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# taz.de -- Betreuung muslimischer Häftlinge: Seelsorge zweiter Klasse
> Christliche Gefängnis-Seelsorger sind fest etabliert. Geistliche Hilfe
> für Muslime im Knast ist oft noch ein Provisorium.
Bild: Soll selbstverständlicher werden: Koran in einer Gefängniszelle
Osnabrück taz | Gefängnis-Seelsorge. Die erste Assoziation, die dieses Wort
auslöst, ist: Kapelle mit Kruzifix, Pastor mit Bibel. Falsch ist das nicht.
Die Idee der Seelsorge in Justizvollzugsanstalten ist Jahrhunderte alt und
stammt in Deutschland aus einer Zeit, in der es fast niemanden gab, der
nicht katholisch oder evangelisch war. Die Folge: an christlichen
Seelsorgern, eng institutionell eingebunden, herrscht kein Mangel.
Aber die Zeiten haben sich gewandelt. Die Religionszugehörigkeit der
Insassen deutscher Gefängnisse ist vielfältig. Wie groß der seelsorgerische
Nachholbedarf ist, zeigt das [1][Forschungsprojekt „Professionalisierung
muslimischer Gefängnisseelsorge] im niedersächsischen Justizvollzug“. Das
Institut für Islamische Theologie (IIT) der Universität Osnabrück hat es
durchgeführt, im Auftrag des Hannoveraner Justizministeriums. Frank-Thomas
Hett, Staatssekretär im Justizministerium, bezeichnet es als
„Pionierarbeit“. Man sei „ein deutliches Stück“ vorangekommen.
Gut, muslimische Strafgefangene können in Niedersachsen [2][schon seit Ende
2012] islamische Seelsorger anfordern. Da ist allerdings ein Problem: Es
gibt nur wenige von ihnen, und viele dieser wenigen sind Laien. Eine
einheitliche Ausbildung existiert nicht; feste Arbeitsstandards fehlen.
Verglichen mit der christlichen hat die muslimische Seelsorge im
niedersächsischen Vollzugssystem bisher noch immer Exotenstatus.
Das soll sich jetzt ändern. Ein Jahr lang hat das Projekt gedauert, rund
340.000 Euro gekostet, und nun liegt sein Abschlussbericht vor. Geht es
nach Bülent Ucar, dem Direktor des IIT, etabliert sich die muslimische
Seelsorge langfristig und dauerhaft als „integraler Bestandteil des
Justizvollzugs“. Aber einfach wird das nicht. „Das stößt nicht überall a…
Zustimmung“, sagt Ucar. „Manche möchten den Begriff der Seelsorge
christlich besetzt halten.“ Auch Projektleiter Esnaf Begić sieht das so:
„In den christlichen Kirchen gibt es hier und da durchaus Widerstände.“
## Gespräche und Gebete
Cengiz Ayar, Sümeyra Yavaş, Enes Erdogan und Taha Tarik Yavus, vier junge
muslimische Theologinnen und Theologen des IIT, bilden den
wissenschaftlichen Kern des Projekts. Zudem haben sie eine interreligiöse
Ausbildung zu Gefängnisseelsorgern durchlaufen – heute sind sie in
Justizvollzugs- und Jugendarrestanstalten von Lingen bis Uelzen im Einsatz,
von Vechta bis Verden.
Sie haben die Erwartungen erhoben, die muslimische Gefängnisinsassen an
muslimische Seelsorger haben, die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit
Sozialarbeitern und Ärzten ausgelotet, mit Psychologen und Pädagogen, sich
mit dem Umgang inhaftierter muslimischer Frauen mit Scham und Schuld
auseinandergesetzt. „Professionalisierung muslimischer Gefängnisseelsorge“
befasst sich zudem mit Fragen der Resozialisierung, mit der Fortbildung von
Gefängnispersonal in Kultursensibilität.
Und es geht um Prävention: „Es gibt Menschen, die sich im Gefängnis
radikalisieren“, sagt Enes Erdogan. „Angebote des normalen Islam können dem
entgegenwirken, indem sie seelisch stabilisieren.“ Die Palette reicht vom
Einzelgespräch bis zur Gesangsgruppe, vom Freitagsgebet bis zur
Koran-Lerngruppe, von der Ramadan-Feier bis zur Seelsorge für Angehörige.
## Mehr als ein Provisorium
Das alles geht natürlich nicht, wenn die muslimische Seelsorge weiterhin
ein Provisorium bleibt. Ucar fordert deshalb auch, „eigenständige Stellen
zu schaffen, wie in der evangelischen und katholischen
Gefängnis-Seelsorge“. Danach sieht es allerdings vorerst nicht aus. Die
Arbeit müsse „vorläufig auf Honorarbasis“ stattfinden, bescheidet
Staatssekretär Hett unter Verweis auf die „angespannte Haushaltslage“.
Zusätzliche Finanzmittel jenseits der bisherigen Forschungsgelder stehen
für 2022 und 2023 nicht zur Verfügung.
Esnaf Begić findet das falsch: „Wenn man was macht, dann macht man es
richtig und bringt es zu Ende“, sagt er. Er sagt es sehr nachdrücklich. Das
Projekt „Professionalisierung muslimischer Gefängnisseelsorge“ sieht er,
obwohl abgeschlossen, als Auftakt. „Die Botschaft ist angekommen“, erwidert
Hett, sichtlich getroffen. Man habe dafür „gekämpft wie die Löwen“.
Rund 5,5 Millionen Muslime leben in Deutschland. Das sind knapp sieben
Prozent der Gesamtbevölkerung. Unverständlich also, dass bei christlichen
und muslimischen Seelsorgern organisatorisch weiterhin mit zweierlei Maß
gemessen wird.
Und was ist mit den vielen Gefängnisinsassen, die gar keiner Religion
angehören? „Auch für sie brauchen wir Angebote“, sagt Bülent Ucar. „Wir
leben schließlich in einer Pluralisierung.“ Ein Merkmal dieser Vielfalt:
zunehmende Säkularisierung.
24 Jun 2021
## LINKS
[1] https://www.irp-cms.uni-osnabrueck.de/forschung/forschungsprojekte/professi…
[2] /!532257/
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
## TAGS
Seelsorge
Muslime
Muslime in Deutschland
Gefängnis
Islamische Theologie
Religion
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