# taz.de -- Iran in den 70er Jahren: Keine Liebe für Marxisten | |
> Naghmeh Sohrabi sprach in der Berliner American Academy über Liebe und | |
> Widerstand im Iran. Wie liberal war die Gesellschaft der 70er Jahre? | |
Bild: Die Historikerin Sohrabi stellt das Bild eines progressiven Irans vor 197… | |
Das westliche Narrativ des vorrevolutionären Irans der 1970er Jahre ist | |
eindeutig: Der Schah unterdrückte zwar seine Bevölkerung, im Allgemeinen | |
begriff man sich jedoch als frei, liberal und kulturell relativ westlich | |
eingestellt. Dass die damalige Gesellschaft so progressiv nicht war, legen | |
Untersuchungen von Naghmeh Sohrabi nahe. Die US-amerikanische Historikerin | |
forscht zur iranischen Geschichte und untersucht auch [1][die | |
Lebensrealität der militanten Widerstandsgruppen der 1970er Jahre]. | |
Dabei stieß sie auf einen Grundsatz, der in allen Gruppen zu gelten schien: | |
Liebe und Intimität waren unerwünscht. Diese Regel habe unter Islamisten | |
sowieso gegolten, aber auch die laizistische Linke hätten sich dem | |
unterworfen, sagte Sohrabi in einem digitalen Vortrag an der American | |
Academy in Berlin. | |
Konkret sprach sie über eine Geschichte, die sie von Zeitzeug:innen | |
immer wieder gehört habe: Die Liebesbeziehung zwischen Edna Sabet und | |
Abdollah Panjehshahi. Beide lernten sich kennen, als sie als Teil der | |
marxistisch-leninistischen Organisation der Volksfedajin (OIPFG) in einem | |
sogenannten „team house“ in Isfahan stationiert waren. „Team houses“ se… | |
ein elementarer Bestandteil der urbanen Guerilla gewesen, sagt Sohrabi. | |
In diesen Häusern lebten normalerweise drei bis vier | |
Widerstandskämpfer:innen unter falschem Namen, hielten sich für | |
bewaffnete Aktionen bereit, druckten Pamphlete oder fertigten | |
Molotowcocktails. Immer wieder wurden die klandestinen Unterschlupfe vom | |
iranischen Geheimdienst Savak enttarnt und angegriffen, sodass | |
Untergrundkämpfer:innen zusätzlich zur Waffe häufig eine | |
Zyanid-Kapsel bei sich trugen. | |
## In Maschhad ermordet | |
Sabet und Panjehshahi sollen 1977 einer die Organisation gefährdenden | |
Liebesbeziehung bezichtigt worden sein. Panjehshahi sei von seiner eigenen | |
Untergrundorganisation nach Maschhad zitiert und dort ermordet worden. | |
Wie soll es dazu gekommen sein? Sohrabi betont, dass religiöse Gefühle in | |
der Angelegenheit keine Rolle gespielt hätten. „Selbst diejenigen, die | |
komplett gegen eine islamische Republik waren, haben nie gesagt, er wurde | |
deswegen getötet“, sagt sie. Die Historikerin hat für ihre Forschung | |
zahlreiche iranische Zeitzeug:innen interviewt. Ihr Ziel sei es, „dass | |
die Menschen dieser Generation mein Buch in die Hand nehmen und sich darin | |
wiedererkennen können“. | |
Wie liberal waren die Iraner:innen also in der Schah-Zeit tatsächlich? | |
Sohrabi führt eine Studie aus den 1970er Jahren an, bei der Eltern zum | |
Sexualverhalten ihrer Töchter und Söhne befragt wurden. Das Ergebnis: Egal, | |
wie religiös oder wohlhabend die Befragten waren – dass ihre Kinder | |
Beziehungen vor der Ehe führten, hätte niemand gern gesehen. | |
## Sex im Ausland | |
„Wir denken uns den Iran von damals als progressives, westliches Land“, | |
sagt Sohrabi. Dabei habe die Bevölkerung vielerorts nicht so | |
fortschrittlich gedacht. Sie zeigt einen Artikel aus der iranischen | |
Zeitschrift Modern Woman von 1975. Darin wurden Eltern gewarnt, ihre | |
Töchter zum Studium ins westliche Ausland zu schicken. Sex und Pornografie | |
lauere dort an jeder Ecke. | |
Traditionell war die iranische Gesellschaft bis zum 20. Jahrhundert streng | |
patriarchal geprägt. Eine Säkularisierung kam erst unter dem | |
monarchistischen Pahlavi-Regime ab den 1920er Jahren in Gang. Doch das 1936 | |
eingeführte Verbot zum Tragen eines Schleiers ließ sich auch mit | |
repressiven Maßnahmen nicht durchsetzen, sodass religiöse Frauen ihn | |
trotzdem trugen oder das Haus nur noch selten verließen. | |
Doch könnte es für die Ermordung Panjehshahis nicht auch ganz andere Gründe | |
gegeben haben, Eifersucht etwa? Rivalitäten können natürlich auch ein | |
Faktor gewesen sein, meint Sohrabi. Die Geschichte werde ihr allerdings | |
immer als Beispiel für das Mantra „Liebe ist verboten“ erzählt. | |
## Verschiedene Faktoren | |
Sohrabi glaubt, dass verschiedene Faktoren die Ermordung Panjehshahis | |
bedingten. Ihre wahre Identität zu enthüllen, sei den | |
Guerillakämpfer:innen auch untereinander verboten gewesen. Es gab | |
Indizien, dass Panjehshahi diese nicht nur vor seiner Geliebten, sondern | |
auch vor den anderen „team house“-Bewohner:innen preisgab. Panjehshahi habe | |
das Protokoll möglicherweise einmal zu oft verletzt, so Sohrabi. | |
Was Edna Sabet betrifft, so entging sie einer Hinrichtung durch die OIPFG. | |
1978 wechselte sie zur Peykar, einer marxistischen Splittergruppe der | |
islamischen Volksmudschaheddin. Nach der Revolution und der Machtergreifung | |
der Islamisten wurde sie von diesen 1981 verschleppt und gefoltert. Ein | |
Jahr später wurde sie in der Haft ermordet. | |
1 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Julia Hubernagel | |
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