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# taz.de -- Beikost-Trend Baby-led Weaning: Freiwilligkeit statt Brei-Fahrplan
> „Baby-led Weaning“ ist eine Alternative zum ewigen Brei. Babys essen bei
> den Eltern mit und sollen so früh lernen, Essen als Genuss zu begreifen.
Bild: Essen begreifen, Essen genießen – das ist die Idee von Baby-led Weaning
Mal ist es ein Brei-Flugzeug, mal ein Bananen-Adler im Sturzflug. Es gibt
Eltern, die lassen Löffel hubschraubergleich um die verschlossenen Münder
ihrer Kinder herumflattern. Der Erfolg ist dabei oft mäßig.
Jedes Baby kommt irgendwann an den Punkt, an dem es ab und an etwas anderes
möchte als die Mutter- oder Pre-Milch, die in den ersten Lebensmonaten die
einzige Nahrungsquelle ist. Damit beginnt die Zeit der Beikost, die den
schrittweisen Übergang hin zu „richtigem“ Essen begleitet. Die Milchzähne
sind gerade erst im Kommen, auch haben zahlreiche Kinder anfangs noch
motorische Schwierigkeiten.
Da ist Brei rein konsistenzmäßig ein logischer Sattmacher, der zudem
wichtige Zutaten für das Kind enthält – dafür stehen zumindest die
Hersteller mit ihrem Namen. Damit alles seine Ordnung hat, werden
regelrechte Brei-Fahrpläne erstellt, die vorgeben, in welchem Lebensmonat
welche Milchmahlzeiten mit welchen Breisorten ersetzt werden. Hinterfragt
wird all das in seiner Absolutheit selten. Und die Breiflugzeuge fliegen
weiter ihre vergeblichen Runden.
Christiane Meister ist Mutter einer kleinen Tochter. Als Alma sechs Monate
alt ist, entscheidet sich die Wissenschaftsjournalistin gegen Brei und für
„Baby-led Weaning“ (BLW). Seitdem wird im Hause Meister meisterlich dagegen
angekocht: und zwar gegen alles, was von Werbe- und Breiindustrie empfohlen
wird. Denn Baby Alma isst mit. Punkt.
## Gegessen wird, was auf dem Tisch steht
Baby-led Weaning – „Baby-geführte Entwöhnung“ – gilt als Trend aus En…
gibt es im Prinzip aber natürlich schon seit Urzeiten. Die Idee dahinter
ist, dass das Baby die Abkehr von der Muttermilch selbstständig und als
freiwilligen Prozess gestaltet. Auf das Füttern von Brei wird verzichtet,
das Kind bestimmt die Menge selbst und isst je nach Können mit den Händen,
was eben auf den Teller kommt. Sprich: den Teller der Eltern. Allerdings in
babygerechter Form.
Am Anfang reicht es, kleine Mengen von dem anzubieten, was die Eltern
essen. Laut dem Verband der Hebammen sollte das Baby Nahrung zum Mund
führen können – und wollen. Auch der Zungenstreckreflex, mit dem festes
Essen wieder aus dem Mund gestoßen wird, sollte nicht mehr da sein.
Im Detail sieht das bei den Meisters dann so aus: Trauben, Cocktailtomaten
oder Beeren werden wegen der Erstickungsgefahr halbiert – so können sie vom
Baby gegebenenfalls abgehustet werden. Die Ernährung ist salzarm, es gibt
kein rohes Fleisch, keinen rohen Fisch und keine Rohmilchprodukte. Zu
Beginn servierten die Meisters Kürbis, Karotte, Zucchini als Pommessticks
oder in Spalten geschnittene, gedünstete Äpfel, Birnen und Bananen.
Inzwischen isst Alma aber fast immer das, was auch ihre Eltern essen.
„Eines der ersten ‚richtigen‘ Essen, das Alma mitgegessen hat, war eine
Gemüsequiche. Bolognese mit Nudeln kam auch sofort gut an“, erzählt ihre
Mutter. Pro Woche gibt es einmal Fleisch, einmal Fisch. „Kürzlich hat Alma
das erste Mal Muscheln gegessen. Es gibt kein Fertigessen, das ist uns
wichtig.“ Und weil das Füttern entfällt, kann die Familie zusammen essen.
## Mehr Sinnlichkeit, weniger Überfütterung
Anhänger und Anhängerinnen von Baby-led Weaning sehen viele Vorteile. Einer
ist das Tempo. Breibabys werden in der Regel stur Löffel für Löffel
gefüttert und dabei kann es passieren, das Eltern nicht genau mitbekommen,
wann ihr Kind eigentlich satt ist. Greift das Baby jedoch eigenständig zu,
kann es einfach aufhören, wenn es genug hat. So könne auch späteres
Übergewicht verhindert werden.
Zudem können Babys die verschiedenen Genüsse sinnlich besser wahrnehmen.
Denn jedes Lebensmittel ist einzigartig, schmeckt anders, riecht anders,
fühlt sich anders an. Auch lernen Babys, früher den Mund zu benutzen und zu
kauen. Das wiederum soll bei der späteren Sprachentwicklung helfen.
Die Methode hat nicht nur Befürworter. [1][Kinderärzte befürchten], dass
eine mögliche Mangelversorgung entstehen könnte, zum Beispiel bei Eisen.
Auch weil der natürliche Eisenspeicher eines Säuglings nach sechs Monaten
aufgebraucht ist. Zudem könnten motorisch ungeschickte Kinder Probleme beim
Zugreifen haben.
## Die Milch macht's weiterhin
BLW-Anhänger entgegnen, das Baby erkenne instinktiv, welche Nährstoffe ihm
fehlen. Christiane Meister sieht das etwas anders: „Die Sorge ist nicht
völlig unbegründet, der Breifahrplan bietet schließlich eine gute Übersicht
über die Nährstoffe.“ Bei Alma befürchtet sie dennoch keinen
Nähstoffmangel: „Beim Baby-led Weaning geht es ja wirklich um Beikost. Den
großen Teil der wichtigen Nährstoffe bekommt Alma über die Mutter- oder
Pre-Milch“ – so empfiehlt es auch die WHO für das erste Lebensjahr. „Aber
trotzdem achten wir auf Abwechslung beim Essen“, sagt Meister. Man müsse
auch nicht warten, bis die ersten Milchzähne da sind: „Alma hat anfangs mit
dem Gaumen gekaut. So trainierte sie auch ihre Mundmuskulatur.“
Auch vor der Gefahr des Erstickens warnen Kritiker. Deshalb belegten Almas
Eltern extra einen Erste-Hilfe-Kurs. Zusätzlich haben Babys einen
Schutzmechanismus, denn bei ihnen liegt der Würgereflex weiter oben auf dem
Gaumen als bei Erwachsenen, sie würgen also früher. „Das ist dann gruselig,
das muss man aushalten“, sagt Christiane Meister. „Allerdings kann das auch
mit Brei passieren, der schließlich auch in die Luftröhre geraten kann.“
Für sie ist Würgen ein Teil des Essenlernens.
Auffällig findet Meister, dass viele Kleinkinder dazu neigen, die Freude am
Essen zu verlieren. Sie kann sich vorstellen, dass das Problem manchmal
auch bei den Eltern liegt: „Das Thema Essen ist bei vielen emotional
aufgeladen und wird auch gerne von Außenstehenden kommentiert. Isst das
Kind genug, isst es abwechslungsreich, nimmt es genug zu? Die Gedanken
kenne ich selber auch.“ Dabei könne die Freude am Essen auf der Strecke
bleiben. „Auch der oft empfohlene Breifahrplan wirkte auf mich so
technokratisch und genussfern“, sagt sie.
## Nicht #breifrei, sondern #breifreiwillig
Auf [2][ihrem Instagram-Blog „Genussbaby“] zeigt sie deshalb, wie viel Spaß
Essen machen kann: mit Fotos von Gerichten und frischen Zutaten, von Alma
beim Essen und Entdecken, mit Rezepten und Anekdoten. Dort isst Alma
übrigens auch mal Porridge. „Der deutsche Begriff #breifrei für Baby-led
Weaning ist irreführend“, schreibt Meister dazu. „Es geht darum, dass das
Baby früh die verschiedenen Konsistenzen von Essen kennenlernen kann. Dazu
gehört natürlich auch Brei.“ Allerdings kann das Baby selbst bestimmen, ob
es nicht lieber Fingerfood möchte.
Baby-led Weaning soll dafür sorgen, dass Kinder nicht zu kleinen
Suppenkaspern heranwachsen. Sie sollen vieles kennenlernen. Denn sie haben
eine angeborene Neophobie – die Angst vor Neuem. Mit dem zweiten Lebensjahr
wird das Essen kritischer betrachtet, auch weil die Geschmacksrezeptoren
auf der Zunge dann zunehmen und Bitteres deutlich stärker wahrgenommen
wird. Viele Kindergartenkinder sind schlechte Esser und lehnen alles ab,
was ihnen dubios vorkommt.
Christiane Meister möchte verhindern, dass Essen in ihrer Familie zum
Dauerthema wird, deswegen hat sie sich gegen eine reine Breiernährung
entschieden. „Mir ist es wichtig, mein Kind so zu erziehen, dass es kein
Rosinenpicker wird. Außer, es hat gerade Lust auf Rosinen.“
14 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.kinderaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/kinder-und-…
[2] https://www.instagram.com/genussbaby/
## AUTOREN
Amonte Schröder-Jürss
## TAGS
Babys
Ernährung
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Brei
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Frühchen
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Essen
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