# taz.de -- Konfessionelle Kooperation an Schulen: Zwei Konfessionen, ein Unter… | |
> Evangelischer und katholischer Unterricht sollen in Sachsen zusammengehen | |
> – auch aus demografischen Gründen. Wie steht es mit anderen Religionen? | |
Bild: Martin Luther, Auslöser der Reformationsbewegung, gibt in der Volksschul… | |
An einem Zittauer Gymnasium, im Dreiländereck zwischen Polen und Tschechien | |
gelegen, startet gerade ein sächsisches Modellprojekt: Hier wird | |
konfessionell-kooperativer Unterricht erprobt. An sich keine riskante | |
Pioniertat, können Schulen in mehreren westdeutschen Bundesländern doch | |
schon seit Jahren ökumenisch gestaltete Unterrichtsformen beantragen, und | |
auch am Christian-Weise-Gymnasium arbeiten evangelische und katholische | |
Religionslehrer schon seit langem zusammen. Vorsicht scheint hier dennoch | |
geboten. Es ist verständlich, dass hier in der Anlaufphase am Beginn des | |
Schuljahres noch keine Hospitationen möglich sind. Schulleiter Ingo | |
Elmenthaler möchte auch noch nichts zu konkreten Plänen sagen. | |
Dabei handelt es sich keineswegs um eine riskante Pioniertat, denn Schulen | |
in mehreren westdeutschen Bundesländern können schon seit Jahren solche | |
[1][ökumenisch gestalteten Unterrichtsformen] beantragen. Man kann nur | |
spekulieren, ob hinter solcher Zurückhaltung das in Sachsen als besonders | |
hierarchisch empfundene Verhältnis zwischen Schulen und Schulaufsicht | |
steckt. | |
Dafür zeigen sich die beiden Kirchenleitungen und ihre Beauftragten | |
ausgesprochen gesprächsfreudig. Gabriele Mendt, Bildungsreferentin im | |
evangelischen Landeskirchenamt, und Regina Nothelle, im Ordinariat des | |
katholischen Bistums Meißen für Religionspädagogik zuständig, ziehen längst | |
an einem Strang. Zum Beispiel, als sie gemeinsam Aspekte des christlichen | |
Menschenbildes in das Konzept „W wie Werte“ des sächsischen | |
Kultusministeriums für mehr Demokratieerziehung einbrachten. Den Spruch | |
„Politische Bildung braucht religiöse Bildung“ liest man nun auf den Seiten | |
der beiden Kirchen zum Religionsunterricht. | |
Beide Damen, die eine in Görlitz geboren, die andere aus dem Erzbistum Köln | |
stammend, brennen spürbar für das fällige sächsische Unterrichtsprojekt. | |
Sie können sich dabei auf eine schon im Jahre 2002 von Landeskirche und | |
Bistum unterzeichnete Vereinbarung zur „Notwendigkeit konfessioneller | |
Kooperation“ berufen. 2019 erst wurde sie von den Bischöfen Carsten | |
Rentzing und Heinrich Timmerevers hinsichtlich auszuwählender Modellschulen | |
konkretisiert. Das Innovationstempo in den Kirchen orientiert sich nun | |
einmal an Ewigkeiten. | |
## Demografischer Wandel | |
Wie diese müssen auch die beiden engagierten sächsischen | |
Religionspädagoginnen einräumen, dass Beweggründe für ein intensiveres | |
Zusammengehen nicht nur in der Rückbesinnung auf gemeinsame Wurzeln im | |
Evangelium Jesu liegen. Säkularisierung und die demografische Entwicklung | |
spielen ebenfalls hinein. Konfessionell getrennte parallele Lerngruppen | |
können nicht mehr überall gebildet werden. Die 40 DDR-Jahre haben im Osten | |
außerdem zu einer geringeren formalen Konfessionszugehörigkeit geführt. Die | |
Zahl der geführten „Karteichristen“ entsprach andererseits weit mehr der | |
der tatsächlich aktiven Kirchgänger. | |
In Sachsen besucht etwa jeder vierte Schüler den evangelischen | |
Religionsunterricht, nur vier Prozent nehmen am katholischen teil. In | |
dieser Größenordnung liegen auch die statistischen Bevölkerungsanteile der | |
christlichen Konfessionen. Die Zahlen gehen insgesamt leicht zurück. Am | |
Zittauer Weise-Gymnasium liegt das Verhältnis bei 16 zu 7 Schülern. | |
Regional differieren die Anteile stark. In der Gemeinde Neudorf im | |
protestantisch dominierten Erzgebirge beispielsweise besuchen 80 Prozent | |
der Schüler den evangelischen Religionsunterricht. „Mit wem sollen wir da | |
kooperieren?“, fragt Gabriele Mendt. | |
Ihre katholische Kollegin Regina Nothelle weist aber auch auf [2][knappe | |
und begehrte Lehrkräfte] hin. Der Freistaat kann ohnehin nur etwas mehr als | |
die Hälfte der eigentlich benötigten rund 1.300 Religionslehrer zur | |
Verfügung stellen. Die Kirchen helfen sozusagen mit eigenem Personal aus | |
und erhalten dafür eine Ausgleichszahlung. Sogar im katholischen Sorbenland | |
aber fehlen an einigen Grundschulen mittlerweile sowohl staatliche als auch | |
kirchliche Lehrer. | |
Nun also probiert man es in einer von religiöser Toleranz geprägten Region | |
gemeinsam. Geschaffen wird kein neues Fach, und die Kirchen legen Wert auf | |
die Bezeichnung „Konfessionell-Kooperativer Unterricht“, also nicht | |
überkonfessionell und einheitlich. Wird er die Regel, müsste das sächsische | |
Schulgesetz geändert werden. Dort steht noch, der Religionsunterricht | |
erfolge „nach Bekenntnissen getrennt“. | |
Für den Zittauer Modellversuch haben Kirchenvertreter, Fachberater und | |
Lehrer die Lehrpläne der Klassenstufen 7 und 8 neu gefasst. Die waren | |
ohnehin schon von gegenseitigem Respekt der Konfessionen geprägt. | |
„Unterschiede sehen, ohne den anderen zu verurteilen“, beschreibt Regina | |
Nothelle deren Geist. Sie sind aber noch nicht offiziell bestätigt worden. | |
## Wie steht es mit anderen Religionen? | |
Getragen wird diese ökumenische Bewegung von unten, von Eltern und | |
Lehrkräften bei guten Kontakten auch zu den Ethiklehrern. Nur in | |
konfessionell einseitig dominierten Regionen könnte es Vorbehalte geben, | |
deuten die beiden Kirchenverantwortlichen an. „Die Kraft der Begegnung mit | |
anderen wächst“, heißt es. Auch mit anderen Kirchen und Religionen? | |
Orthodoxe gebe es zu wenige, und Migranten aus dem Osten schickten ihre | |
Kinder meist in den Ethikunterricht. Muslime in Leipzig wiederum | |
bevorzugten den Religionsunterricht, damit ihre Kinder überhaupt etwas von | |
Gott hören, berichtet Gabriele Mendt. Überall in Deutschland stünde aber | |
die heikle Frage, mit welcher muslimischen Organisation man kooperieren | |
solle. Für Sachsen kein Problem, wo der Anteil gläubiger Muslime deutlich | |
unter einem Prozent liegt. [3][Jüdischer Religionsunterricht] ist zur Zeit | |
nur in den Großstädten Leipzig, Dresden und Chemnitz möglich. Politisch ist | |
jedoch der Weg für jüdischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach | |
in ganz Sachsen geebnet. | |
Wie der kooperative Unterricht konkret abläuft, wird gerade erprobt. | |
Gemeinsame und getrennte Phasen könnten sich abwechseln. „Lehrer spart man | |
so jedenfalls nicht“, lachen die beiden Damen. Eine Evaluierung des | |
Projektes ist geplant. Dabei werden auch Auswirkungen auf das | |
Lehrerkollegium eine Rolle spielen. | |
1 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Michael Bartsch | |
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