# taz.de -- Sexualisierte Gewalt in Leipzig: Dünne Luft für linke Männer | |
> In den vergangenen Jahren wurden immer mehr Vorfälle sexualisierter | |
> Gewalt in emanizpatorischen Räumen öffentlich. Wie geht die Szene damit | |
> um? | |
Bild: Feministische Demo im Leipzig am 8. März 2019 | |
taz | LEIPZIG Am 29. April 2021 kursiert eine Nachricht durch viele | |
Chatgruppen. „H. in Leipzig gesichtet.“ Die Gruppen hatten sich in den | |
letzten Monaten gegründet, seinetwegen. Als Widerstand, als Vernetzung, als | |
Austausch für all die, die von seinen Taten betroffen sind. „Er“, das ist | |
Henning F. aus Leipzig. Am 7. Januar 2020 wurde [1][durch eine Recherche] | |
des öffentlich-rechtlichen Social-Media-Kanals funk bekannt, dass er ein | |
Täter sexualisierter Gewalt ist. | |
Bis zu diesem Zeitpunkt war F. fest eingebunden in linke Kreise in Leipzig, | |
wohnte in einem Hausprojekt, war Mitorganisator [2][des beliebten Festivals | |
„Monis Rache“], das in den Jahren 2016 bis 2018 auf dem Flugplatz Tutow in | |
Mecklenburg-Vorpommern stattgefunden hat. F. nutzte darin seine Position | |
aus: Die funk-Investigativreportage deckte auf, dass H. 2016 und 2018 auf | |
den Dixiklos des Festivals Kameras installiert, Personen gegen ihr Wissen | |
oder ihren Willen gefilmt und die Videos von FLINTA (Frauen, Lesben, Inter, | |
trans, nicht- und abinäre Personen) auf einer Pornowebsite hochgeladen | |
hatte. | |
Unzählige waren betroffen, die meisten wussten nicht einmal, dass sie | |
gefilmt worden waren und wo es möglicherweise Videos von ihnen geben | |
könnte. Im linken Leipzig herrschte Ohnmacht und Wut, nicht wenige Personen | |
kannten den Täter persönlich, waren mit ihm schon gemeinsam auf Partys | |
gewesen oder in Gruppen organisiert. Henning F., so berichten es Bekannte, | |
war schon immer jemand, der auffiel. Aber wer rechnet schon mit so einem | |
massiven Übergriff? | |
Auch der Umgang des inzwischen eingestellten Festivals „Monis Rache“ mit | |
den Taten stand in der Kritik. [3][Zahlreiche Personen erstatteten Anzeige | |
gegen Henning F.], die Staatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen, jedoch | |
erfolglos. Denn der Beschuldigte war nicht aufzufinden, er war | |
untergetaucht. Nun soll er also wieder in Leipzig sein, etwas mehr als ein | |
Jahr, nachdem er aufgeflogen war. Und damit stellt sich die Frage: Was hat | |
sich seither getan? | |
## Telegram-Gruppen, Demos, Kundgebungen | |
Das Bekanntwerden der Taten hat in Leipzigs Kreisen, die sich als links, | |
emanzipatorisch oder feministisch verstehen, eine Debatte angestoßen. Auf | |
Telegram sind zahlreiche Gruppen zum Thema entstanden, immer wieder gibt es | |
Kundgebungen, Demonstrationen, Statements mit Forderungen. Der Konsens: My | |
body is not your porn. Es geht um das [4][Problem des Täterschutzes], | |
Reflektieren des eigenen Verhaltens und eine dauerhafte Auseinandersetzung | |
mit gewalttätigen Strukturen – und um die Forderung an cis-Männer, etwas zu | |
tun. | |
Es ist nicht der erste Fall [5][sexualisierter Gewalt in linken Strukturen] | |
in Leipzig. Da ist die hippe Kneipe Pivo und ihr ehemaliger Betreiber, dem | |
mehrfach sexualisierte Übergriffe vorgeworfen werden. Der Täter hat in | |
einem Statement die Verantwortung für das Geschehene auf sich genommen. Es | |
gibt kein Verfahren. Die Betroffene, deren Fall letztlich zur öffentlichen | |
Auseinandersetzung mit der Kneipe und deren Betreiber geführt hat, hat | |
keine Anzeige erstattet. Da ist das [6][HGich.T-Konzert im Conne Island], | |
in dessen Anschluss ein Mitglied der Band [7][eine Frau vergewaltigt]. Da | |
sind die [8][unzähligen Fälle sexualisierter Gewalt] in vermeintlichen Safe | |
Spaces der Leipziger Clubkultur. | |
In den vergangenen Monaten häufen sich in Leipzig außerdem öffentliche | |
Outings von Tätern, teils anonymisiert, teils durch den Kontext eindeutig | |
an eine Person gerichtet. Bereits im Februar 2020 hatte es [9][Flyer an der | |
Szenekneipe Goldhorn] gegeben, auf denen ein Mitarbeiter der sexualisierten | |
Gewalt beschuldigt wurde. Und im Februar diesen Jahres sprühten Unbekannte | |
[10][ein Graffito vor den Club Institut fuer Zukunft (IFZ)], bei dem ein | |
externer Veranstalter, der dort in der Vergangenheit Partys organisierte, | |
der sexualisierten Gewalt beschuldigt wird. | |
Das IFZ reagierte [11][mit einem Statement] und solidarisierte sich mit den | |
Betroffenen. Außerdem veröffentlichte der Club im April [12][ein | |
19-seitiges Papier] über sexualisierte Gewalt und eigene Verstrickungen mit | |
dem Betreiber der Kneipe Pivo. Darin heißt es unter anderem, dass man die | |
eigenen Strukturen kritisch reflektieren und für eine zukünftige | |
Auseinandersetzung den Fokus auf die Betroffenenperspektive legen will. | |
## Durchaus ein Paradigmenwechsel | |
Die Leipziger Autorin Bettina Wilpert hat sich mit vielen dieser Fälle | |
sexualisierter Gewalt in linken Strukturen auseinandergesetzt. [13][Für ihr | |
Buch „nichts, was uns passiert“], das kurz nach Beginn der #MeToo-Debatte | |
erschien, recherchierte sie zum Thema. Wilpert sagt, dass es in den letzten | |
Jahren durchaus einen Paradigmenwechsel im Umgang mit sexualisierter Gewalt | |
gegeben habe. „Ich sehe aber, dass dieser Umgang vor allem medial und in | |
theoretischen Debatten stattfindet und in der linken Szene oft nicht gut | |
funktioniert.“ | |
Viele Leipziger Fälle wurden teilweise erst Monate oder Jahre später nach | |
den Taten öffentlich in der linken Szene verhandelt. Oft brauchte es eine | |
erdrückend große Anzahl an Betroffenen, wie im Fall Henning F., damit eine | |
größere Debatte angestoßen wurde. Fälle wie der des Pivo-Betreibers waren | |
lange Tuschelthema in der Szene, ein öffentliches Statement von ihm ließ | |
über ein Jahr auf sich warten. Auch das IFZ reagierte öffentlich erst nach | |
knapp zwei Jahren. | |
Aber die Wucht des feministischen Aufschreis Hunderter FLINTA-Personen in | |
Leipzig hat auch Wirkung gezeigt. Die Luft für linke Männer in Leipzig ist | |
dünn geworden, für viele FLINTA-Personen ist es eine notwendige Forderung | |
an ihre cis-männlichen Freunde, sich mit ihrem Verhalten | |
auseinanderzusetzen. Seit dem Auffliegen der Taten von Henning F. haben | |
sich viele „kritische Männlichkeitsgruppen“ gebildet. Gruppen, bei denen | |
cis-Männer zusammenkommen, um ihr männliches Verhalten zu reflektieren, | |
misogyne Muster zu hinterfragen und sexistisches Verhalten abzubauen. | |
Derartige Gruppen seien auch immer durch feministischen Druck gebildet | |
worden, sagt der Autor Kim Posster, der selbst mehrere Jahre in solchen | |
aktiv war. Immer wieder würden sie als „männliches Strohfeuer“ auftauchen… | |
und genauso schnell wieder verpuffen. Posster, der selbst zu | |
Männlichkeitskritik publiziert, sagt, dass die Triebfeder, an solchen | |
Gruppen teilzunehmen, eine Verunsicherung durch feministische Kritik und | |
das Bedürfnis nach männlicher Gemeinschaft sei. Viel zu selten jedoch | |
würden aktuelle Fälle von Gewalt und eigene Täterschaft diskutiert. Auch | |
den Umgang mit den Geschehnissen bei „Monis Rache“ in der Leipziger Linken | |
findet er enttäuschend. Er sehe „klare Indizien“ dafür, dass der Fall | |
ausgesessen würde. Viel zu gering sei das Engagement der cis-Männer, die | |
sich mit dem konkreten Fall beschäftigt hätten. „Die einzig wirklich | |
sinnvolle Struktur war hier die Kinderbetreuung, die sich während der | |
Plena, wo eben jener Fall verhandelt wurde, angeboten hat.“ | |
## Eine Gruppe sucht Antworten | |
Was muss also passieren, damit die sexualisierte Gewalt aufgearbeitet wird | |
und solche Taten auch in vermeintlich emanzipatorischen Räumen nicht mehr | |
passieren? Die Gruppe Antisexistischer Support Leipzig sucht eine Antwort | |
darauf. Sie wurde im Jahr 2016 als Zusammenschluss verschiedener | |
linksradikaler und emanzipatorischer Gruppen gegründet und leistet | |
Unterstützungsarbeit für Betroffene, ausgerichtet an dem Konzept der | |
Definitionsmacht: Die Erfahrungen, Bedürfnisse und Aussagen Betroffener | |
gelten hier als Ausgangspunkt aller Handlungen. | |
Im September hat der Zusammenschluss [14][Forderungen formuliert]: das | |
Thema sexualisierte Gewalt als fortwährende Debatte innerhalb linker | |
Kontexte zu behandeln, eine kontinuierliche Reflexion innerhalb der | |
betreffenden Gruppen, ein an den Bedürfnissen der Betroffenen | |
ausgerichteter Umgang mit Personen im Täterumfeld sowie die Diskussion über | |
alternative Konzepte wie die der transformativen Justiz, also einer selbst | |
organisierten, an Betroffenen orientierten Methode abseits des Strafrechts. | |
Kim Posster ist der Ansicht, dass Interventionen von außen kaum Wirksamkeit | |
zeigen: „Die Initiative muss vor allem aus Strukturen, also den Läden und | |
Clubs selbst kommen.“ Es reiche auch nicht, dass Debatten fast | |
ausschließlich von Frauen und Queers angestoßen werden. „Es muss eine | |
ansprechbare, sichtbare und vor allem dauerhafte Struktur geben, die sich | |
kontinuierlich mit dem Thema beschäftigt und es ermöglicht, Probleme mit | |
männlichen Mitgliedern offenzulegen“, so Posster. | |
Bei allen Bemühungen zeigt sich: Selten stehen Täter für ihre Taten gerade | |
oder tragen aktiv zur Aufarbeitung bei. Auch die umfassende Vernetzung von | |
Betroffenen und ihr lauter Aufschrei ändern oft nichts daran, dass sich | |
viele Betroffene gerade von cis-Männern alleingelassen fühlen, ihre Wünsche | |
nicht beachtet sehen oder Aufarbeitungsprozesse häufig stagnieren. | |
Henning F. scheint die an ihn herangetragenen Forderungen ebenfalls nicht | |
ernst zu nehmen und keine Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. In | |
Briefen, die an die Öffentlichkeit gelangten, zeigt er sich wenig | |
einsichtig. Die Staatsanwaltschaft sucht ihn weiterhin. Eine Sprecherin | |
sagte der taz, das Verfahren sei aufgrund des unbekannten Aufenthalts | |
vorläufig eingestellt. Die Fahndung hält jedoch weiter an. Sobald die | |
Staatsanwaltschaft ihn findet, wird er sich zumindest den strafrechtlichen | |
Konsequenzen stellen müssen. | |
26 May 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=nGldiXxljhQ | |
[2] /tmp/Downloads/des%20beliebten%20Festivals%20%E2%80%9CMonis%20Rache. | |
[3] /tmp/Downloads/des%20beliebten%20Festivals%20%E2%80%9CMonis%20Rache. | |
[4] https://www.mixcloud.com/MONAliesA_Leipzig/t%C3%A4terschutz-in-linken-struk… | |
[5] https://kreuzer-leipzig.de/2020/12/05/nichts-was-uns-passiert/ | |
[6] https://www.lvz.de/Leipzig/Polizeiticker/Polizeiticker-Leipzig/Mutmassliche… | |
[7] https://www.tag24.de/leipzig/leipzig-sexueller-uebergriff-im-conne-island-v… | |
[8] https://www.frohfroh.de/35307/taeter-an-den-decks-erfahrungen-mit-sexualisi… | |
[9] https://web.facebook.com/dergoldhorn/posts/2713260242044535/ | |
[10] https://web.facebook.com/institutfuerzukunft/posts/triggerwarnung-in-diese… | |
[11] https://web.facebook.com/institutfuerzukunft/posts/triggerwarnung-in-diese… | |
[12] https://ifz.me/wp-content/uploads/2021/04/statement_ifz_02.04.21.pdf | |
[13] /!5663080/ | |
[14] https://antisexistischersupport.blackblogs.org/2020/09/09/was-wir-zu-monis… | |
## AUTOREN | |
Sarah Ulrich | |
Jessica Ramczik | |
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