| # taz.de -- Schweizer TV-Serie: Die Freundlichen | |
| > Die Miniserie „Frieden“ erzählt ein Kapitel der Geschichte der neutralen | |
| > Schweiz: 1945 trafen dort Täter und Opfer des Holocaust erneut | |
| > aufeinander. | |
| Bild: Herschel, ein Bewohner des Flüchtlingsheims, und Klara | |
| Mehrteiler mit dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Zweiten Weltkriegs | |
| („Die Flucht“, [1][„Unsere Mütter, unsere Väter“]) und der unmittelba… | |
| Nachkriegszeit („Die Wölfe“, [2][„Unsere wunderbaren Jahre“]) haben wir | |
| Deutschen nie zur Genüge gesehen. Wir haben ja auch allen Grund, uns mit | |
| dieser Zeit zu befassen – um sie, wie wir das nennen, wenn wir uns selbst | |
| auf die Schulter klopfen wollen: aufzuarbeiten. Wie aber ist das bei | |
| unseren Schweizer Nachbarn? Die waren doch neutral geblieben, konnten ihre | |
| Hände in Unschuld waschen. Oder etwa nicht? | |
| Dass die Schweizer jedenfalls selbst meinen, etwas aufzuarbeiten zu haben, | |
| und wie das aussieht, kann man sich nun in sechs Folgen der Miniserie | |
| „Frieden“ (Regie: Michael Schaerer) auf Arte anschauen. | |
| Schauen wir mal: Da waren etwa die „Buchenwald-Kinder“ aus dem | |
| gleichnamigen deutschen Konzentrationslager, die aufzunehmen sich die | |
| Schweiz bereit erklärt hatte. Bei ihrer Ankunft stellte sich heraus, dass | |
| sie viel älter waren als erwartet: „Kinder unter 14 Jahren wurden in der | |
| Regel in den Konzentrationslagern ermordet“, erklärt der Vertreter der | |
| alliierten Flüchtlingshilfe dem Schweizer Heimleiter. | |
| Den ficht das nicht an: „Kontrolliert alle Ausweise! Die über Zwölfjährigen | |
| rechts! Die unter Zwölfjährigen links!“ „Ich habe gemeint, in Schweiz ist | |
| es vorbei mit Selektionen“, wundert sich einer der Jugendlichen mit | |
| osteuropäischem Akzent, ein anderer meint: „Wir haben überlebt die Nazis, | |
| werden wir auch überleben die Schweizer!“ Und: „Sie hätte auch in | |
| Buchenwald arbeiten können!“ Sie sagt dann Sätze wie: „Ich befolge nur | |
| meine Anweisungen … Ich mache nur, was mir gesagt wurde.“ | |
| Macht sie natürlich am Ende doch nicht, weil sie ja eine der Guten ist, | |
| stets erkennbar an den inneren Konflikten, die nur sie mit sich austragen | |
| müssen. Sie heißt übrigens Klara (Annina Walt) und ist die Tochter des | |
| örtlichen Textilfabrikanten. Durch Klaras Arbeit in dem Flüchtlingsheim | |
| wird den Traumata der Buchenwald-Überlebenden viel Raum in der Serie | |
| eingeräumt. In der Schweiz erfahren sie institutionelle Bürokratie und | |
| Klaras Empathie – einer der jungen Männer, Herschel (Jan Hrynkiewicz), auch | |
| mehr. Dabei ist sie eigentlich mit Johann (Max Hubacher) verheiratet, der | |
| bald die Leitung der Fabrik von ihrem kränkelnden Vater übernimmt. | |
| ## Nazis geben sich als Widerstand aus | |
| „Es ist eine schwierige Zeit für unser Land. Wir haben unseren wichtigsten | |
| Handelspartner verloren und sind politisch isoliert. Für die Schweiz fängt | |
| der Krieg jetzt erst an“, sagt ihm ein Nationalrat. Eine neue Kunstfaser | |
| könnte die Lösung für alle wirtschaftlichen Probleme sein: „Genau so gut | |
| wie Nylon, nur viel billiger!“, verspricht der Chemiker, der ein Deutscher | |
| ist und als solcher der Gegenstand von Johanns innerem Konflikt: „Ich kann | |
| keinen Nazi einstellen, der sich irgendwie schuldig gemacht hat.“ „In der | |
| Partei sein, heißt noch lange nicht, dass man ein Nazi ist, ja! Da muss man | |
| schon differenzieren“, belehrt ihn Klaras Onkel (Stefan Kurt). | |
| Und wir wundern uns nicht, wenn wir bald von dessen Verbindungen zu einem | |
| undurchsichtigen deutschen Anwalt (Stephan Bissmeier) erfahren, der angibt, | |
| für den Widerstand gearbeitet zu haben, aber wohl doch viel eher ein | |
| veritabler Altnazi sein dürfte. Diese aufzuspüren, sei es auch in der | |
| eigenen Verwandtschaft, ist wiederum der Job von Johanns Bruder Egon | |
| (Dimitri Stapfer) bei der Schweizerischen Bundesanwaltschaft. Des dritten – | |
| guten – Protagonisten im Bunde. | |
| Die Sätze, die er zu hören bekommt, haben mitunter deklamatorischen | |
| Charakter: „Wenn man Geld hat, findet man hier bei euch Schweizern doch | |
| immer Freunde. Egal, was man verbrochen hat.“ Die „perverse Situation“, | |
| dass sich 1945 Täter und Opfer des Holocaust gleichzeitig in der Schweiz | |
| aufhielten, war für die Drehbuchautorin Petra Volpe der Ausgangspunkt für | |
| ihre Serie. | |
| Dass einige der Figuren eher hölzerne Funktionsträger sind, liegt | |
| vielleicht in der Natur und an der Aufgabe so einer Serie. Dass die | |
| Schweizer ein eher betuliches Erzähltempo pflegen, [3][kennen wir von ihren | |
| „Tatorten“]. Die drei Hauptdarsteller allerdings spielen überhaupt nicht | |
| hölzern und betulich auf. Die Frage, wie sich Klara zwischen Johann und | |
| Herschel entscheiden wird, bleibt auch jenseits aller Aufarbeitung | |
| spannend. | |
| 25 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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