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# taz.de -- Corona-Politik in Hamburg: Kein Raum für Kinder
> In Mümmelmannsberg stehen fünf Turnhallen leer, in denen die Elternschule
> Familien Bewegung und Beratung anbieten möchte. Die Stadt erlaubt das
> nicht.
Bild: Wichtig für Kinder, aber der Stadt keine Ausnahme wert: Bewegungsangebot…
Hamburg taz | Auch die [1][Elternschule Mümmelmannsberg] hält sich an
Abstandsregeln. Während die zwei Spiel- und Café-Räume normalerweise von
vielen Kindern und Eltern besucht werden, darf wegen des Lockdowns nur eine
Familie in einem Raum sein. „Die Kinder rennen hier gleich los. Man merkt
wie sie sich freuen, wenn sie endlich mal laut sein und sich bewegen
dürfen“, sagt Leiterin Birgit Sokolowski. Die Mütter nutzen die
Gelegenheit, ihre Sorgen loszuwerden.
Doch leider sei das Angebot begrenzt. Über 60 Familien stehen auf ihrer
Liste, kommen können pro Tag höchstens acht. Deshalb kämpft Sokolowski
seit neun Wochen dafür, die direkt benachbarten fünf Turnhallen der
Stadtteilschule Mümmelmannsberg nutzen zu können. Die Hallen stehen leer.
Und den Familien fällt in den beengten Wohnungen des Hochhausviertels die
Decke auf den Kopf. „Die Müttern sagen, ich werd’ zu Hause laut und meinen
Kindern nicht mehr gerecht. Denen kommen hier die Tränen.“ Dafür sei die
Elternschule jetzt wichtig.
Mit den Hallen, für die das Team ein Hygienekonzept erstellte, könnte man
allen Familien ein Angebot machen, das die Abstandsregeln berücksichtigt.
Die Elternschule kooperiert mit einem Verein, der dort psychomotorische
Bewegungsangebote für die Kinder macht.
Wir verabreden spontan einen Vor-Ort-Termin. Die Mutter Jenni Cueva kommt
vorbei mit ihren kleinen Töchtern. Die dreijährige schnappt sich gleich ein
Bobbycar und rollert durch den Raum, ihre siebenjährige Schwester hüpft auf
dem Trampolin, während wir mit Abstand und Maske auf kleinen
Kinderstühlchen sitzen. „Zu Hause ist nicht so viel Platz, die Kinder
dürfen nicht in die Kita und haben zu viel Energie“, sagt die Mutter. „Wenn
sie hierherkommen, toben sie sich aus.“
## Auch aktive Mütter kommen an ihre Grenzen
Cueva wohnt mit Mann und Schwiegermutter zu fünft in drei Zimmern. Wegen
der Nachbarn dürften die Kinder nicht laut sein. „Meine Tochter fragt mich
oft: ‚Mami, wann darf ich in die Elternschule?‘“. Doch war sie früher fa…
täglich hier, kann sie derzeit nur einmal die Woche für anderthalb Stunden
in die Elternschule kommen. „Das ist nicht genug.“
Draußen stürmt Orkan „Klaus“. Zur Tür herein kommt Hassina Ahmadzai mit
ihren drei kleinen Söhnen, die wegen des Wetters ihre Schneeanzüge tragen.
Die Elternschule ist Teil des kompakten Bildungszentrums von
Mümmelmannsberg, direkt im Nebenflur beginnt eine teppichbelegte große
Sozialfläche der Schule, die sich auch für Bewegungsangebote eignet. Die
Elternschule darf sie wegen Reinigungsmodalitäten aber nur spät nachmittags
für anderthalb Stunden nutzen. Birgit Sokolowski lotst uns rüber, damit die
Kinder spielen und wir uns mit Abstand unterhalten können.
Ahmadzai sagt, sie sei eine aktive Mutter, komme aber auch alleine zu Hause
mit den Kindern an ihre Grenzen. „Man kann mit ihnen rausgehen, aber das
geht bei dem Wetter nur eine Stunde am Tag.“ Sie hat heute mit ihren
Kindern schon Mühle und „Mensch ärgere dich nicht“ gespielt, danach Ticken
und Verstecken und mit bemalten Händen ein Bild erstellt. „Dass dauert
nicht mal 15 Minuten, dann räumt man wieder auf.“
Sie sei oft in der Elternschule, sagt sie. Als ihre Kinder Babys waren, sei
das die Rettung gewesen. Doch nun dürfe sie nur einmal alle 14 Tage kommen.
Sie hat deshalb auch schon an die Stadt geschrieben: Die Eltern im
Stadtteil wünschten sich sehr, dass die Elternschule die Turnhallen nutzen
kann. Zumal es dort eine tolle Kletterwand gibt, die in den Ferien sonst
immer die Attraktion war.
Doch die Hamburger Behörden haben den Antrag von Birgit Sokolowski
abgelehnt. Der Bezirk Mitte war dafür, der Schulleiter hatte auch sein Okay
gegeben. Doch erlauben musste dies die städtische Firma „Schulbau Hamburg“
– und die fragte beim Sportamt der Innenbehörde nach. Und das deutete nach
Rücksprache mit der Sozialbehörde die Paragrafen der
„[2][Eindämmungsverordnung]“ so, dass die Elternschule die Hallen nicht
nutzen kann.
Zwar solle die Familienhilfe weiter individuelle Angebote in Präsenz
aufrecht erhalten, doch das sei „nicht vorrangig“ gegenüber dem im Paragraf
20 verfügten Verbot von Sport in geschlossenen Räumen. So schreibt es der
rot-grüne Senat in der Antwort auf eine [3][Anfrage der Linken-Politikerin
Sabine Boeddinghaus]. Dafür spreche auch, dass explizit geregelt sei, dass
„bestimmter Dienstsport und Reha-Sport zulässig bleiben“. Erlaubt ist
demnach auch Training für Polizei und Feuerwehr. Mehr Ausnahmen möchte der
Senat nicht machen, auch um „Ungleichbehandlung“ von Vereinen zu vermeiden.
## Bewegung für Jugendliche auf Attest
Nun haben Psychomotorik-Angebote für Kinder, die in den 1990ern entwickelt
wurden, weil man feststellte, dass Kinder sich zu einseitig bewegen und
teils nicht mehr rückwärts laufen konnten, eine gesundheitliche Bedeutung.
Danach gefragt, ob dies weniger wichtig sei als Reha-Sport, versichert die
Innenbehörde: „Der Senat weiß um die Relevanz dieser Angebote.“ Sollten d…
Inzidenzzahlen unter 100 bleiben, könnte mit dem nächsten Öffnungsschritt
am 22. März wieder kontaktfreier Sport im Innenbereich möglich sein –
gegebenenfalls bei Vorlage eines negativen Schnelltests.
[4][Sabine Boeddinghaus sagt], der Senat hätte längst anders handeln und
die Hallen freigeben müssen. „Ich erwarte, dass er die Bedürfnisse der
Kinder und Eltern nach Bewegung und Beratung ernst nimmt.“
Sokolowski betont, dass es ihr gar nicht um Gruppensport, sondern um
Einzelangebote für die Familien gehe. Und die seien auch jetzt noch
wichtig, obwohl ab Montag die Kitas und Grundschulen wieder zeitweise
öffnen. „Solange die Hallen ungenutzt sind und die Kinder überwiegend zu
Hause, brauchen wir diesen Raum dort.“
Während wir auf der Sozialfläche sitzen, kommt auch Sozialarbeiter Yama
Waziri vorbei, der mit der Elternschule zusammenarbeitet. Er betreut
Jugendliche, die teils ärztliche Atteste für Psychomotorik haben. Für die
würde er gern im Stadtteil Bewegungsangebote schaffen. „Wir können damit
nicht warten, bis die Pandemie vorbei ist.“
14 Mar 2021
## LINKS
[1] https://www.hamburg.de/behoerdenfinder/hamburg/11324041/
[2] https://www.hamburg.de/verordnung/
[3] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/74394/angebote_der_elterns…
[4] https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/dokument/74568/angebote_der_elterns…
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Schule und Corona
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