute Freundin und mein Ex-Freund in meinen
Dreißigern. Sie alle sah ich das letzte Mal, als sie noch am Leben waren,
und dann – stand ich kurze Zeit später in einer Kirche und starrte
fassungslos auf Sarg oder Urne. [1][Dieser Mensch, der gerade noch am Leben
gewesen war, sollte jetzt in dieser Kiste liegen?] Sollte plötzlich Asche
sein?
Als ich vor einigen Jahren durch Irland reiste, erlebte ich, dass das auch
anders geht. Dort hörte ich abends vorm Torffeuer zum ersten Mal von den
sogenannten Wakes – den irischen Totenwachen, die vor allem noch in
ländlichen Gegenden abgehalten werden. Dabei versammeln sich Familie,
Freund*innen und die gesamte Nachbarschaft – Erwachsene wie Kinder – um
die tote Person, nicht nur um Abschied zu nehmen, sondern auch, um ihr
Leben noch mal ordentlich zu feiern, manchmal mehrere Tage lang: mit Essen,
traditionellen Folksongs und Gedichten und viel Whiskey und Bier.
Seit meiner Irlandreise habe ich mich viel mit dem Tod beschäftigt. Ich
habe angefangen, für einen Bestatter zu arbeiten, der die Dinge anders
macht. [2][Der die Angehörigen teilhaben lässt.] Ich war dabei, wenn
Angehörige ihre Verstorbenen gewaschen, sie angezogen, den Sarg geschlossen
haben, wenn sie im Krematorium zugeschaut haben, wie der Sarg in den Ofen
einfährt. Ich habe gelernt, wie schmerzhaft, aber auch wie wertvoll diese
Rituale sein können, um wirklich Abschied zu nehmen. Vor allem habe ich
gelernt, dass keine Realität so schlimm ist wie die Bilder, die unser Kopf
produziert.
## Nicht wegsehen
Heute habe ich viele fremde tote Menschen gesehen. Heute weiß ich, dass ich
auch bei den Menschen, die mir nah sind, nicht wegschauen werde, wenn sie
sterben. Ich will jede Möglichkeit nutzen, um das Unfassbare zu begreifen.
Denn [3][diese absurde Black Box, die wir um den Tod herum gebaut haben,]
hilft nicht. Wir haben sie gebaut, weil wir Angst haben. Angst vor dem, was
gewichen ist. Der Geruch eines geliebten Menschen, die Wärme seines
Körpers, seine Stimme. Angst vor der Kälte, der Stille. Ich habe diese
Angst auch. Jeder hat sie. Aber nur, weil uns etwas Angst macht, sollten
wir es nicht lassen.
21 Jun 2021
## LINKS
[1] /Neuer-Studiengang/!5766034
[2] /Trauer-in-der-Pandemie/!5763118
[3] /Trauern-waehrend-Corona/!5743666
## AUTOREN
Caroline Kraft
## TAGS
Schluss jetzt
Beerdigung
Tod
Schluss jetzt
Schluss jetzt
Schluss jetzt
## ARTIKEL ZUM THEMA
Vorbereitungen für die Beisetzung: Der Tod und die Bürokratie
Nach dem Tod sind die leiblichen Angehörigen für die Beisetzung
verantwortlich. Wenn man dies nicht möchte, muss man Vorbereitungen
treffen.
Mitgefühl in der Pandemie: Blankliegende Nerven, harte Urteile
Uns droht ein Empathieverlust durch Fingerzeigen. Alle sind schuld an
irgendwas. Wenn Solidarität an Bedingungen geknüpft wird, ist sie
hinfällig.
Palliativmedizin und assistierter Suizid: Noch mal einen Schluck Whiskey
Jede krankenversicherte Person in Deutschland hat Anspruch auf
Palliativversorgung. Das wissen nur leider die Wenigsten – und das ist
nicht gut.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.