# taz.de -- Berufsunfähigkeitsversicherung: Unsolidarische Scheiße | |
> Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist unverzichtbar, heißt es. Doch für | |
> viele ist es gar nicht so einfach, solch eine abzuschließen. | |
Bild: Eine Berufsunfähigkeitsversicherung bekommt man nur, wenn man gesund ist | |
Ich werde bald 30, und um mich angemessen klischeemäßig zu verhalten, habe | |
ich mir einen Punkt auf meiner To-do-Liste vorgenommen, der dort Monate | |
rumgammelte: „Altersvorsorge“. In vielen Recherchen dazu bin ich dann bei | |
einem weiteren Thema gelandet: der Berufsunfähigkeitsversicherung. | |
So eine hatte ich bisher auch nicht, aber die Verbraucherzentrale machte | |
mir Panik: [1][„Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist unverzichtbar für | |
alle, die von Ihrem Einkommen leben“], steht auf ihrer Homepage. Da ich | |
weder Immobilien vermiete noch ein Start-up gegründet habe, das ich bald | |
verkaufen könnte, sehe ich keine andere Möglichkeit, als auch in Zukunft | |
von meinem Einkommen zu leben. | |
Also fuhr ich erst mal zu einem Versicherungsvertreter und ließ mir von ihm | |
BU-Angebote (ich war mittlerweile im Slang) geben. Seltsam wurde es, als er | |
mich fragte: „Haben Sie eigentlich chronische Krankheiten? Oder mal, so, | |
äh, Gesprächsstunden gemacht?“ Er meinte eine Psychotherapie. Ich las dann | |
erst recht sehr viele Artikel und telefonierte mit einem Berater der | |
Verbraucherzentrale, bis ich verstand: Diese Versicherung bekommt man nur, | |
wenn man sehr gesund ist. Weil das Geschäftsmodell einer Versicherung eben | |
darauf beruht, dass viele Leute einzahlen, aber nur wenige Geld bekommen. | |
Und wenn die Leute nicht gesund sind, wenn sie die Versicherung | |
abschließen, dann ist die Wahrscheinlichkeit aus Sicht des Versicherers | |
hoch, dass das am Ende teuer wird. | |
## Wer an einer Depression leidet, hat praktisch keine Chance | |
In meiner Recherche bin ich dann zu zwei Ergebnissen gekommen. Erstens: | |
Auch wenn das sehr viel kostet, schließe ich so eine Versicherung ab. | |
Zweitens: Was bitte ist das für eine unsolidarische Scheiße? Wer zum | |
Beispiel eine Depression hat, [2][und das wird bei Frauen doppelt so oft | |
diagnostiziert wie bei Männern], der hat praktisch keine Chance, eine | |
solche Versicherung zu bekommen. Das ist nicht das einzige Problem: | |
Hausfrauen und Hausmänner können sich zwar auch vor Berufsunfähigkeit | |
schützen, aber für sie gelten oft viele Einschränkungen. | |
Und: Wer im Büro sitzt, hat einen weniger gefährlichen Job als etwa ein:e | |
Dachdecker:in und bezahlt deshalb weniger für die Versicherung. Die | |
Beiträge richten sich nicht danach, wieviel wer verdient, sondern wie hoch | |
das Gesundheitsrisiko ist und das ist bei vielen eher schlecht bezahlten | |
Jobs höher. | |
Es gibt zwar andere Versicherungen, für schwer Erkrankte etwa. Und man | |
kann, wenn man Vorerkrankungen hat, über einen Versicherungsberater | |
[3][eine anonymisierte Anfrage stellen], damit man nicht direkt bei | |
mehreren Versicherungsanbietern rausfliegt, weil die eine gemeinsame | |
„Wagnisdatei“ haben. Aber eine richtige Lösung gibt es nicht. Weshalb ich | |
mittlerweile meinen Versicherungsschein bekommen habe, meine Freund:innen | |
mit Depression aber wohl nie einen solchen haben werden. Früher gab es | |
übrigens eine staatliche Berufsunfähigkeitsrente. Die wurde zum 31.12.2000 | |
unter Rot-Grün abgeschafft. | |
14 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/geld-versicherungen/weitere-versi… | |
[2] /Studie-ueber-Berufsunfaehigkeit/!5590497 | |
[3] https://www.finanztip.de/berufsunfaehigkeitsversicherung/probeantrag/ | |
## AUTOREN | |
Susan Djahangard | |
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