# taz.de -- Raubtiere in Niedersachsen: Der fassungslose Wolf | |
> Ein Video einer Wolfsbegegnung sorgt für Aufregung. Der tatsächlichen | |
> Gefahr ist das nicht angemessen. Attacken von Wölfen auf Menschen sind | |
> selten. | |
Bild: Nicht der Wolf in Niedersachsen, sondern einer im Bayerischen Wald | |
Er ist wieder da! Deshalb sieht man ihn eben auch von Zeit zu Zeit. Während | |
Naturfotografen von der einmaligen Gelegenheit träumen, [1][im Wald mal | |
einem Wolf] gegenüberzustehen, und Tierfreunde sich auf geführten | |
Exkursionen zu absurden Zeiten durchs Unterholz treiben lassen, um sich am | |
Ende mit glückseligem Lächeln über einen zertifizierten Haufen Wolfskacke | |
zu freuen, reagieren andere Menschen etwas weniger enthusiastisch, wenn es | |
zu einer Begegnung kommt. | |
So macht seit dem Wochenende ein [2][Youtube-Clip von einer | |
Spaziergängerin] in Niedersachsen die Runde, die beim Gang über einen Acker | |
mit ihrem Hund auf einen leibhaftigen Wolf getroffen ist. Die | |
dokumentierten zweieinhalb Minuten zeugen vor allem von der Nervenstärke | |
des Wolfs, der sich von wüstem Geschrei und Beschimpfungen nicht aus der | |
Ruhe bringen lässt. Eher fassungslos scheint er dem Naturereignis der | |
tobenden Frau zuzuschauen. So etwas ist ihm vermutlich noch nie begegnet, | |
da muss er doch mal gucken. Vielleicht ist er aber auch einfach nur taub. | |
Auch der Hund bleibt erstaunlich souverän. Selbst die Spaziergängerin macht | |
im Grunde alles richtig. Tatsächlich empfehlen Expert*innen bei | |
unerwünschtem Wolfskontakt genau das: nicht wegrennen, laut schreien, sich | |
groß machen, Hund an der kurzen Leine halten. An der Wortwahl könnte man | |
womöglich noch feilen, aber da wollen wir mal nicht zu geschmäcklerisch | |
sein. Schließlich hat der Wolf genug von dem Rabatz und macht sich | |
wortwörtlich vom Acker. Alles gutgegangen also. | |
Was keine Überraschung ist, denn Attacken von Wölfen auf Menschen sind | |
extrem selten. Seit ihrer Rückkehr nach Deutschland vor etwa zwanzig Jahren | |
ist es zu noch keinem einzigen Angriff gekommen, und auch das im Clip | |
festgehaltene Meeting ist natürlich keine, wohl nicht einmal eine | |
„gefährliche Begegnung“ (Bild), ganz sicher jedenfalls keine „Lebensgefa… | |
(Berliner Kurier). | |
## Hunde können auch beunruhigen | |
In der Debatte bei uns wird gern übersehen, dass der Wolf nicht singulär in | |
Deutschland plötzlich aus dem Nichts erschienen ist, sondern in vielen | |
anderen durchaus besiedelten Ländern von den USA und Kanada bis nach | |
Russland, Skandinavien und Osteuropa weit verbreitet ist und auch dort bis | |
in menschliche Siedlungen vordringt, ohne dass die Bevölkerung deswegen in | |
Angst und Schrecken leben müsste. | |
Natürlich kann einen eine Wolfsbegegnung beunruhigen, aber das gilt genauso | |
für das Zusammentreffen mit manchem Hund. Und wer je in Berlin am falschen | |
Ort zur falschen Zeit einem Rudel junger Männer in zweifelhafter Gemütslage | |
begegnet ist, wird sich stattdessen nach Wolfskontakt sehnen. | |
Sicherlich: Wölfe sind Raubtiere, die in seltenen Fällen auch Menschen | |
angreifen. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass dies | |
irgendwann einmal in Deutschland wieder passieren wird, im schlimmsten Fall | |
mit tödlichem Ausgang. Das allerdings ist kein Alleinstellungsmerkmal. | |
Hunde verursachen jedes Jahr in Deutschland 30.000 bis 50.000 Bissattacken, | |
davon verlaufen statistisch 3,3 tödlich. | |
Selbst wenn der Wolf eines Tages jede Baumschule für sich erschlossen haben | |
sollte, wird er in Sachen Bedrohungspotenzial nicht aufschließen können. | |
Dennoch sind Forderungen nach Hundeabschuss selten zu vernehmen. Pferde, | |
Kühe und Bienen fordern ebenfalls ihren jährlichen Blutzoll. Selbst Katzen | |
sind aufgrund gar nicht so seltener Kratzverletzungen mit Sekundärinfektion | |
und Toxoplasmose-Übertragung ein größeres Risiko für Leib und Leben als | |
Wölfe. Von Autos mal ganz zu schweigen. | |
## Schutz von Tieren, die woanders sind | |
Dieselben Leute, namentlich [3][AfD- und FDP-Politiker, die jetzt den | |
Abschuss von Wölfen fordern], weil sie Menschen unter ziemlich | |
unwahrscheinlichen Umständen gefährden könnten, halten es auf der anderen | |
Seite für den unverhandelbaren Preis ihrer persönlichen Freiheit, während | |
einer Pandemie Feiern zu feiern, keine Maske tragen zu müssen oder sich | |
nicht impfen zu lassen, auch wenn Zehntausende jämmerlich an Corona | |
ersticken. Das ist kein Whataboutism, das ist Risikoabwägung. | |
Wölfe sind ureigenster Teil unserer heimischen Natur. Sie haben jedes | |
Recht, hier zu sein und auch mal neugierig zu gucken, was denn da in ihrem | |
Revier laut vor sich hinkreischt. Wenn wir Artenschutz ernst meinen, können | |
wir ihn nicht nur dorthin delegieren, wo er uns persönlich nicht betrifft. | |
Die Deutschen sind ganz groß darin, den Schutz von Tieren zu fordern, die | |
ihnen nur auf dem abendlichen Fernsehbildschirm, aber ganz sicher nicht | |
beim abendlichen Spaziergang begegnen werden. Von Menschen anderer Erdteile | |
fordern sie zu Recht, mit Elefant, Tiger oder Krokodil leben zu lernen. | |
Dann können sie aber auch nicht dem in Sachen Gefährlichkeit eher | |
drittklassigen Wolf bei der erstbesten Gelegenheit ein „Verpiss dich“ | |
entgegenschreien. | |
Eine Ausnahme wollen wir da nur für Spaziergängerinnen auf | |
niedersächsischen Äckern gelten lassen. Der Wolf will ja schließlich auch | |
mal was geboten bekommen. | |
19 Apr 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Getoetete-Woelfe-in-Niedersachsen/!5764346 | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=fEey-jq3EYI&feature=emb_imp_woyt | |
[3] /Die-Wahrheit/!5590049 | |
## AUTOREN | |
Heiko Werning | |
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