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# taz.de -- Die Wahrheit: Zuckende Neurosen
> „Der Vater als Kontaktperson“: Der Kreis schließt sich. Die Welt hat sich
> geändert, die Wörter sind andere geworden. Was bloß kommt nach Corona?
Angeblich ist das Ende ja nah. Allein, wir glauben noch nicht daran. In
England feiert man schon, hierzulande stellt sich immer noch die Frage: Was
machen Kruses am Montag? Übers Wochenende sind Kruses nämlich mit Sack und
Pack und Kind und Kegel in „Gebiete mit niedrigeren Inzidenzwerten“
gefahren. Also zu den Schwiegereltern aufs Land. Also aufs Land im Norden,
nicht in den Süden, weil da sind die Inzidenzwerte ja auch noch hoch.
Kruses fahren, Hamanns bleiben. So sieht es aus. Meine zuckenden Füße
träumen von Chlorwasser, durch das sie tauchen dürfen. Man weiß einfach
nicht mehr, wohin mit seinen Neurosen. Schwimmen und Fußball, zwei
Gegenprogramme, gehen seit einem halben Jahr nicht mehr. Wie geht
eigentlich Kranksein in Zeiten der Pandemie, das vorgespielte? Da draußen
gibt es keine Grippe, die man vortäuschen kann.
Auch andere gute Gründe zur Simulation fallen einfach unter den Tisch: Home
is where the homeoffice is, also solange man die Füße noch unter den
eigenen Schreibtisch stellen kann, kann man auch arbeiten. Also digital
zumindest. Egal wie lahm sie sind oder wie wild sie zucken.
Inzwischen lässt sich gut zwischen Fatigue und Zoom-Fatigue unterscheiden.
Und zwischen dieser und jener Impfgeschichte. Statt aber einer solchen,
dachte ich, sollte man eigentlich besser etwas Antizyklisches erzählen, von
Fußball oder Partys oder Zeitlosem wie Indien … ach nee, lieber von einem
Mammutfilm namens „Die 7. Dosis“.
Die 7. Dosis ist die, die übrig bleibt. Es sind, rein rechtlich gesehen,
eben nur sechs Dosen in so einer Impfstoffampulle. Als ich meinen
Ersttermin wahrnahm, war ich der Siebte. Der Letzte in der
Schicksalsgemeinschaft. Vor mir waren ein älteres Paar, zwei Frauen um die
fünfzig, die eine forsch, die andere ängstlich, eine Rentnerin, die noch
gut zu Fuß war und „schon ganz andere Sachen erlebt“ hatte und aus dem
Osten stammte, und ein 64-jähriger Mann an der Reihe. Eine sehr homogene
Gemeinschaft, auffällig deutsch, obwohl die Hausarztpraxis mitten in einer
Gegend mit hohen Inzidenzwerten lag.
Nach dem ersten Schock des Einstichs setzte im Warteruheraum eine redselige
Atmosphäre ein. Die Ostdeutsche redete hauptsächlich mit sich selbst, die
50-jährige forsche Teilzeitlehrerin mit mir und der Rentner, der seit einem
Jahr seine Wohnung nicht verlassen hatte und froh war, alles in Reichweite
zu haben: Orthopäde, Fußpflege, Darmspiegelung im Ärztehaus, mit allen. Er
hatte zwei Krebsbehandlungen hinter sich und erzählte dann von seinen
Kindern: Am Anfang sei es sehr schön, welche zu haben, da sei man noch die
erste Kontaktperson, später führten sie ihre eigenen Leben.
Der Vater als Kontaktperson, dachte ich. Der Kreis schließt sich. Die Welt
hat sich geändert, die Wörter sind andere geworden. Und was machen Kruses
am Montag? Sie kehren zurück in die Stadt, in den Bezirk mit den hohen
Werten.
5 May 2021
## AUTOREN
René Hamann
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Psychologie
Urlaub
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Feminismus
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