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# taz.de -- Künast und Beckstein im Streitgespräch: „Antikapitalismus der 7…
> Die Berliner Grüne Künast und der Nürnberger Schwarze Beckstein über
> Verbote, Schweinshaxen – und ein Bündnis von Union und Grünen.
Bild: „Das ist ein Schmarrn…“ (Beckstein) – Sie sind offenbar zu feige�…
taz: Frau Künast, Herr Beckstein, wir treffen uns hier im Bundestag. Wie
sind Sie hierhergekommen? Fahrrad, Auto, Flugzeug?
Günther Beckstein: Ich wohne in Nürnberg. Ich bin von zu Hause mit dem Bus
zur U-Bahn gefahren, mit der U-Bahn zum Bahnhof, mit dem ICE nach Berlin
und vom Bahnhof hierher gelaufen. Ich bin also vorbildlich hergekommen.
Sie meinen: 1:0 für die ergrünte CSU?
Renate Künast: Das fängt ja schon mal gut an. Ich zweifle, ob das typisch
für die CSU ist.
Haben Sie ein Auto?
Künast: Nein, in Berlin braucht man eigentlich kein Auto. Ich bin
begeisterte Zugfahrerin.
Beckstein: Meine Frau und ich haben ein Auto.
Also zwei?
Beckstein: Ja. Und ich brauche es. Ich bin noch immer allerhand beruflich
unterwegs. Mit einem eigenen Pkw, der übrigens ein Diesel ist …
Künast: … jetzt steht es eins zu eins …
Beckstein: … und nur 4,7 Liter verbraucht. Umweltschonend zu leben ist auch
für einen CSU-Mann meiner Generation ein Ziel. Die Schöpfung zu bewahren
ist eigentlich ein erzkonservatives Anliegen. Die Grünen tun das eher
ideologisch.
Künast: Wenn Sie mir Ideologie unterstellen, werden wir nicht miteinander
klarkommen.
Beckstein: Ich habe es vorsichtig formuliert: eher ideologisch. Ich
erinnere an den Veggie-Day.
Frau Künast hatte 2013 einen Veggie-Day in Kantinen vorgeschlagen. Die
Grünen haben diese Position damals zurückgenommen. Ist die Verbotsdebatte
noch aktuell?
Künast: Wenn die CDU/CSU weiterhin glaubt, sie könnte die Grünen als
Verbotspartei angreifen, täuscht sie sich. Ich reagiere auf den Vorwurf,
wir seien eine Verbotspartei, eigentlich nicht mehr. Oder ich drehe den
Spieß um. Wenn beim Essen manipuliert wird, dann tun das nicht die Grünen.
Die CDU/CSU hingegen hat es jahrelang zugelassen, dass schon Kleinstkinder
mit gezielter, entwicklungspsychologisch überlegter Werbung adressiert
werden, damit sie überzuckerte hochverarbeitete Lebensmittel essen wollen.
Zum Beispiel Überraschungseier mit Figuren und Rollenspiel drin. Oder
sogenannte Frühstückscerealien. Die Wirtschaft arbeitet mit Psychologen und
Akustikdesignern, um Kinder zielgerichtet an diesen Konsum zu gewöhnen. Wir
haben heute ungefähr 15 Prozent Kinder mit Fettleibigkeit, alles
potenzielle Diabetiker. Sie essen zu viel billigen Zucker, trinken zu viele
Softdrinks.
Das macht Kinder übergewichtig, weil Zucker fett macht, und bringt den
Insulinspiegel durcheinander. Diese Zehn-, Elf-, Zwölfjährigen mit
chronischen Erkrankungen werden ihr Leben lang Chronikerbehandlung
brauchen. Die andere Seite dieser Industrie, die Kinder krank macht, ist
der Raubbau, die Rodung von Wäldern, um Zuckerrohr als Monokultur
anzubauen.
Beckstein: Zucker wird in Niederbayern aus Rüben hergestellt. Ich bin sehr
wohl dafür, über Gefahren aufzuklären. Aber man kann niemanden zwingen,
sich in einer bestimmten Weise zu ernähren. Man muss die Einzelnen in die
Pflicht nehmen, wenn sie zu viel fressen und saufen. Ich habe selbst
Probleme mit dem Gewicht. Ich wiege mich laufend und stelle fest: Ich esse
nichts und nehme zu. Es ist ungerecht.
Künast: Sie veralbern das Thema. Nehmen wir Adipositas. Das betrifft vor
allem finanziell Schwächere und Bildungsferne. Mehr als die Hälfte der
Männer hat massives Übergewicht und daraus folgende Erkrankungen. Und die
sind überproportional in gesetzlichen Krankenkassen. Die einen machen mit
billigen Rohstoffen wie Zucker Riesenprofite, die Folgen zahlt die
gesetzliche Krankenkasse. Das ist nicht in Ordnung.
Beckstein: Es ist die Eigenverantwortung der Menschen, darauf zu achten,
nicht so viel zu essen und trinken, dass es ihrer Gesundheit abträglich
ist. Das Problem ist in Bayern wahrscheinlich noch größer als in Berlin.
Die Ernährungsgewohnheiten im Bierzelt sind nicht gesund.
Künast: Man wird nicht von einer Schweinshaxe dick. Man wird vom Zucker
dick. Von all den Produkten, die als Mittel zum Leben dargestellt werden,
aber Süßigkeiten sind – also keine Grundnahrungsmittel.
Beckstein: Jeden Tag Schweinshaxe ist auch ungesund.
Künast: Herr Beckstein, Sie wollen an das Thema einfach nicht ran. Es geht
mir nicht um Zwang. Aber wir können nicht zulassen, dass Kinder beim
Fernsehgucken oder im Internet mit Werbung beballert werden, damit sie
diese für Kinder produzierten Zuckerbomben essen sollen.
Beckstein: Ich höre bei Ihnen, Frau Künast, dass es immer noch mehr Regeln
geben soll, Verbote ohne Ende, die nicht einmal kontrolliert werden können.
Soll denn im Haushalt überprüft werden, wie ich mein Essen koche?
Künast: Natürlich nicht! Es geht um unsere gesamte Ernährungsumgebung. Wenn
die vollwertig und pflanzlicher wird, bleibt genug Raum für Süßigkeiten und
Wein.
Beckstein: Ich setze nicht auf Verbote, sondern auf Aufklärung über gesunde
Ernährung. Ich weiß, dass es schwierig ist, Kindern und jungen Leuten
gesunde Ernährung beizubringen.
Künast: Warum ist das so schwierig? Weil eine Industrie viel Geld damit
verdient und geschickte Werbung sie manipuliert.
Beckstein: Haben Sie Enkel?
Künast: Nein.
Beckstein: Entschuldigung, Sie haben keine Ahnung, wie das ist. Meine Enkel
essen ganz von sich aus gerne Gummibären.
Künast: Jetzt müssen wir streiten. Ich habe Patenkinder. Ich mache auch mit
Kindern zusammen Eis, koche Königsberger Klopse, weil sie das mögen. Dass
Sie Enkel haben, ist kein Grund, mir zu sagen, dass ich keine Ahnung hätte.
Beckstein: Auf gesunde Ernährung zu achten liegt in einer freien
Gesellschaft in der Selbstverantwortung der Menschen. Ich glaube, Sie
überschätzen die Wirkung von Werbung und unterschätzen die Verantwortung
der Eltern.
Künast: Herr Beckstein, das ist aus der Zeit gefallen. Die Industrie macht
Milliarden Umsatz, gibt Unsummen für Werbung speziell adressiert an Kinder
aus. Das sehen nicht nur wir Grüne so. 150 Kinderärzte haben gesagt, wir
müssen dringend was tun. In unser beider Jugend gab es hin und wieder ein
Stück Schokolade. Die Kinder heute wachsen mit Süßigkeiten und Fastfood
auf. Die Leute sollen essen, was sie wollen. Aber wir brauchen eine andere
Ernährungsumgebung. Das sagt die WHO, das sagt selbst ein Gutachten aus dem
Ministerium Klöckner.
Beckstein: Zucker ist ein problematischer Rohstoff, der bei uns viel zu
viel verwendet wird. Es ist richtig, dass in der Ernährungsberatung die
zuckerreduzierte Ernährung im Bereich Kindergarten, Schule, gerade bei
Ganztags- und Krippeneinrichtungen, betont wird. Das ist Standard und
nichts Neues. Zucker ist in Marmelade, Cola, der Pizza, im Kuchen, in
Pudding, Nürnberger Lebkuchen, praktisch in fast allen Genussmitteln. Soll
man für Schokolade und Pizza nicht mehr werben dürfen?
Künast: Mein Punkt ist: Keine spezifisch an Kinder adressierte Werbung.
Werbung für Nürnberger Lebkuchen und Marmelade ja, aber keine Werbung mehr,
die Jüngere gezielt anspricht.
Beckstein: Eltern sollten den Medien- und Fernsehkonsum der Kinder extrem
reduzieren. Meine Enkel wissen nicht, was Werbung ist. Und zum Frühstück
gibt es Gurken und Obst.
Künast: Da sind Ihre Enkel nicht typisch. Wir reden doch nicht über
individuelle Fälle, wir reden über eine Struktur. Da hören Sie weg.
Natürlich ist die Erziehung durch Eltern wichtig. Zu sagen: Sollen die
Eltern und die Schule doch alleine sehen, wie sie das Problem angesichts
dieses Umfeldes in den Griff bekommen, ist zu wenig. Wenn berufstätige
Eltern k. o. nach Hause kommen und dann mit den Folgen der Strategien
internationaler Konzerne …
Beckstein: … das ist der Antikapitalismus der 70er Jahre …
Künast: Herr Beckstein, soll ich Ihnen auf diesem Niveau antworten?
Beckstein: Das ist ein Schmarrn, ohne ernsthafte Substanz für die Politik.
Künast: Sie sind offenbar zu feige, Regeln durchzusetzen. Die
Wirtschaftskompetenz der Union besteht darin, möglichst keine Regeln zu
machen und die Wirtschaft ihren Profit machen zu lassen. Der Rest ist egal.
Beckstein: Im internationalen Vergleich haben die EU und besonders
Deutschland viele Regelungen. Wir regulieren mehr als in den USA oder
China. Politik hat eine ordnungspolitische Funktion. Aber wir können nicht
alles verbieten, was nicht absolut gesund ist. Der Wein ist nicht gesund,
wenn man zu viel trinkt. Das Bier ist nicht gesund, Cola nicht und
Trinkschokolade auch nicht, weil Zucker drin ist. Für all das soll keine
Werbung mehr gemacht werden dürfen …
Künast: Sie sind festgefräst in Ihrer Verbotsidee. Befreien Sie sich mal
davon.
Beckstein: Sie haben doch von Werbeverbot geredet.
Künast: Bei Alkohol und Zigaretten ist Werbung in Richtung Kinder oder
Jugendliche verboten. Warum nicht bei Zucker? Viele Staaten haben genau das
gemacht.
Herr Beckstein, wird die Union die Grünen im Wahlkampf als Verbotspartei
angreifen?
Beckstein: Ich sehe bei Frau Künast eine nahezu unbeschränkte Bereitschaft
für Verbote. Das beginnt bei der Frage, was man isst, und endet dort nicht.
In so breitem Umfang mit Verboten zu arbeiten, richtet in einer
freiheitlichen Gesellschaft massiv Schaden an. Verzichtsbereitschaft und
Einschränkungen bei unserem Lebensstandard werden nicht funktionieren. Nach
meiner Überzeugung sind die Grünen eine Partei der Verbote. Wie stark wir
sie angreifen, das wird auch von ihrem Wahlkampf abhängen.
Künast: Herr Beckstein, ich glaube, dass die Union zwei tote Pferde reitet.
Das eine tote Pferd ist das Schlagwort Verbotskultur. Die Menschen sehen
längst, dass es bei uns Dinge gibt, die so einfach nicht mehr gehen – weil
die Umwelt zerstört wird, weil falsch verstandene Freiheiten von Konzernen
die individuellen Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger einschränken. Da
schreckt sie Ihr Kampfbegriff aus den Achtzigern wirklich nicht mehr. Das
andere eine tote Pferd ist das Argument, wir müssten an Arbeitsplätzen
alter Prägung festhalten. Dabei beschäftigen die erneuerbaren Energien mehr
Menschen als die Kohle.
Achten Sie auf Ihren ökologischen Fußabdruck? Wissen Sie, wie viel CO2 Sie
emittieren?
Beckstein: Ich achte nicht immer darauf. Wenn es keine großen Umstände
macht, wähle ich die umweltfreundlichere Variante. Das Rindersteak ist sehr
viel umweltschädlicher als die Nürnberger Bratwurst, mein Lieblingsfleisch.
Da passt es sowieso. Aber ein ethisches Schuldgefühl, weil mein
ökologischer Fußabdruck höher ist als bei anderen Menschen, habe ich nicht.
Wenn man beruflich viel reist, emittiert man zwangsläufig viel mehr CO2.
Künast: Ich achte darauf. Aber als Europäerin verursache ich im Alltag
einen viel, viel höheren CO2-Ausstoß als jemand, der in Indonesien, Indien
oder Tansania lebt. Ich habe für dieses ethische Problem keine Lösung, aber
so zu tun, als gäbe es diese moralische Frage nicht, führt auch nicht
weiter. Es ist für mich Ansporn, zu überlegen, was ich anders machen kann.
Wie gefährlich ist der Klimawandel? Drohen apokalyptische Szenarien?
Künast: Ja, dann sind wir dem Untergang geweiht.
Beckstein: Nein, die Erde ist stärker.
Künast: Aber ohne uns.
Beckstein: Nein, auch wenn es ein paar Grad wärmer wird, ist das nicht das
Ende. Ich vertraue darauf, dass die Kraft der Schöpfung stärker ist. Wir
sollten uns nicht einbilden, dass wir die Energie hätten, alles zu
ruinieren. Wir müssen jetzt schauen, wie wir CO2-freieTechniken, die
marktfähig sind, auf den Weltmarkt bringen.
Künast: Körpersprachlich ausgedrückt, bedeutet ihre Position: Sie lehnen
sich zurück und sagen: „Wir müssen uns kümmern und eines Tages eine
technische Lösung finden.“ Nein, das reicht nicht! Wir müssen uns heute
richtig anstrengen und bei Verkehr, Energie und Landwirtschaft schnell
Maßnahmen ergreifen, die etwas nutzen, um Treibhausgase zu reduzieren und
dabei Perspektiven aufzeigen. Junge Leute verstehen diese Umweltgefahren,
es geht ja auch um ihre Zukunft.
Beckstein: Ich nehme wahr, dass junge Leute sagen: Die Welt geht innerhalb
der nächsten 30 Jahre zugrunde, wenn wir nicht sofort radikal einsparen.
Ich halte diese Untergangsideen für falsch. Wir werden nur dann etwas auf
den Weg bringen, wenn die entwickelten Staaten, die USA, Deutschland,
vielleicht auch China, Techniken zur Verfügung stellen, um die CO2-Emission
zu bremsen. Die Menschen werden nicht auf Wohlstand verzichten, damit die
Temperatur nicht so sehr ansteigt. Auch die Grünen nicht.
Künast: Natürlich geht die Welt nicht in 30 Jahren unter. Das behauptet
Fridays for Future auch nicht. Aber das Leben wird mit viel mehr Wetter-
und Temperaturextremen in vielen Bereichen ganz anders sein als heute. Mit
Greta Thunberg gesagt: „The house is on fire.“ Es gibt heute schon global
Fluchtbewegungen, die mit dem Klimawandel zu tun haben. Wir haben global
Dürren, Waldbrände, Wasserknappheit. All das wird zunehmen. Das ist doch
allen klar, von der UN bis zur EU-Kommission. Und wahrscheinlich eigentlich
sogar der CSU.
Beckstein: Selbst wenn Deutschland null Emissionen hätte, rettet das das
Klima der Welt nicht. Dafür müssen wir die großen Emittenten wie die USA,
China, Brasilien, Indien im Boot haben. Das wird aber nur gelingen, wenn
wir zeigen können, dass die Umstellung auf CO2-freie Energieerzeugung auch
wirtschaftlich tragfähig ist.
Das ist noch nicht der Fall. Es wird zu teuer werden. Wind und Sonne sind
leider sehr unregelmäßig. Es ist bis heute nicht gelungen, kostenmäßig
halbwegs vernünftige Speichermedien zu finden. Weder die Batterie noch die
Versuche mit Pumpspeicherwerken, Windmühlen oder Wasserstoff waren bisher
erfolgreich. Wir haben es noch nicht geschafft zu zeigen, dass die
CO2-freie Energieerzeugung der überlegene Weg ist. Der Weg, den wir gehen
müssen, ist der, als Hightechland zu zeigen, dass die Reduzierung des
CO2-Ausstoßes ohne ernsthafte Wohlstandsverluste möglich ist.
Künast: Ja, ein wichtiger Teil unserer Klimapolitik ist, dass wir
vormachen, wie der Umbau der Wirtschaft gelingt. Deutschland muss als
viertgrößte Industrienation Vorbild sein. Wir haben mit dem Pariser
Klimaabkommen einen Kompromiss geschlossen – eine maximale Steigerung um
1,5 Grad ist der Pfad, auf den wir kommen müssen. Viele sagen, man müsste
mehr tun. Wir werden das in Paris fixierte Ziel nur erreichen, wenn wir das
Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln und eine Kreislaufwirtschaft
entwickeln. Das muss man radikal umsetzen.
Wir haben keine Zeit mehr. Wenn wir bis 2030 die ersten großen
Reduktionsziele erreichen wollen, müssen wir aufhören, mit öffentlichen
Geldern das Alte zu konservieren. Jedes Gesetz muss daran gemessen werden,
ob es mit den Zielen von Paris vereinbar ist. Vor jede Maßnahme gehört der
Prüfungsmaßstab: Hilft sie das Klimaziel von 1,5 Grad zu erreichen? Wie
soll ich das sonst meinen Kindern und Kindeskindern erklären?
Beckstein: Ich wehre mich dagegen, das Abkommen von Paris zu einer Art
Religion zu stilisieren. Wenn Religion im Spiel ist, wird’s immer wieder
auch fanatisch – und Fanatismus hat noch keinem Ziel gutgetan, so legitim
das Ziel an sich auch sein mag.
Künast: Das ist keine Religion, sondern ein völkerrechtlicher Vertrag!
Deutschland hat ihn unterschrieben und der Bundestag hat zugestimmt. Mit
den Stimmen von CDU und CSU! Das sind die Parteien mit dem Wort
„christlich“ im Namen, und das bedeutet ja wohl auch, Verantwortung zu
übernehmen.
Beckstein: Das Abkommen von Paris legt ein Ziel fest, und zwar ein nicht
strafbewehrtes Ziel. Das Abkommen wird nur dann funktionieren, wenn nicht
nur Deutschland sich daran hält.
Künast: Aber wir müssen gemeinsam losgehen. Schon im Interesse der
Enkelgeneration. Im internationalen Klimaindex steht Deutschland auf Platz
19 von 61 Staaten. Bei den Erneuerbaren liegt Indien vor uns.
Frau Künast, Sie konnten sich 2013 Schwarz-Grün im Bund nicht vorstellen.
Jetzt ist das anders. Warum?
Künast: Wir haben uns weiterentwickelt. Wir Grüne haben früher die blinden
Stellen der anderen kritisiert. Heute machen wir Angebote für die ganze
Palette der Politikbereiche. Deshalb machen wir der Union viel ernster
Konkurrenz als vor 20 Jahren. Wir haben jetzt eine Gesamtverantwortung.
Wenn CDU/CSU und Grüne in Verhandlungen zu einem gemeinsamen Ergebnis
kämen, müsste dieser Kompromiss eine breitere Gesellschaft einschließen.
Wir werden die notwendigen Transformation nur mit Bündnissen hinkriegen.
Das schließt die IG Metall ein. Es nutzt nichts, Konfrontationen zu suchen.
Und deshalb kann man heute darüber reden, ob wir mit denen koalieren, mit
denen wir es uns in unseren Gründungszeiten am wenigsten vorstellen
konnten. Genauso wenig wie die Union.
Beckstein: Vor 20 oder 30 Jahren wäre es mir extrem schwergefallen,
überhaupt darüber nachzudenken, mit den Grünen zu koalieren. Damals waren
die Grünen gegen parlamentarische Gremien, sie wollten das System völlig
verändern. Aber es ist eben eine große Stärke der Demokratie, dass sie
viele in dieses System integrieren kann. Das ist bei den Grünen
offensichtlich erfolgt.
Künast: Ich war nie desintegriert – und die Grünen waren es auch nicht.
Sonst wäre das Land nicht wie es heute ist. Sie verwechseln Kritik und
Protest mit der Ablehnung eines Systems. Wir hatten nur eine andere
Vorstellung. Ich kann dagegenhalten: Wir als Grüne haben die CDU/CSU in der
Demokratie gezwungen, sich zu verändern.
Beckstein: Die Grünen haben sich natürlich verändert und halten sich an
Regeln, die sie früher ignoriert haben. Ich erinnere mich noch an die Zeit,
als die Grünen in die Parlamente einzogen, sich aber nicht an die Regeln
hielten und die sitzungsleitenden Präsidenten vor lauter Ordnungsrufen zum
Schwitzen brachten. Sie wollten keine normale Partei sein – Rotation in
Ämtern und Mandaten waren eherne Grundsätze.
Die Grünen sind zu einer normalen, aber, das muss ich zugeben, immer noch
interessanten Partei geworden, die sich ins demokratische Spektrum mit sehr
viel mehr Vorschlägen einbringt als zum Beispiel die SPD. Das ist ein
Grund, warum die Grünen im Moment so stark sind. Die strikt
atheistisch-fundamentalistischen Grünen, die es bei euch früher gegeben
hat, mit denen könnte die Union keine Koalition bilden. Aber mit den Realos
…
Künast: … wenn, dann kommen wir mit der ganzen Partei. Sie würden ja auch
die ganze CSU mitbringen, auch nicht schön für uns.
Beckstein: … bin ich mir sicher, dass eine Koalition machbar ist. Eine
Koalition wird viel Arbeit, ist aber im Prinzip möglich.
13 Apr 2021
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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