# taz.de -- Schiffsbergung am Suezkanal: Der Welthandel steckt fest | |
> Seit Tagen versuchen Schlepper das im Suezkanal auf Grund gelaufene | |
> Transportschiff „Ever Given“ zu befreien. Auf Saugbaggern ruht alle | |
> Hoffnung. | |
Bild: Bei Ebbe schlägt die Stunde der Bagger, bei Flut die der Schlepper. Anso… | |
Suez taz | Langsam tuckert das Schlepperboot vom Hafen der Stadt Suez, am | |
südlichen Eingang des Suezkanals in Richtung Norden. Es ist stockfinster. | |
Außer ein paar anderen Schleppern ist nichts los auf dem für die | |
internationale Schifffahrt so wichtigen Suezkanal. Am Ufer scheint nur | |
wenig Licht von einigen der Dörfer herüber. Der Großteil des westlichen | |
afrikanischen Ufers besteht aus Feldern, im Osten auf der asiatischen Seite | |
erstreckt sich die unfruchtbare Wüste Sinai. Doch dann taucht sie langsam | |
am Horizont auf: Die „Ever Given“, das beleuchtete Containerschiff, ist | |
schon aus vielen Kilometern Entfernung auszumachen. | |
Je näher man kommt, desto deutlicher wird, wie gigantisch dieses Schiff von | |
der Länge und Breite von vier Fußballfeldern ist, das sich zu beiden Seiten | |
in die Ufer des Suezkanals gebohrt hat und das seit vergangenem Dienstag | |
die Fahrrinne zwischen den Kontinenten blockiert. Aber mit jedem Meter, den | |
sich der Schlepper nähert, sind es vor allem der Aufbau und die Höhe des | |
Schiffs, die einen den Kopf in den Nacken legen lassen. 50 Meter hoch und | |
400 Meter lang ist die Wand aus 18.300 Containern, die das Schiff geladen | |
hat. | |
Als sich der Schlepper der „Ever Given“ nun bis auf weniger als hundert | |
Metern nähert, erkennt man, dass es rund um das Schiff zugeht wie in einem | |
Bienenstock. Mehrere Schlepper wuseln auf der einen Seite des Schiffs. Ein | |
Superschlepper, der selbst gut zehnmal so groß ist, wie unser Boot, zieht | |
einen der schwimmenden Saugbagger in eine neue Position. Auf diesen | |
Saugbaggern ruht im Moment die ganze Hoffnung der Suezkanalbehörde. | |
Der größte unter ihnen, die „Mashour“, selbst 140 Meter lang, hat bereits | |
17.000 Kubikmeter Sand bewegt und sich der „Ever Given“ bis auf 15 Meter | |
genähert. „Ich weiß, dass die ganze Welt über das Bild mit den kleinen | |
Bagger gelacht hat, der am Ufer die Bugwelle freischaufelt, aber das ist | |
nur ein kleiner Teil der gegenwärtigen Operation“, sagt ein Matrose unseres | |
Suezkanalschleppers, der nicht namentlich genannt werden möchte. Er ist, | |
wie viele Mitarbeiter der Suezkanalbehörde, stolz auf seine Arbeit. | |
## Die Arbeiten laufen Tag und Nacht | |
Osama Rabei, Chef der Suezkanalbehörde möchte sich nicht festlegen, wie | |
lange es dauern wird, das Containerschiff wieder freizubekommen. „Das hängt | |
davon ab, wie die „Ever Given“ auf unsere Bemühungen reagiert“, sagte er… | |
einer ersten Pressekonferenz seiner Behörde am vergangenen Samstag. | |
Immerhin konnten die Schiffsschraube und die Ruder am Samstag bereits ein | |
wenig bewegt werden. Im Moment liefen die Arbeiten Tag und Nacht in | |
mehreren Schichten. Dabei gibt es eine Arbeitsteilung je nach Wasserstand. | |
Bei Ebbe schlägt die Stunde der Bagger, bei Flut ziehen dann die Schlepper | |
an dem Monstrum, in der Hoffnung, dass die Bagger zuvor genug Sand | |
weggeschaufelt haben. Es ist die klassische Methode, ein auf Grund | |
gelaufenes Schiff wieder freizubekommen. Zunächst versuchen die Bagger dem | |
Schiff mehr Wasserauftrieb zu geben, dann treten die Schlepper in Aktion, | |
um mit horizontaler Kraft die Haftreibung des 220.000 Tonnen schweren | |
Schiffs zu besiegen. | |
Schaffen sie das nicht, tritt das in Kraft, was Rabei als „Plan C“ | |
bezeichnet. Zumindest ein Teil der 18.300 Container müssten dann gelöscht | |
werden, um dem Schiff Auftrieb zu geben. Aber das ist wahrscheinlich der | |
persönliche Albtraum des Kanalchefs. Denn das könnte die Öffnung des Kanals | |
um Wochen verzögern. In diesem Fall bräuchte man auch sicherlich mehr | |
internationale Hilfe, erwartet er. Denn weit weg vom Hafen wäre ein solches | |
Entladen der „Ever Given“ eine echte Herausforderung. Schon allein | |
deswegen, weil man einen 60 Meter hohen schwimmenden Container-Kran | |
heranschaffen müsste, um die obersten Container zu erreichen. Das Entladen | |
selbst wäre dann ebenfalls eine riskante Angelegenheit, weil je nachdem wie | |
viele Container an welcher Stelle an Deck entladen werden, die Stabilität | |
des Schiffes beeinflusst wird. | |
Bei der gegenwärtigen Operation des Baggerns, Ziehens und Schiebens der | |
Schlepper ist entscheidend zu wissen, wie genau sich das Schiff verkeilt | |
hat. So lautet die Lösung: „Wie rein, so auch wieder raus.“ Darüber aber, | |
wie es das gigantische Schiff von der Größe eines Wolkenkratzers überhaupt | |
geschafft hat, sich in diese Position zu manövrieren, will der | |
Suezkanalchef keine Angaben machen. Nur so viel gibt er preis: „Der Wind | |
war vielleicht einer der Gründe, aber sicher nicht der Hauptgrund.“ | |
Derartige Unfälle seien in der Regel das Ergebnis einer Kettenreaktion. | |
Dabei schließt Rabei technisches Versagen und gleichzeitig menschliches | |
Fehlverhalten nicht aus. Den Rest müsse eine Untersuchung ergeben, sagt er | |
auf der Pressekonferenz. | |
## Die Frage nach der juristischen Verantwortung | |
Gegen den Vorwurf, dass vielleicht die Kanalbehörde selbst falsch gehandelt | |
habe, wehrt Rabei sich. „Letztes Jahr haben wir 19.000 Schiffe sicher durch | |
den Kanal geführt, unsere Mitarbeiter sind professionell und gut geschult“, | |
sagt er. Auch, dass das Schiff für die Windlage zum Moment der Durchfahrt | |
zu groß war, lässt er nicht gelten. Kurz vor der „Ever Given“ sei ein noch | |
größeres Schiff ohne Probleme durch den Kanal gefahren – und das hatte | |
240.000 Tonnen geladen. | |
Einer der Gründe, warum er so vorsichtig ist, die möglichen Ursachen des | |
Unfalls zu benennen, ist sicherlich, dass an die Frage der juristischen | |
Verantwortung riesige Schadenersatzforderungen geknüpft sein werden. Denn | |
mit jeder Stunde, die die „Ever Given“ eine der strategisch wichtigsten | |
Wasserstraßen der Welt blockiert, entsteht der Weltwirtschaft, laut | |
Fachzeitung Lloyd’s List, ein Verlust von 400 Millionen Dollar. Dazu kommt | |
der Rückstau auf beiden Seiten des Kanals, der am vergangenen Samstag auf | |
326 Schiffe angewachsen war, die Waren im Wert von mindestens 10 Milliarden | |
Dollar mit sich führen. | |
Viele Schiffe stehen jetzt vor der Entscheidung zu warten oder beizudrehen | |
und die bis zu zwei Wochen längere Route um Afrika zu nehmen. Caroline | |
Becquart, Vizepräsidentin der Mediterranean Shipping Company (MSC), der | |
weltweit zweitgrößten Schiffslinie von Containerschiffen, warnt, dass es zu | |
ernsthaften Unterbrechungen der weltweiten Lieferketten kommen wird. „Das“, | |
so prophezeit sie, „ist eine der größten Störungen des Welthandels der | |
letzten Jahre. | |
Der Suezkanalschlepper fährt langsam durch die Dunkelheit, zurück nach | |
Suez. Die „Ever Given“ wird immer kleiner, bis ihre Lichter ganz | |
verschwinden. Irgendwie kaum zu glauben, dass an diesem friedlichen Ort, an | |
dem außer dem Tuckern der Schiffsmotoren und dem Wüstenwind nichts zu hören | |
ist, ein Teil des Schicksals des Welthandels entschieden wird. Der stolze | |
Matrose setzt sich kurz. „Immerhin, ein paar Zentimeter hat sich die Ever | |
Green in den letzten Stunden bewegt“, sagt er, um dann optimistisch | |
hinzuzufügen: „Wir werden es schaffen – Inschallah.“ | |
28 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Karim El-Gawhary | |
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