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# taz.de -- Sex als „eheliche Pflicht“: Mehr als unerfreulich
> Sex in der Ehe sei „obligatorisch“, urteilt ein Kassationsgericht in
> Frankreich. Ein unglaublicher Skandal, frauenfeindlich und sexistisch.
Bild: Rückschritt in längt vergangene Zeiten: Richter halten Sex in der Ehe f…
Scheidungsprozesse sind meistens für alle Beteiligten eine unerfreuliche
Sache, da werden gegenseitige Vorwürfe erhoben und manchmal die schmutzige
Wäsche aus dem Intimleben einer gescheiterten Partnerschaft gewaschen. Die
Justiz hat die schwere Aufgabe, sich ein unabhängiges Bild der Zerrüttung
zu machen und, falls möglich, die Verantwortung des Einen oder der Anderen
festzulegen.
[1][Im Fall der Französin, die in Versailles wegen versäumter oder
verweigerter ehelicher Pflichten im Bett vom Gericht für schuldig erklärt
worden ist], fällt es doch extrem schwer, an die Kompetenz und
Unparteilichkeit dieser Justiz zu glauben. Dies erst recht, wenn es stimmt,
dass der Mann der Beschuldigten selber von Berufs wegen Mitglied dieses
Justizapparats war oder noch ist.
Die Vorstellung, dass dieser Gerichtsentscheid aus diesem Grund oder vor
diesem Hintergrund dann auch noch von der höchsten Instanz, dem
Kassationsgerichtshof, abgesegnet worden, ist mehr als bloß unerfreulich.
Es ist, wie die Betroffene selber gesagt hat, ein Skandal und geradezu
unglaublich. Dass das Gericht umgekehrt ihr nicht geglaubt hat, als sie von
physischen und psychischen Brutalitäten ihres Ex-Gatten sprach, ist
bezeichnend und [2][verstärkt noch den Verdacht einer sexistischen
Voreingenommenheit].
Denn die Begründung des Urteils versetzt uns in eine andere Epoche, in der
die Braut nach der Hochzeitsnacht den Blutfleck auf dem Laken vorzeigen
musste und ein Eheschluss als Vertrag mit sexuellen Leistungen zum Zweck
der Fortpflanzung galt. Für gewisse französische Richter ist die hier
benutzte Vergangenheitsform offenbar unzutreffend, da sie davon ausgehen,
dass Sex in der Ehe obligatorisch sei. Haben sie schon mal gehört, dass
erzwungener Geschlechtsverkehr ohne Einverständnis eine Form von
Vergewaltigung ist, und dass in Frankreich fast die Hälfe aller sexuellen
Aggressionen auf das Konto der Lebenspartner oder Ex-Partner gehen?
Mit Duldung des Kassationshofs wird das Rad der Rechtsprechung in eine
Vergangenheit zurückgedreht, in der die Ehe gleichbedeutend mit sexueller
Unterwerfung und die Geschlechtergleichheit ein Fremdwort war. Es bleibt zu
hoffen, dass Frankreich vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in der
Form und in der Sache gerügt und rasch zur Räson gemahnt wird, damit dieses
unsägliche Kassationsurteil nicht zu einem Grundsatzentscheid wird, der den
Kampf für die sexuelle Selbstbestimmung um ein Jahrhundert zurückwerfen
würde.
19 Mar 2021
## LINKS
[1] /Scheidungsprozess-in-Frankreich/!5755003
[2] /Missbrauchsdebatte-in-Frankreich/!5743771
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Sexismus
Frauenrechte
Justiz
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
IG
Schwerpunkt Frankreich
Kolumne Stadtgespräch
Islamismus
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