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# taz.de -- Bischöfin über Kirchentag in Frankfurt: „Differenz kann sehr sc…
> Ökumene, ade? Nein, sagt die evangelische Regionalbischöfin Petra Bahr.
> Ein Gespräch über Gemeinsames, Trennendes und Phasen des Kopfschüttelns.
Bild: Riesiger Andrang: 1. Ökumenischer Kirchentag im Frühjahr 2003 in Berlin
taz: Frau Bahr, von Frankfurt am Main aus findet vom 13. bis 16. Mai der
[1][3. Ökumenische Kirchentag] statt – Protestantisches und Katholisches
finden sich zusammen. Wozu aber ist ein solcher Tag überhaupt gut?
Petra Bahr: Kirchentage sind Gemeindefeste XXL. Mit Gottesdiensten,
Debatten, Besuch von der Bürgermeisterin, viel Musik, Essen an langen
Tischen und Lagerfeuer am Abend, übertragen auf das ganze Land. Viele haben
was einzubringen.
Gut, aber warum gemeinsam?
Weil es den Charakter einer Vergewisserung über das Christsein heute hat.
Es gibt ja die „Kirchentagsgemeinden“ und die „Katholikentagsgemeinden“.
Die feiern zusammen, weil sie sich durchaus viel ähnlicher sind, als die
konfessionellen Debatten manchmal glauben machen.
Und was sind im Wesentlichen eigentlich die Unterschiede, für ein
nichtgläubiges Publikum umrissen, zwischen katholischem und evangelischem
Glauben?
Ich kann es nur mit dem alten Friedrich Daniel Schleiermacher sagen: Bei
den einen führt der individuelle Glaube zur Kirche, bei den anderen die
Kirche zum individuellen Glauben, superverkürzt. Die Bedeutungen von
Institution und Amt unterscheiden sich in den theologischen Grundlagen
mehr, als vielen klar ist.
Spielen diese Unterschiede im Alltag von christlichen Menschen eigentlich
noch prägende Rollen?
Nur noch selten. Und das ist ein Segen. Vor ein paar Jahrzehnten haben im
katholischen Münsterland die Katholischen [2][am Karfreitag] die Wäsche
aufgehängt, um die Evangelischen zu ärgern. Es gab Prügeleien zwischen
Kindern, denen der Umgang mit „den Anderen“ verboten war. Wer sich als
Katholik in eine Protestantin verliebte, konnte sogar enterbt werden. Alles
Familiengeschichten aus der Bundesrepublik. Dazu sehr viel böse Klischees
und Unwissenheit. Heute kennen wir das aus anderen Konflikten um die
Religion der Anderen.
Noch in den sechziger Jahren waren Liebesbeziehungen, die in Ehen münden
sollten, schwierig, wenn die eine Person dieser, die andere jener
Konfession anhing. Haben sich diese fundamentalen Markierungen inzwischen
nicht erledigt?
Diese Konflikte sind allmählich verschwunden, ja. Ich glaube übrigens
nicht, dass das an der Arbeit der ökumenischen Gremien liegt. Der Alltag
hat sich verändert. Theologische Differenzen werden nicht mehr als Parole
verkürzt wiederholt und deshalb spitzer. Sie haben sich im Alltag irgendwie
verschliffen, und zwar nicht erst durch das, was ich
Entkirchlichungsprozesse nenne. Jetzt gibt es die Gruppe der Christinnen
und Christen, die in manchen Gegenden zusammen als verschrobene Minderheit
wahrgenommen werden. Trotzdem sollte man die konfessionellen Prägungen
nicht unterschätzen.
Warum nicht?
Religion hat immer was mit Erfahrungen zu tun, oft mit
Kindheitserfahrungen. Musik, prägende Menschen, Rituale, ja sogar Gerüche
prägen vor jeder intellektuellen Auseinandersetzung. Deswegen ist es meines
Erachtens auch vergeblich oder gar ignorant, katholischen Freundinnen, die
wütend darauf sind, dass ihnen das geweihte Amt vorenthalten wird, zu
sagen: „Werd’ doch evangelisch“, sie sind eben katholischer Konfession.
Ökumene als Idee: Da könnte man auch sagen: „So what – in der Bundesliga
müssen sich ja Bayern und Dortmund auch nicht zusammentun, ihnen reicht es,
Fußball zu spielen, aber verschieden zu sein, weil das zum Wesen des
(fußballerischen) Lebens schlechthin gehört“? Oder?
Na ja, ich finde es schon traurig, dass die Christentümer so zersplittert
sind. Kein gemeinsames Abendmahl mit der guten Freundin, dem Ehemann. Klar,
Streit und Trennung begleiten das Christentum von Anfang an, sonst wäre der
hintere Teil des Neuen Testaments nie geschrieben worden. Nur ging und geht
es oft um menschliche Macht und nicht um Gotteserfahrungen, die die Welt
verändern können. Das ist die große Schuld der Kirchen. So haben sie immer
einen Grund, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Anderseits stimmt es:
Glaubensstile, auch innerhalb der Konfessionen, sind anregend. Differenz
kann sehr schön sein, wenn man sie nicht als Bedrohung erfährt.
Worauf, theologisch gesprochen, müssen Protestant*innen – wie Sie ja
auch – in Differenz zum Katholischen bestehen?
Zwei Dinge: [3][Das geistliche Amt ist nicht ans Geschlecht], sondern an
Auftrag und Segen Christi gebunden. Es hebt mich nicht von anderen ab. Die
Kirche kann kein Raum ohne Gläubige sein, weil sie die Gemeinschaft aller
Getauften ist.
Wie erklären Sie sich die Hartnäckigkeit des Katholikentums, sich beim
gemeinsamen Abendmahl zu verweigern?
Alles hängt hier am Amtsverständnis. Das ist bitter. Solange es dort keine
Veränderungen gibt, bleibt die gemeinsame Eucharistiefeier ein Traum – oder
ein heimlicher Akt, den Gemeinden trotzdem feiern, weil Pastorin und
Priester sich über das Lehramt hinwegsetzen. So bleibt es, bei allen
Gemeinsamkeiten vor Ort, meist bei getrennten Tischen, ausgerechnet da, wo
viele Gläubige sich am intensivsten von Gottes Nähe berühren lassen.
Haben Protestantismus und Katholizismus nicht in Abgrenzung zu allen
anderen Glaubensrichtungen Gemeinsames – sagen wir: in jesuanischer
Hinsicht?
Klar. Die Pointe des Christentums liegt in diesem doppelten Gedanken: das
Lebensprogramm Jesu als das eigene begreifen und zu glauben, dass Christus
das Zeichen dafür ist, das Gott nicht irgendwo, sondern in dieser Welt,
genauer: im Anderen zu finden ist. Alles andere kommt danach. Nicht dass
ich diese Reihenfolge oft genug auf den Kopf stellte.
In unserer pandemischen Zeit wird der Ökumenische Kirchentag ohnehin vor
allem digital veranstaltet – aber davon abgesehen: Ist der ökumenische Weg
weiterhin nötig?
Christinnen und Christen brauchen einander. Sogar, wenn es Phasen des
Kopfschüttelns gibt. Vor allem braucht diese Welt Menschen, die von einer
Kraft leben, die großer ist als die Neigung zum Fatalismus.
13 May 2021
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## AUTOREN
Jan Feddersen
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