# taz.de -- Gesetzlosigkeit in Belarus: Das Lukaschenko-Gesicht | |
> Ein neues Gesetz ermöglicht Sicherheitskräften Tarnung durch plastische | |
> Chirurgie. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge | |
> 86. | |
Bild: Protest gegen Alexander Lukaschenko im August 2020 in Danzig, Polen | |
Präsident Alexander Lukaschenko erlässt Gesetze, die der Verfassung | |
widersprechen. Am Anfang war da der Erlass, dass „im Falle des gewaltsamen | |
Todes des Präsidenten die Macht auf den Sicherheitsrat übergeht und im Land | |
das Kriegsrecht verhängt wird.“ | |
Gemäß der Verfassung geht die Macht in so einem Fall an den Premierminister | |
über, aber Lukaschenko pfeift zum wiederholten Mal auf das Grundgesetz des | |
Staates. Jetzt hat er ein Gesetz zu Fragen der Gewährleistung der | |
nationalen Sicherheit unterzeichnet. Diesem Gesetz nach können Silowiki | |
(Einsatzkräfte aus Armee und Geheimdienst; Anmerkung d. Redaktion) | |
[1][offiziell bei Verhaftungen physische Gewalt anwenden], ohne dafür zur | |
Verantwortung gezogen zu werden und „Kriegs- und Spezialausrüstung im Kampf | |
gegen Massenunruhen“ einsetzen sowie Menschen verbieten, Videoaufnahmen zu | |
machen und zu fotografieren. Tatsächlich haben die Silowiki genau diese | |
Dinge schon vor diesem Gesetz alle genau so getan. | |
Aber wenn man mit elementarer Logik daran geht, kann jeder klar denkende | |
Mensch sagen: „Zeigt sich damit, dass Lukaschenko mit diesem Erlass | |
anerkennt, dass alles, was diesbezüglich bislang passiert ist, illegal | |
war?“ | |
Auch das Gesetz über die staatliche Verteidigung gibt Beamten, Silowiki, | |
Richtern und „anderen Personen“ (von pro-staatlichen Journalisten bis hin | |
zu Mitgliedern der Wahlkommissionen) das Recht, sich unter staatlichen | |
Schutz zu stellen. Darunter versteht man die unterschiedlichsten Maßnahmen: | |
von der Versetzung an eine andere Arbeitsstelle bis zu Veränderungen der | |
äußeren Erscheinung, wenn sonst die Sicherheit der betreffenden Personen | |
nicht mehr garantiert ist. | |
Es wird spannend, die Ergebnisse der plastischen Chirurgie anzusehen, in | |
Anbetracht der Tatsache, [2][dass die praktischen Ärzte Repressionen | |
ausgesetzt oder entlassen wurden]. | |
Die Anzahl der Ärzte nach offiziellen Statistiken ist mittlerweile um mehr | |
als 4.000 gesunken. Völlig normal wäre es meiner Meinung nach, wenn solch | |
ein „Hübscher“ (wie der illegitime belarussische Präsident die | |
Sicherheitskräfte des OMON gerne nennt) morgens nach der Operation aufwacht | |
und im Spiegel einen bekannten Schnurrbart und das hässliche Gesicht eben | |
dieses Lukaschenkos sieht. Besonders hübsch sieht das natürlich bei den | |
Frauen im Staatsdienst aus. Ich an Stelle der plastischen Chirurgen würde | |
das als Akt der Solidarität betrachten. Das Äußere ändern? Bitte sehr! Aber | |
dann auch so, dass man es richtig versteht. | |
Dies wird die perfekt symmetrische Antwort auf die Gesetzlosigkeit sein, | |
die heute in Belarus herrscht. Noch in keinem Fantasyfilm habe ich so viel | |
illegales Verhalten den Menschen gegenüber gesehen. | |
Am 11. August 2020 zum Beispiel, während der Zeit der großen Proteste, | |
wurde in der Stadt Brest Gennadi Schutow tödlich verletzt. Später hat man | |
daraus eine kriminelle Handlung konstruiert, aber nicht einer der Silowiki, | |
die auf Gennadi geschossen haben, sondern gegen Schutow selbst. Der Fall | |
hat dann auch seinen Freund Alexander Kordjukow betroffen. Er wurde des | |
versuchten Mordes an einem Silowik angeklagt und zu zehn Jahren Gefängnis | |
verurteilt. Die Tochter des Ermordeten war mit diesem Schuldspruch nicht | |
einverstanden und hat Berufung beim Obersten Gericht eingelegt, aber am | |
Urteil hat das nichts geändert. | |
Hier gleich noch ein himmelschreiend ungerechtes Beispiel von Verbrechen | |
auf staatlicher Ebene: Echte Offiziere, nicht Usurpatoren, die einen Eid | |
auf das belarussische Volk geschworen hatten, erhalten für ihre offen | |
gesagt edlen Taten drakonische Strafen: | |
Denis Urad, Ex-Hauptmann im Generalstab, hat einen geheimen Brief vom | |
Innenminister an den Verteidigungsminister aus Anlass des Einsatzes von | |
Kriegswaffen gegen Demonstranten fotografiert und ihn „über den polnischen | |
Telegram-Kanal“ verschickt. Denis wurde wegen Staatsverrats angeklagt und | |
zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Menschenrechtler haben ihn als | |
politischen Gefangenen anerkannt. | |
Öffnen wir das Strafgesetzbuch der Republik Belarus, lesen wir dort | |
Folgendes: „Die Herausgabe staatlicher Geheimnisse wird mit einer | |
Geldstrafe oder dem Entzug bestimmter Positionen bestraft, oder mit dem | |
Verbot, bestimmte Tätigkeiten auszuüben, oder mit ‚Besserungsarbeit‘ bis … | |
zwei Jahren. Oder mit Arrest. Oder mit Einschränkungen der Freiheit bzw. | |
Freiheitsentzug bis zu drei Jahren.“ | |
Wo steht da was von 18 Jahren Gefängnis? Ich persönlich sehe hier nur die | |
Offenlegung von geschützten Informationen. Wo ist hier der Verrat? | |
Dass auf dem Dokument ein Stempel „Geheim“ war, sagt nur, dass die | |
Machthaber heimlich die Armee angewiesen haben, [3][auf das eigene Volk zu | |
schießen, und damit am Genozid mitzuwirken.] Und dass sie denken, dass sie | |
damit ihrer eigenen Verantwortung entkommen können. Sie verstehen nicht, | |
dass sie ihre schwarzen Seelen und ihr verfaultes Inneres nicht mit Hilfe | |
plastischer Chirurgie verbergen können. Und ein Gesetz zur Vergeltung kann | |
man nicht beschließen und nicht ändern. Zu ihrer Zeit werden sie alle | |
gefunden und müssen sich für ihre Verbrechen und alle von ihnen zerstörten | |
Leben verantworten. | |
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey] | |
25 May 2021 | |
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