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# taz.de -- Fragen an den Vogelexperten: Nachtigall und Sonnenschein
> Seit wann singen Berlins Nachtsängerinnen auch tagsüber? Diese Frage
> müssen wir unbedingt dem Wildtierexperten des Senats stellen.
Bild: Hat's akustisch drauf, optisch weniger: Nachtigall
Was einem manchmal so auffällt: Plötzlich singen die Nachtigallen am Tag.
Der unverkennbare Gesang, dieses endlose Trillern, Schlagen und Flöten, ist
fester Bestandteil der Berliner Frühlingsnacht, aber seit wann ertönt er
auch, wenn die Sonne am höchsten steht? Ist etwa der Klimawandel schuld?
Gut, dass es in Berlin einen Mann gibt, den man mit solchen Fragen nicht
nur behelligen kann, sondern der sie auch noch begeistert beantwortet, in
diesem Fall sogar in Rekordzeit. Eine knappe Minute nach Absenden der
E-Mail klingelt das Telefon: „Hallo, hier ist Ihr Nachtigallexperte.“ Derk
Ehlert heißt der Mann, bei der Senatsumweltverwaltung Ansprechpartner für
alles, was mit Wildtieren zu tun hat.
Um es vorwegzunehmen: Die Nachtsängerin (das bedeutet ihr Name) hat
tagsüber noch nie den Schnabel gehalten. Aber trotz dieses Trugschlusses
lohnt sich das Gespräch mit Ehlert mal wieder voll und ganz. Quasi aus dem
Handgelenk schüttelt er das Wissen eines ganzen Wikipedia-Artikels – nur
unterhaltsamer.
Hier also ein paar Fakten: Wenn eine Nachtigall zu trällern anfängt, hat
sie schon über 200 Strophen drauf, und in seinen bis zu 15 Lebensjahren
entwickelt das extrem unscheinbare Tier an die 800 Variationen. Ein
Buchfink etwa müsste vor Neid erblassen, wenn er könnte: Er kommt gerade
mal auf fünf. Dabei sind es nur die Nachtigall-Hähne (heißt so), die
singen, die Weibchen schweigen und hören zu.
## 800 Strophen, 3 Versionen
Dass der Gesang gerade nachts erklingt, hat einen Grund, sagt Ehlert: „Die
Weibchen ziehen ein paar Tage später von Afrika nach Mitteleuropa und
wandern dabei in der Nacht. Die sollen damit gleich vom Himmel gelockt
werden.“ Aber auch am Tag geht es weiter, bis alle ab Ende Mai in einem der
rund 1.500 Berliner Reviere brüten. Auch dann singen die Hähne noch, aber
in einer Art Kurzfassung. Mit einer dritten Version schließlich wird später
der Nachwuchs trainiert.
Bei dem großartigen Maiengesang geht es natürlich ums Beeindrucken, erklärt
Ehlert. „Wenn Sie Anfang Juni noch ein Männchen mit dem Balzgesang hören,
kann der Kerl einem wirklich leid tun“, der sei dann noch alleine. Dabei
vermittelt der Gesang den Weibchen wichtige Informationen. Vereinfacht
gesagt: Je mehr Strophen, desto älter der Hahn, je älter, desto mehr
Lebenserfahrung, je mehr Lebenserfahrung, desto besser sammelt er Futter.
Wenn er da richtig effizient ist, kann er sogar mitbrüten. So einen
Hausmann nimmt man natürlich mit Kusshand. Oder Kusskralle.
Was Derk Ehlert noch so alles weiß, passt hier gar nicht rein. Der Zufall
will aber, dass er vor einiger Zeit angefangen hat, Wildtier-Videos für die
landeseigene Stiftung Naturschutz zu drehen, und [1][gerade hat er da die
Nachtigall gewürdigt]. Reinschauen lohnt sich, auch weil Ehlert sichtlich
Spaß an Umweltpädagogik hat: Zum Nachtigallenkonzert im Treptower Park etwa
erscheint er mit Fliege und Opernglas. Fast wie der gute, alte Peter
Lustig. Nur eben unterhaltsamer.
3 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=Sjm6Yr3rqcU
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Wildtiere
Singvögel
Naturschutz
Bienen
Wandern
Naturschutz
Berliner Luft
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