# taz.de -- Anti-Autobahn-Protest in Berlin: Das Recht auf Blockade | |
> 400 Menschen beteiligen sich an Aktionen gegen die A 100. Fast alle | |
> weigern sich, Identitäten preiszugeben. Die Polizei filmt Gesichter und | |
> lässt die meisten gehen. | |
Bild: Heute eine Autobahnbaustelle, morgen ein Schwimmbad | |
Ihre Personalien wollten die Aktivist*innen, die am Samstag die | |
Autobahnbaustelle der A 100 am Treptower Park [1][blockiert hatten], unter | |
keinen Umständen abgeben. Ihre Ausweise hatten die meisten der etwa 400 | |
Klimaschützer*innen in den weißen Maleranzügen gleich zu Hause | |
gelassen, vor Ort hatten sich viele die Gesichter bemalt oder Fingerkuppen | |
verklebt, um einer Identifizierung durch die Polizei zu entgehen. Schon | |
mehr als fünf Stunden hielten sie das sandige zukünftige Stück Autobahn bei | |
unbarmherzig strahlender Sonne in Beschlag. Doch das Angebot ohne | |
Strafanzeige, aber eben mit Abgabe der Personalien zu gehen, lehnten sie | |
ab. | |
Wieso auch, schließlich habe man ein „Recht hier zu sein“ – so sprach Lou | |
Winters, Sprecherin des Bündnisses Sand im Getriebe, gegenüber der taz | |
dieses Selbstverständnis aus. Klimaschutz sei ein „Grundrecht“, so hat es | |
kürzlich erst das Verfassungsgericht entschieden – und das lasse man sich | |
„nicht einfach nehmen“. Losgehbereit stand der formierte Block der | |
Aktivist*innen am Nachmittag bereits eine halbe Stunde einer | |
Polizeikette gegenüber, als dann doch die Hitze ein Einlenken beider Seiten | |
ermöglichte. Die Polizei verzichtete auf die Datenerfassung, wollte die | |
Teilnehmer*innen nur einzeln „videografieren“: Die | |
Demonstrant*innen ließen sich – auch auf Rat ihrer Sanitäter*innen | |
– schließlich darauf ein, durch die aufgebaute Kamerastraße zu laufen. | |
Es war das Ende eines erfolgreichen Protesttages. Etwa 400 | |
Klimaschützer*innen hatten sich an der nur intern mobilisierten Aktion | |
des [2][zivilen Ungehorsams] beteiligt, rund 2.000 weitere an einer | |
Fahrraddemo, die ebenfalls [3][ein Teilstück der Autobahn] befuhr. | |
Allerdings hatte die Polizei es den Teilnehmer*innen der Fahrraddemo im | |
Vorfeld untersagt, wie geplant (und bei anderen Demos bereits praktiziert) | |
durch den Britzer Tunnel zu fahren – aus Sicherheitsgründen, wie die | |
Polizei dem rbb und dem Tagesspiegel am Freitag bestätigt hatte. Im Fall | |
einer Panik stünden demnach nicht ausreichend Fluchtwege zur Verfügung | |
stünden, sodass „eine Vielzahl an Verletzten“ zu befürchten sei. | |
Umweltverbände kündigten an, dieses Verbot gerichtlich prüfen zu lassen. | |
Die Fahrraddemo wurde daher südlich der Autbahn über die Buschkrugallee | |
geleitet und konnte daher nur einen kleinen Teil ihrer Route direkt auf der | |
Autobahn zurücklegen. Von dem Tunnelfahrverbot betroffen war auch die | |
ADFC-Sternfahrt. Auch diese musste den Britzer Tunnel am Sonntag südlich | |
umfahren. | |
## Besetzung von zwei Seiten | |
Für eine erste Gruppe der Besetzer*innen der Baustelle hatte der | |
Protest bereits morgens um 4 Uhr begonnen. Von Neukölln aus kommend war der | |
Aktionsfinger bestehend aus 80 Aktivist*innen die Rampe zur Autobahn | |
hinuntergezogen und blockierte die Baustelle über viele Stunden. | |
Anders als in Treptow landeten von dieser Gruppe schließlich viele, die | |
nicht bereit waren, ihre Daten abzugeben, in der Gefangenensammelstelle – | |
konnten diese aber zum großen Teil ohne Feststellung ihrer Identität wieder | |
verlassen. Alle werden ohne Anzeige bleiben, wie der Pressesprecher der | |
Autobahn GmbH, Florian Zettel, der taz am Sonntag sagte. „Wir stellen keine | |
Strafanzeigen, das gilt vollumfänglich“, sagte Zettel, der die Aktion als | |
„friedlich“ bezeichnete. | |
Auf Kritik stieß dagegen das Einschreiten der Polizei gegen zwölf | |
Medienvertreter*innen am Morgen in Neukölln. Diese wurden ebenfalls | |
gekesselt, abgeführt und erhielten nach der Aufnahme ihrer Personalien | |
Platzverweise. Jörg Reichel von der Deutschen Journalist*innen-Union bei | |
Verdi sprach gegenüber der taz von einer „massiven Behinderung von | |
Pressearbeit“. | |
Ganz ohne Polizei hatte der Treptower Finger sein Ziel gegen 8.30 Uhr | |
erreicht. Nacheinander waren die etwa 300 Aktivist*innen einen | |
Sandhügel hinunter auf die Autobahnbaustelle gerutscht; eine vorbeifahrende | |
S-Bahn hupte wie zur Begrüßung. „Ich bin ein bisschen überwältigt“, sag… | |
eine etwa 17-jährige Aktivistin, die zum ersten Mal auf einer solchen Demo | |
dabei war. Einige Nebeltöpfe wurden gezündet und ein Transparent | |
ausgebreitet, auf dem die zentrale Forderung von Sand im Getriebe zu lesen | |
war: „A 100 stoppen – Verkehrswende jetzt“. | |
## Fußball und Frisbee im Sand | |
Die Besetzer*innen machten es sich dort zunächst bequem: Sie breiteten | |
Picknickdecken aus, spielten Fußball oder Frisbee im Sand. Für Maya | |
Winkler, Pressesprecherin von Sand im Getriebe Berlin waren es genau diese | |
Bilder, die es zu produzieren galt: „Für einen Tag bauen wir hier ein | |
Schwimmbad, das soll auch in der Zukunft so sein“, sagte sie der taz. | |
„Unser Motto für heute lautet: Freibäder, Clubs und Wohnraum statt Abgase, | |
Lärm und Schmutz“. | |
„Mir geht es vor allem um eine Diskursverschiebung“, erklärte ein junger | |
Demonstrant seine Motivation, bei der Aktion dabei zu sein. Er saß in einer | |
Gruppe, die es sich auf einer Decke bequem gemacht hatte und Karten | |
spielte. „Wir wollen eine demokratische Diskussion anregen, wie der Verkehr | |
in dieser Stadt organisiert werden soll“, fügte eine junge Frau hinzu. | |
Derzeit sei das Denken aber festgefahren, weshalb solche Aktionen | |
befreiende Impulse setzen könnten. | |
„Das sind Bilder, die auf uns und die Politik wirken“, sagte auch ein | |
Mitarbeiter der Autobahn GmbH, die für den Bau des 16. Bauabschnitts nach | |
Neukölln und für die [4][Planung des 17. Abschnitts] bis zur Storkower | |
Straße verantwortlich ist. | |
## Autobahnbau als „Klimakiller“ | |
Katalin Gennburg, Treptower Abgeordnete der Linken griff die „mutige | |
Aktion“ dann auch sofort auf, um beim Thema A 100 Thema politisch weiter in | |
die Offensive zu gelangen: „Die Berliner Regierung muss sofort alle Hebel | |
in Bewegung setzen, um den 16. Bauabschnitt der A 100 zu beerdigen.“ Wohl | |
wissend, dass die Zuständigkeit für den Ausbau beim Bund liegt, sagte sie | |
der taz weiter: „Die Grüne Verkehrssenatorin darf den Bund nicht weiter | |
gewähren lassen und muss die Planungshoheit über die Autobahn in die | |
Landeszuständigkeit zurückholen.“ | |
Der bundespolitische Hebel, um den weiteren Bau von Autobahnen zu | |
verhindern, ist der Verkehrswegeplan, der momentan den Ausbau weiterer | |
Hunderter Kilometer vorsieht. Diesen zu kippen ist das erklärte Ziel des | |
überregionalen Bündnisses Wald statt Asphalt, das das [5][Aktionswochenende | |
für die Verkehrswende] ausgerufen hatte. Bundesweit fanden mehr als 50 | |
Aktionen, Fahrrademos, Blockaden von Verkehrsministerien oder der Autobahn | |
GmbH, von Autobahnzufahrten und Baustellen statt. Sand im Getriebe Berlin | |
hatte die A 100 als „Klimakiller-Projekt“ bezeichnet, das eine „Schneise | |
der Verwüstung“ durch die Stadt ziehe. | |
6 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Aktionstage-fuer-Verkehrswende/!5776491 | |
[2] /Ziviler-Ungehorsam-bei-Klimaprotesten/!5772864 | |
[3] https://www.tagesspiegel.de/berlin/fahrrad-demos-in-berlin-polizei-verbiete… | |
[4] /Umstrittener-Ausbau-der-A-100-in-Berlin/!5772885 | |
[5] /Aktionstage-fuer-die-Verkehrswende/!5775533 | |
## AUTOREN | |
Timm Kühn | |
Erik Peter | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
A100 | |
Schwerpunkt Ende Gelände! | |
Verkehrswende | |
Schwerpunkt Pressefreiheit | |
A100 | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Ende Gelände! | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Eingeschränkte Pressefreiheit verteidigt: „Lügen und Erinnerungslücken“ | |
Bei der A100-Blockade wurden Journalisten in ihrer Arbeit behindert. Verdi | |
und Linke kritisieren die Senatsauskunft zu den Polizeimaßnahmen. | |
Umstrittener Ausbau der A 100 in Berlin: Wer stoppt Nr. 17? | |
Der 17. Bauabschnitt der A 100 schien irgendwie längst beerdigt. Aber | |
mittlerweile ist das nicht mehr so sicher, wie auch eine Linken-Anfrage | |
ergibt. | |
Aktionstage für Verkehrswende: Picknick auf der A100-Baustelle | |
Am Samstag endet nach sechs Stunden die Besetzung der Baustelle der | |
Stadtautobahnverlängerung. Am Rand ging die Polizei gegen die Presse vor. | |
Ende Gelände und der Verfassungsschutz: Willkürliche Einschätzung | |
Ende Gelände landete wiederholt im Bericht des Berliner Verfassungsschutzes | |
– ein weiterer Beleg für die problematische Arbeit der Berliner Behörde. | |
Ziviler Ungehorsam bei Klimaprotesten: Die Helden von morgen | |
Für viele Klimaaktivist*innen ist ziviler Ungehorsam notwendig, ihre | |
Kriminalisierung nehmen sie in Kauf. Die Geschichte könnte ihnen Recht | |
geben. | |
Proteste gegen Autobahnen in Berlin: Fahrbahnen zu Freibädern | |
Die Proteste gegen den Weiterbau der A100 werden radikaler: „Sand im | |
Getriebe“ hat für Samstag eine Massenblockade der Baustelle angekündigt. |