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# taz.de -- Prozess Revolutionäre Aktionszellen: Die letzte Zelle
> Vor dem Landgericht Berlin hat der Prozess gegen ein Mitglied der RAZ
> begonnen. Die 2013 aufgelöste Gruppe war die letzte militante
> Vereinigung.
Bild: Überreste des Anschlags auf die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung a…
Berlin taz | Der Morgen des 22. Mai 2013 markiert gewissermaßen einen
vorläufigen Endpunkt in der Geschichte linksmilitanter klandestiner Gruppen
in Berlin und auch landesweit. Obwohl die letzten Anschläge der
[1][Revolutionären Aktionszellen (RAZ)] bereits zwei Jahre zurücklagen,
besiegelte die Großrazzia dieses Tages ihr endgültiges Aus. Bis heute war
die RAZ die mutmaßlich letzte feste in mehreren Zellen organisierte
linksextreme Gruppe, die sich dem gewaltsamen antiimperialistischen Kampf
für die Überwindung der Verhältnisse verschrieben hatte und mittels langer
Debattenbeiträge andere zur Nachahmung zu ermuntern versuchte. Am Dienstag
begann der Prozess gegen einen Beschuldigten vor dem Berliner Landgericht.
Vor acht Jahren hatten [2][mehr als 300 Polizist*innen insgesamt 21
Objekte durchsucht], davon zwölf in Berlin, ein soziales Zentrum in
Magdeburg und ein Büro der Falken in Stuttgart. Die Bundesanwaltschaft
ermittelte gegen neun Beschuldigte wegen einer Reihe von Brandstiftungen in
Berlin und dem Verschicken von Drohschreiben mit Patronen. Der Vorwurf, der
auch umfangreiche Überwachungsmaßnahmen im Vorfeld rechtfertigte, lautete
auf Bildung einer [3][kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129
Strafgesetzbuch].
Die RAZ war Ende 2009 erstmals mit einem Anschlag auf die Agentur für
Arbeit im Wedding in Erscheinung getreten. Es folgten weitere auf das
Bundesverwaltungsamt und das Haus der Wirtschaft. Briefe mit 9-mm-Patronen
gingen etwa an den damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und
den stellvertretenden Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum.
Ihre letzten Brandsätze – Gaskartuschen mit Zeitzündern – explodierten im
April 2011 [4][vor der Eingangstür zum Weddinger Amtsgericht und vor der
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung]. An den Tatorten fanden sich der
RAZ-Schriftzug. In einem Bekennerschreiben schrieb die Gruppe, in den
Objekten säßen „die Ausführenden und AmtsträgerInnen des reaktionären
Klassenkampfes von oben“.
## Prozess acht Jahre später
Seit Dienstag muss sich Cem K., ein 46-jähriger in Berlin lebender Mann,
wegen der letzten beiden Brandstiftungen und jener auf das Haus der
Wirtschaft verantworten. Von dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen
Vereinigung hat die Staatsanwaltschaft aufgrund mangelnder Beweise
gelassen; auch gegen die ursprünglich weiteren acht Beschuldigten hat sie
die Anklagen fallen gelassen. Eine von ihnen hatte sich im Sommer 2014 das
Leben genommen, auch durch den „psychischen Druck“, den die Ermittlungen
auslösten, hieß es von einer Unterstützer*innengruppe, die vor dem
Gericht eine Kundgebung mit etwa 40 Personen abhielt.
In der Anklageverlesung spielte K.s mutmaßliche RAZ-Mitgliedschaft eine
wichtige Rolle, um ihn für die Gruppentaten verantwortlich zu machen. Der
Anwalt des Beschuldigten, Ulrich von Klinggräff, bezeichnet die Anklage
gegenüber der taz als „kläglichen Überrest“ sehr umfangreicher
Ermittlungen. Dass zunächst fünf Jahre bis zur Erhebung der Anklage und nun
weitere drei Jahre bis zum Prozessbeginn vergingen, sei eine „nicht zu
begreifende Verschleppung des Verfahrens“. Auch der Prozess selbst wird
sich in die Länge ziehen. Bis Oktober sind bereits 25 Verhandlungstage
terminiert.
Von Klinggräff und sein Kollege Sven Lindemann begannen den Prozess mit
einem Antrag gegen die scharfen Sicherheitsmaßnahmen, die etwa auch
Ausweiskopien der Besucher*innen vorsehen. Obwohl sein Mandant nicht
vorbestraft sei und die ihm vorgeworfenen Taten zehn Jahre zurückliegen,
suggeriere das Gericht dessen Gefährlichkeit, so von Klinggräff. Weil der
Antrag zurückgewiesen wurde, stellte die Verteidigung einen
Befangenheitsantrag gegen die Kammer. Überdies forderte sie die Aussetzung
des Verfahrens wegen Aktenunvollständigkeit
## Nachfolge der „militanten gruppe“
Für die Ermittler*innen und den Verfassungsschutz galt die RAZ als
Nachfolgeorganisation der linksautonomen [5][„militanten gruppe“ (mg)], die
von 2001 bis 2009 etwa 20 Brandanschläge verübte und ebenfalls Patronen
verschickte. Die mg fand ihr Ende mit der Verurteilung dreier ihrer
Mitglieder, die auf frischer Tat beim Anzünden von Bundeswehrfahrzeugen
ertappt worden waren. Einer von ihnen, Oliver Rast, gehörte später auch zu
den Beschuldigten in den RAZ-Ermittlungen.
In der [6][Zitty ] erklärte Rast 2018, warum der mg und RAZ keine Gruppe
mehr folgte, die unter einem Markennamen militant agierte. Einerseits sei
dies dem „erhöhten Fahndungsdruck“ zuzuschreiben, andererseits sei es nicht
gelungen, „generationsübergreifend in der radikalen Linken Wissen und
Erfahrungswerte weiterzugeben“. Rast selbst hatte noch Kontakt zu
ehemaligen Inhaftierten der RAF und der Bewegung 2. Juni.
Die RAZ hatte von der mg auch die Herausgabe der Untergrundzeitschrift
Radikal übernommen – als Redaktionsgruppe „Revolutionäre Linke“. Hier
erschien auch ihr letzter Text, ein Beitrag zum „Kongress für autonome
Politik“ – dem nach [7][Einschätzung von Teilnehmer*innen] allerdings
„Sprachlosigkeit und das Nichtverhalten im Anschluss“ folgte.
Ihre Überzeugung hatte die RAZ in einem früheren Kommuniqué kundgetan,
derzufolge sich eine Perspektive für eine kommunistische Gesellschaft „nur
über die Zerstörung der ideologischen und repressiven Staatsapparate
aufmachen“ lasse. Nichtsdestotrotz unterschied sich die Feierabendmilitanz
von dem von der RAF aus dem Untergrund propagierten und später auch von
anderen Gruppen verfolgten Konzept der „Stadtguerilla“.
Seit Dezember 2019 war die Abkürzung RAZ wieder aufgetaucht, im
Zusammenhang mit Drohschreiben an die Unions-Politiker Herbert Reul und
Joachim Hermann und einem versuchten Anschlag auf die Bundesagentur für
Arbeit in Nürnberg. In Verdacht stehen zwei Kommunalpolitiker*innen
aus Stuttgart. Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft lägen jedoch „keine
Hinweise auf einen Zusammenhang mit früheren Anschlägen und Drohschreiben“
vor.
8 Jun 2021
## LINKS
[1] /Linksmilitante-Drohung/!5123886
[2] /Razzia-bei-Linksextremisten/!5066892
[3] /Kommentar-Linksradikalen-Razzia/!5066907
[4] /!298388/
[5] /Die-Geschichte-der-mg/!5154191
[6] https://www.zitty.de/ueber-das-ende-der-linken-gewalt/
[7] https://www.nd-aktuell.de/artikel/827483.fuer-unsere-klasseninteressen.html
## AUTOREN
Erik Peter
## TAGS
Brandanschlag
Revolutionäre
Militanz
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Linksextremismus
Bundeskriminalamt
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