# taz.de -- Bremer Aktivist über die Verkehrswende: „Von Sicherheit profitie… | |
> Damit die Verkehrswende schnell geht und akzeptiert wird, brauche es gute | |
> Kommunikation, sagt der Gründer der Bremer Initiative „Einfach | |
> Einsteigen“. | |
Bild: Auch umstritten: Die Straßenbahn durch die Fußgängerzone in der Bremer… | |
taz: Herr Wege, gegen den Bau von Straßenbahnen wird oft geklagt. Ist die | |
Politik dagegen machtlos? | |
Mark Wege: Wenn die Politik Klagen wirklich verhindern wollte, müsste sie | |
ja die Rechte der Bürger*innen einschränken – ich glaube nicht, dass man | |
das machen sollte. Und es ist auch nicht zwingend notwendig. Es ist | |
sinnvoller, die Prozesse besser und transparenter zu gestalten und da | |
deeskalierender zu sein. Man wird Konflikte nie ganz vermeiden können, aber | |
durch bessere Kommunikation besteht die Chance, sie zu reduzieren. | |
Haben Sie ein Beispiel? | |
In Bremen wurde gerade mit dem Ausbau der Linie 1 nach Mittelshuchting | |
begonnen – nach Jahrzehnten Planung. Richtig eskaliert ist der Konflikt | |
erst, weil man gesagt hat, man nimmt den Leuten hier ihren geliebten | |
Ringbus im Stadtteil Huchting, weil man sonst nicht die Förderung vom Bund | |
bekommt. Und jetzt sagt man, nachdem das alles genehmigt ist, den Ringbus | |
können wir doch behalten. Da haben es sich einige Leute offensichtlich zu | |
leicht gemacht. Zumindest das Ausmaß des Konflikts hätte geringer sein | |
können. | |
Wie können wir neben besserer Planung auch die Mitbestimmungsmöglichkeiten | |
nutzen, die unsere Demokratie bietet, um das Klagerisiko zu minimieren? | |
Wir brauchen mehr Ressourcen in der Kommunikation. Noch ein Beispiel: Die | |
Anbindung der Überseestadt, eines recht neuen Bremer Stadtteils, bei dem | |
die ÖPNV-Anbindung aber völlig vernachlässigt wurde. Ich glaube nicht, dass | |
es da große Konflikte geben wird bei der Erweiterung der Straßenbahn. Es | |
hat Anfang März letzten Jahres eine öffentliche Veranstaltung gegeben, die | |
sehr offen und gut besucht war. Dort konnten die Leute ihre Mail-Adressen | |
abgeben. Und jetzt wurde im Februar das nächste Update zur Planung | |
veröffentlicht – und zwar in den Medien! Ich frage mich: Konnte man nicht | |
in der Zwischenzeit mehr in einen Austausch über Zwischenschritte gehen? So | |
wirft es die Fragen auf, wozu die Beteiligungsverfahren da sind und was sie | |
bringen. | |
Also muss die Politik Menschen mehr mitreden lassen. | |
Die Mitbestimmung an sich gibt es ja – die Kommunikation ist das | |
Entscheidende! Da muss wirklich mehr investiert werden. Warum gibt es nicht | |
eigene, transparente Strukturen für Fahrgastbeteiligung in Bremen? Man hat | |
auch den Eindruck, dass die Behörde gerne Dinge als Einzelmaßnahme | |
bearbeitet und sie nicht in den Kontext einer Gesamtperspektive einbettet. | |
Also fehlt die Vision? | |
Ja. Wenn vor meiner Haustür eine Straßenbahn gebaut wird, heißt das ja | |
aktuell noch lange nicht, dass ich am anderen Ende gut zu meinen | |
regelmäßigen Zielen komme. Deswegen haben wir auch kürzlich gemeinsam mit | |
dem BUND einen Vorschlag für so ein Gesamtnetz vorgestellt. Das könnte den | |
Leuten eine Idee davon geben, was sie am Ende auch davon haben. So ein | |
Konzept sollte es auch für die Verkehrswende in Bremen insgesamt geben. | |
Selbst wenn der ÖPNV ein Rückgrat darstellt, gibt es Leute, die fahren | |
lieber Rad, oder sind nur in begrenztem Radius zu Fuß unterwegs – oder | |
müssen aus Gründen mit dem Auto fahren. Für die muss die Gesamtidee | |
Verkehrswende greifbar werden. Wir werden nicht alle Leute aufs Rad | |
kriegen, es sollen auch nicht alle ÖPNV fahren – aber von mehr | |
Verkehrssicherheit und besserer Luft profitieren alle. | |
Muss die Politik den Leuten beim Straßenbahnausbau auch mal entgegenkommen? | |
Es muss schon die Bereitschaft geben, sich zu fragen: Ist es vertretbar, | |
mal einen Abschnitt eingleisig zu machen, bekommt man die Förderung dann | |
trotzdem? Oder könnte man die neuen Straßenbahnen mit Akkus nachrüsten, | |
sodass einzelne Abschnitte auch ohne Oberleitung zu fahren sind? | |
In der politischen Realität wird es wahrscheinlich immer die ein oder | |
andere Klage geben. Wie sollten wir damit umgehen? | |
Die Behörde muss mit deutlich mehr Personal im Planungsbereich ausgestattet | |
werden, um mehr Straßenbahnausbau-Projekte parallel planen zu können. Wenn | |
es in einzelnen Bereichen zu längeren Verzögerungen kommt, kann man so an | |
einem anderen Projekt weitermachen. Dann muss niemand herumsitzen und | |
Däumchen drehen – und die Bürger*innen sehen, dass es trotzdem | |
vorangeht. Das funktioniert aber nur, wenn es eben einen großen, | |
langfristigen Plan gibt. | |
„Einfach Einsteigen“ sagt, die Mehrheit in Bremen will die Verkehrswende. | |
Woran machen Sie das fest? | |
Wir haben dazu vor der letzten Landtagswahl eine repräsentative Umfrage in | |
Auftrag gegeben. Zwei Drittel der Leute sagen, dass der Ausbau von ÖPNV und | |
Radwegen gefördert werden sollte – das ist sehr signifikant. Und wenn ich | |
„auf jeden Fall“ und „eher ja“ mal in einen Topf schmeiße, wollen fast… | |
Prozent der Leute, dass das auch zu Lasten des Autoverkehrs gehen soll. Und | |
auch ein großer Anteil an Autofahrenden erklärt sich bereit, vom Auto auf | |
den ÖPNV zu wechseln, sofern er ordentlich ausgebaut ist. | |
Das bestätigt den Eindruck, dass der Protest oft vom Einzelnen kommt, die | |
sehr laut sind. Und die Parole ist oft: „Not in my backyard“. Aber mal | |
ehrlich: Würden Sie okay damit sein, wenn in Ihrer Straße eine Straßenbahn | |
gebaut werden würde? | |
Vorausgesetzt, es wäre verkehrstechnisch sinnvoll: Das wäre toll. Eine | |
Straßenbahn wertet auf. Auch wenn ich persönlich viel mit dem Rad unterwegs | |
bin – wenn ich den ÖPNV brauche, ist es gut, wenn er in greifbarer Nähe | |
ist. | |
Aber davor wäre erst einmal Baulärm auszuhalten. | |
Der Bau ist doch am Ende egal. Selbst wenn das ein Jahr dauert, hat man das | |
ja nicht die ganze Zeit direkt vor der Haustür. Neue Straßenbahnen sind | |
auch ruhiger, vor allem verglichen mit dem aktuellen Verkehrslärm, der | |
durch Autos entsteht. An dieses Hintergrundrauschen haben wir uns einfach | |
zu sehr gewöhnt. | |
27 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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