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# taz.de -- Israelischer Politiker über neue Koalition: „Eine einzigartige R…
> In Israel will ein breites Parteienbündnis die Ära Netanjahu beenden.
> Mossi Raz von der linken Partei Meretz spricht über die Erfolgsaussichten
> – und ist optimistisch.
Bild: Jerusalem, 05. Juni 2021: Viele Israelis haben den Wunsch, die Ära Netan…
taz: Herr Raz, [1][in Israel hat sich gerade eine ganz große Koalition
gebildet], um die Ära des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu
beenden. Als Abgeordneter der linken Partei Meretz sind Sie mit dabei. Wie
fühlt sich das an?
Mossi Raz: Ich freue mich natürlich. Weil dies das Ende der Netanjahu-Ära
ist, weil es eine Kooperation zwischen jüdischen und palästinensischen
Bürger*innen gibt, weil es so viele Frauen wie noch nie in
Ministerämtern gibt, weil Freund*innen von mir Minister*innen sein
und wir die Politik entscheidend mitbestimmen werden.
Sie sind der vielleicht radikalste Friedensaktivist Ihrer Partei. Vor einem
Jahr hätten Sie sich sicherlich nicht vorstellen können, unter Naftali
Bennett, dem Anführer der Siedlerpartei Jamina, in einer
Regierungskoalition zu sitzen.
Ja, das stimmt. Und das ist die negative Seite dessen, was gerade passiert.
Aber die positive Seite ist: Ich hätte mir genauso kaum vorstellen können,
dass ein palästinensischer Israeli Minister sein würde …
Esawi Frej, der ebenfalls für Meretz ins Parlament eingezogen ist.
… und dass wir eine Koalitionsvereinbarung mit einer islamisch-arabischen
Partei treffen würden. Das ist sensationell.
Auch die arabische Partei Ra’ am ist an dem Bündnis beteiligt. Die einen
nennen es „Einheitsregierung“, andere „Regierung des Wandels“, Netanjahu
spricht verächtlich von „Linksregierung“. Wie bezeichnen Sie die Koalition…
Ich würde sie „Regierung des Wandels“ nennen. Es ist eine andere, sogar
einzigartige Regierung.
Was wird sich mit ihr ändern?
Israel ist sehr gespalten, es gibt Gruppen, die sich hassen. Ich denke,
„Hass“ ist das Wort, das es am besten beschreibt. Und genau das wollen wir
ändern. Ich hoffe, dass wir ein vereinteres Israel bilden können, in dem
die Bürger*innen sehen können, wie die unterschiedlichen Parteien der
Regierung zusammenarbeiten: Linke und Rechte, Religiöse und Säkulare,
Männer und Frauen, arabische und jüdische Israelis. Ich denke, das
zukünftige Kabinett ist ein Spiegel dieser Gesellschaft.
[2][Vereint sind die Parteien allerdings vor allem in dem Wunsch, Netanjahu
abzusägen]. Warum ist das in Ihren Augen so wichtig?
Erstens: Nach 15 Jahren, [3][die Netanjahu insgesamt Ministerpräsident war]
und weitere andere Posten in der Regierung innehatte, ist alles in diesem
Land zu der Frage geworden: für oder gegen Bibi? Zweitens: Er hat Hetze und
Spaltung zur Regierungspolitik gemacht. Und drittens ist er korrupt und
derzeit schwer beschäftigt mit seinen rechtlichen Fragen.
Er steht gerade in drei Korruptionsfällen vor Gericht.
Und dieser Gerichtsprozess beeinflusst sämtliche Regierungsentscheidungen.
Denn Netanjahu blickt nur darauf, was ihm vor Gericht noch helfen kann.
Die neue Koalition gegen ihn steht offenbar. Gibt es politische
Schnittmengen all dieser Parteien jenseits der Intention, Netanjahu
abzusägen?
Ja, gibt es. Korruption zu bekämpfen. Und Gesetze zu schaffen, um den
Klimawandel zu bekämpfen.
Das ist nicht sehr viel.
Die Regierung wird nur Gesetze erlassen, denen alle Parteien zustimmen. Das
steht so im Koalitionsvertrag. Das ist ein großer Unterschied zu den
letzten zwölf Jahren. Es gibt Differenzen, natürlich. Manchmal werden wir
nicht glücklich sein mit den Entscheidungen. Manchmal schon.
Werden Sie verhindern können, dass neue Siedlungen im von Israel besetzten
Westjordanland gebaut werden, dass sogenannte Außenposten legalisiert
werden?
Ich weiß es nicht. Die Hauptidee dieser Regierung ist, dass die Politik in
dieser Hinsicht eingefroren wird und keine großen Entscheidungen bezüglich
der Siedlungen getroffen werden. Das heißt: Es werden keine neuen
Siedlungen gebaut, es werden aber auch keine Siedlungen geräumt.
Was sind die roten Linien, bei denen Sie aus der Regierung aussteigen
würden?
Wenn etwas schlimmer wird als vorher. Wenn eine Entscheidung getroffen
wird, die gegen unsere Ansichten ist und uns zurückwirft.
Am Donnerstagmorgen hat Nitzan Horowitz, der Meretz-Vorsitzende, gesagt,
dass in der Koalitionsvereinbarung zwischen Lapids Zukunftspartei und
Meretz eine Besserstellung der LGBTQ-Rechte ausgemacht ist. Doch Mansour
Abbas, der Anführer der islamisch-konservativen Partei Ra’am, hat gelobt,
sich einer solchen Gesetzgebung entgegenzustellen.
Das ist das Gegenteil von einer roten Linie für uns. Wir können das
versuchen, aber wenn wir scheitern, ist das keine rote Linie.
Ist das Regierungskonzept, einzig den Status quo zu bewahren, nicht
frustrierend?
Ich bin schon so lange Aktivist. Wir werden unser Leben lang frustriert.
Was ist die Alternative? Bisher sieht es so aus, als würden einige unserer
Ideen umgesetzt und andere nicht. Die Regierung wird nicht alle Probleme
des Staates lösen können, aber wir werden keine Regierung haben, die das
Problem vergrößert.
Hand aufs Herz: Glauben Sie, dass diese Regierung vier Jahre lang überleben
wird?
Ja, warum nicht?
Was wäre zum Beispiel im Fall eines Krieges zwischen Israel und Gaza? Kann
die Beteiligung der Partei Ra’am da halten?
Ich verstehe nicht, warum alle Leute diese Frage stellen. Wo ist der
Zusammenhang? Es ist so leicht in Israel, Krieg zu führen. Es braucht
lediglich die Entscheidung zweier Menschen: Die des Ministerpräsidenten und
die des Verteidigungsministers. Es braucht nicht die Regierung dafür.
Und trotzdem, wäre ich Ra’am-Vorsitzender Mansour Abbas, dann würde ich mir
im Falle eines Krieges sehr gut überlegen, ob ich gemeinsam mit den zwei
Menschen, die einen Krieg gegen Gaza entschieden haben, in einer Regierung
sitzen kann.
Okay, es wird die Stabilität der Regierung beeinträchtigen. Aber ich glaube
nicht, dass Ra’am deswegen aus der Regierung aussteigen würde. Damit
Netanjahus Likud wieder die Regierung stellt? Und außerdem: Wir sollten
lieber verhindern, dass es überhaupt zu einem Krieg kommt.
Eine Parteikollegin von Ihnen hat während der Koalitionsverhandlungen
Drohungen erhalten, die auch ihre Familie betreffen. Sie auch?
Ja, ich habe auch Morddrohungen erhalten. Aber das geht so, seitdem ich
Friedensaktivist bin. Wir gewöhnen uns daran. Doch wir sollten wachsam
sein, auch angesichts dessen, was Emil Grünzweig und Jitzchak Rabin
geschah.
Emil Grünzweig war ein Friedensaktivist, der bei einer Friedenskundgebung
1983 mit einer Granate ermordet wurde. Und Jitzchak Rabin wurde 1995 als
Ministerpräsident, der die Oslo-Friedensverhandlungen vorangetrieben hatte,
von einem ultrarechten jüdischen Extremisten erschossen.
Es erhalten aber auch nicht nur wir von Meretz oder von den linken Parteien
Morddrohungen, sondern auch der künftige Ministerpräsident Naftali Bennett
und andere Abgeordnete seiner Partei Jamina.
Noch ist die Regierung nicht eingeschworen. Sollte einer der Abgeordneten
noch abspringen, würde die Koalition nicht zustande kommen. Netanjahu würde
an der Macht bleiben. Ein Abgeordneter von Jamina hat bereits Zweifel
angemeldet.
Was soll ich sagen? Ich hoffe, wir werden es schaffen.
7 Jun 2021
## LINKS
[1] /Praesidentschaftswahl-in-Israel/!5772382
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[3] /Benjamin-Netanjahu/!t5007798
## AUTOREN
Judith Poppe
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