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# taz.de -- Debatte über Lebensläufe: Erlaubt ist, was gefällt
> Diskussionen über den Lebenslauf der Kanzlerkandidat:innen
> verfehlen die Realität. Es ist gewöhnlich, Lebensläufe ein wenig
> aufzupeppen.
Bild: Wie viel Interpretationsspielraum sollten Lebensläufe lassen?
„Meine akademische Heimat ist das Völkerrecht“, hat die Kanzlerkandidatin
der Grünen, [1][Annalena Baerbock, in den Angaben zu ihrer Ausbildung]
unter anderem übertrieben. So weit so gut, denn jede von uns kennt sie: die
charmanten Mogeleien, die uns und unser Leben (für andere) interessanter
machen, die uns aufwerten und ein wenig Farbe in unsere graue Existenz
zaubern. Außerdem wollen wir ja den Job.
Doch die Krümelkacker möchten ihr jetzt daraus einen Strick drehen. Und
nicht nur ihr. Auch der Lebenslauf des Kanzlerkandidaten der CDU, Armin
Laschet, ist wegen Unklarheiten bezüglich seines Direktoriumspostens bei
der Gesellschaft für die Verleihung des Karlspreises ins Gerede geraten.
Eine andere Erinnerung strich er hingegen aus dem Lebenslauf. So
unterrichtete Laschet an der RWTH Aachen jahrelang in
Politikwissenschaften. Im Sommer 2014 unterlief ihm dabei ein Missgeschick,
als er sämtliche Klausuren seiner Studenten verbummelte. Noch heute wird er
in Aachen „Würfel-Armin“ genannt, weil er die Noten auf abenteuerliche
Weise anhand von Aufzeichnungen zu rekonstruieren versuchte. Daraufhin
tilgte er die Episode kurzerhand aus seinem CV.
Ein schönes Beispiel dafür, dass man, um die Vita aufzuhübschen,
Tätigkeiten auch verschweigen kann. So ließen Bewerber im [2][kaum
entnazifizierten Nachkriegsdeutschland] ihre berufliche Vergangenheit
während des tausendjährigen Reiches gerne mal im Vagen: Irgendwas mit
Chemie, irgendwas mit Krieg, irgendwas mit Unrecht – das musste reichen.
Auch wer im Gefängnis eine Lehre abschließt, wird eher die Qualifikation
als deren Anlass oder Ort betonen.
Und das ist völlig in Ordnung. Denn festzuhalten bleibt, dass es nicht nur
gang und gäbe, sondern vollkommen zulässig ist, die Erfahrungen und Skills
im Lebenslauf ein wenig aufzupeppen, „wenn die Aussage im Kern wahr bleibt,
also zum Beispiel eine schlechte Note in ihrem Kontext beschönigt oder in
einen Zusammenhang gestellt wird, der sie unauffälliger macht“, wie die
Rechtsanwältin Asma Hussain-Hämäläinen [3][für das Bonner
WILA-Bildungszentrum erklärt]. Dort sieht auch Pascal Croset, Anwalt für
Arbeitsrecht, den Versuch der Bewerberin, ihre Beteiligung an einem
renommierten Projekt „in ein sehr positives Licht zu setzen oder unscharf
zu beschreiben“, noch im grünen Bereich, selbst wenn dieser Beitrag nur aus
„Pizzaholen“ bestünde.
## Offizieller Segen
Soll heißen: Das macht doch jeder Idiot so und Bewerbungsratgeber wie
dieser geben der kleinen Schwindelei den offiziellen Segen. Zeugnisse zu
fälschen sei jedoch so wenig legitim wie lügen (Ausnahme: zu Fragen, die
nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nicht gestattet sind, wie zum
Beispiel nach Familienplanung oder Religionszugehörigkeit).
Doch hier geht es ja nicht um Fälschung. Wenn Frau Baerbock in ihrem
Lebenslauf schreibt, sie habe Politische Wissenschaften studiert, dann
stimmt das nun mal. Von einem Abschluss war nicht die Rede. Nur als Futter
für die Hater hat sie ihre Website dahingehend geändert, dass besagtes
Studium nur mit dem Vordiplom beendet wurde. Doch die Bewerbungsratgeber
sprechen eine eindeutige Sprache: Sie müsste dass nicht tun, sie hat sich
nur an gängige Gepflogenheiten gehalten. Und was heißt überhaupt: „nur“ …
dem Vordiplom?
Das ist doch super, das muss man erst mal schaffen. So hat der Autor dieser
Zeilen Geschichte, Germanistik, Anglistik, Publizistik, Philosophie und
weiß der Geier was noch alles studiert. Mit einem Studentenausweis konnte
man nun mal billiger ins Museum und bekam ein günstiges Monatsticket für
den ÖPNV. Doch von einer Zwischenprüfung geschweige denn einem Vordiplom
konnte er zeitlebens nicht mal träumen.
Dennoch könnte auch ich sagen: „Meine akademische Heimat ist das
Völkerrecht.“ Wenn ich das so empfinde, weil ich Völkerrecht irgendwie cool
finde, ist das mein gutes Recht. Der Satz ist kein geschützter Begriff,
jede kann ihn verwenden, dazu braucht sie noch nicht einmal ein Vordiplom.
Man solle die Mauscheleien jedoch nicht übertreiben, mahnt der Ratgeber des
WILA schließlich, denn wenn man für den Job dann doch nicht geeignet sei,
fiele das in der Probezeit ohnehin auf. Dann wäre es das gewesen mit dem
Job als Bundeskanzlerin.
8 Jun 2021
## LINKS
[1] /Lebenslauf-von-Annalena-Baerbock/!5773040
[2] /Historiker-ueber-Professoren-nach-1945/!5725659
[3] https://www.wila-arbeitsmarkt.de/blog/2018/09/17/lebenslauf-polieren/
## AUTOREN
Uli Hannemann
## TAGS
Lebenslauf
Karriere
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Annalena Baerbock
Armin Laschet
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Schwerpunkt Nationalsozialismus
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