# taz.de -- Rassismus im Alltag eines Paares: „Es reicht, Afrikaner zu sein“ | |
> Es sind kurze Situationen, die weh tun: Häufig erlebt Amadou N'Diaye | |
> Rassismus. Protokoll aus dem Alltag eines schwarz-weißen Paares. | |
Bild: Bereiten ihre Kinder auf rassistische Erfahrungen vor: Tanja Gongala und … | |
Amadou N’Diaye: In Hannover werde ich auf der Straße oft angeglotzt. | |
Manchmal sagen die Leute auch was im Vorbeigehen, neulich hat einer „Bimbo“ | |
zu mir gesagt. Ich bin einfach weitergegangen. Aber manchmal will ich es | |
auch nicht so stehen lassen, wie neulich im Schwimmbad. Ich bin | |
Schulbegleiter für Kinder mit erhöhtem Förderungsbedarf und habe ein Kind | |
zum Schwimmunterricht begleitet. Ohnehin werde ich als Schulbegleiter | |
häufig erst misstrauisch beäugt, wenn ich neu an einer Schule bin. Die | |
Lehrer gehen oft ein, zwei Mal an mir vorbei und fragen mich beim dritten | |
Mal auf Englisch: „Do you need help?“ Ich antworte natürlich auf Deutsch, | |
sie bleiben manchmal bei Englisch. Dann fühle ich mich in meinem Körper | |
unwohl, als würden tausend Ameisen auf mir krabbeln und meine Haare zu | |
Berge stehen. | |
An dem Tag im Schwimmbad folgte mir eine Frau auf die Männertoilette. Sie | |
arbeitete offensichtlich im Schwimmbad. Als ich sie fragte, was sie im | |
Männerklo mache, sagte sie, sie wollte gucken, ob ich hier rauche. „Wie, | |
rauchen?“, fragte ich. Ich bin kein Raucher. Außerdem würde ich dazu doch | |
nicht auf die Toilette gehen. Ich weiß nicht, ob sie meinte, dass ich | |
Zigaretten rauche oder Marihuana, aber ich glaube nicht, dass sie einem | |
Weißen das unterstellt hätte. | |
Ich bin dann zur Rezeption gegangen um mich zu beschweren, ich war sehr | |
aufgeregt und wollte den Chef sprechen, aber sie baten mich nur, leise zu | |
sprechen. Ich habe gesagt „Nein, ich spreche laut und möchte hier nie | |
wieder so etwas erleben.“ Dann bin ich zur Antidiskriminierungsstelle | |
gegangen. Dort wurde ein Termin mit dem Chef des Schwimmbads vereinbart. | |
Ich habe ihm gesagt, sie sollen immer mal zwischendurch ihre Mitarbeiter | |
schulen. Er entschuldigte sich und bot mir an, an einem Schwimmkurs | |
teilzunehmen, aber ich weiß nicht. | |
Tanja Gongala: In unserer Nachbarschaft gibt es eine Gruppe, wir nennen sie | |
„die geschlossene Gesellschaft“, es sind nur Weiße. Die feiern zusammen | |
Kindergeburtstage, verabreden sich und bleiben unter sich, auch wenn wir | |
ebenfalls auf dem Spielplatz sind. Eines Tages war ich da mit dem damals | |
Dreijährigen und dem gerade Neugeborenen. Der Dreijährige spielte mit einem | |
Nachbarskind und plötzlich waren sie weg. Ich war so mit dem Baby | |
beschäftigt, dass ich sie kurz aus den Augen gelassen hatte. Da macht man | |
sich sofort Sorgen, viele Eltern und Kinder schwärmten aus und fanden die | |
beiden dann auch schnell mehrere Straßen entfernt, in der Nähe eines | |
Kanals. | |
Als Amadou dazukam, schimpfte er mit dem Dreijährigen, weil dieser sich so | |
weit entfernt hatte. Amadou war aufgeregt und in Sorge, sie gingen dann in | |
die Wohnung. Als ich mit dem Baby hinterher ging, guckten einige | |
Nachbarinnen mitleidig und meinten „Du Arme, jetzt kriegst du bestimmt | |
Ärger.“ Was haben die eigentlich für Fantasien, dass ich verprügelt werde, | |
weil ich nicht aufgepasst habe? Ich war sehr erstaunt. | |
Einmal hatte eine Bekannte einen Bericht über Senegal in der Zeitung | |
gelesen und war überrascht, dass es dort große Häuser aus Stein gibt, sie | |
hatte wohl gedacht, alle wohnen in Strohhütten. Ich merke an solchen | |
Situationen oft, dass die Leute unsicher sind und denken, wir seien total | |
anders. | |
Amadou N’Diaye: Wenn ich mich mit Leuten treffe, warte ich ungern auf der | |
Straße, weil ich dann oft nach Drogen gefragt werde. Manchmal sage ich | |
„Frag mich nie wieder so was und belästige auch nicht meine Brüder.“ Es | |
stört mich sehr, wenn Menschen mich nach Drogen fragen. Einmal wollte ich | |
mir deshalb schon meine Dreadlocks abschneiden. Aber es geht nicht um die | |
Dreadlocks, es reicht, Afrikaner zu sein. | |
Vor ein paar Jahren gab es eine Situation beim Schützenaufmarsch. Ich | |
trommele da jedes Jahr mit dem Freundeskreis Hannover. Der Aufmarsch | |
startet immer beim Landesmuseum. Mit ein paar Deutschen ging ich zum | |
Museum, wir wollten noch schnell auf die Toilette. Die Dame am Eingang ließ | |
alle rein, nur zu mir sagte sie „Nein, es ist geschlossen“, und streckte | |
ihre Hand vor meine Brust. Ich konnte das nicht verstehen, die Deutschen | |
ließ sie rein, aber mich nicht. Ich habe dann einen Termin mit dem Chef des | |
Landesmuseums gemacht, der war sehr nett, nahm sich viel Zeit zum Zuhören | |
und hat sich entschuldigt. Die Dame habe viel Stress gehabt an dem Tag. Ja, | |
okay, aber trotzdem hat sie mich nicht reingelassen, weil ich schwarz bin. | |
Tanja Gongala: Unser älterer Sohn hatte eine Phase in der Kita, wo er sich | |
sehr für Trommeln interessiert hat. Er suchte Trommelstöcke, Gegenstände, | |
auf denen man trommeln kann und bezog auch andere Kinder mit ein. Aber die | |
Erzieherin schätzte das gar nicht wert, sie kritisierten vielmehr, dass er | |
immer nur trommeln würde und gar nichts anderes könne – was nicht stimmte. | |
Das war sehr verletzend. Über die anderen Kinder sagten sie ja auch nicht | |
„Die spielen den ganzen Tag nur mit Autos und können gar nichts anderes“. | |
Trommeln wird gar nicht als etwas positiv Musikalisches wahrgenommen. Er | |
war in dem Kindergarten das einzige dunkelhäutige Kind, das war sehr | |
schwierig für ihn. Ich konnte auch nur schwer Kontakt zu anderen Eltern | |
aufbauen. Zu Kita-Festen sind wir immer bewusst beide gegangen, aber die | |
meisten haben uns nur angeglotzt, Abstand genommen, nichts gesagt und uns | |
beobachtet. | |
Unser Freundeskreis ist bewusst sehr vielfältig, wir sind auch Mitglieder | |
beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften, deshalb erleben wir | |
Rassismus im privaten Bereich nicht. Aber von Menschen, die uns nicht | |
kennen, höre ich manchmal: „Ach, dein Mann ist Afrikaner, wie sind die denn | |
so im Bett, stimmt es, dass die so Bombe sind?“ | |
Amadou N’Diaye: Mich hat mal ein erwachsener Mitarbeiter einer Werkstatt, | |
wo ich beruflich war, gefragt, ob ich meinen Penis abmachen und ihm geben | |
kann, weil meiner so groß sei. | |
Tanja Gongala: Wir versuchen, unsere Kinder darauf vorzubereiten, dass sie | |
rassistische Erfahrungen machen, und sie haben ja auch schon welche | |
gemacht. In der Grundschule ist es nicht mehr so schlimm wie in der Kita, | |
das liegt am Einzugsgebiet. Es gibt da mehr kurdische, arabische Kinder. | |
Unser älterer Sohn war mit einem kurdischen Jungen befreundet,bis er eines | |
Abends ganz traurig beim Abendbrot saß und erzählte, der kurdische Junge | |
habe gesagt: „Du bist nicht mehr mein Freund, weil du schwarz bist.“ | |
Unser Sohn dachte erst, es wäre ein Scherz, aber der andere Junge blieb | |
dabei. Ich denke, das kam von den Eltern. Ich habe mich an die Lehrerin | |
gewandt, sie hat dann im Unterricht thematisiert, dass alle gleich sind, | |
unabhängig von der Hautfarbe. Danach war es wieder gut, jetzt spielen sie | |
wieder miteinander. In der Kita früher wurde nie auf mich eingegangen, es | |
wurde immer gesagt „Wir sind die AWO, in unserem Leitbild steht, dass wir | |
für Toleranz stehen.“ Aber das reicht nicht. | |
Amadou N’Diaye: Ich versuche immer, unsere Kinder zu stärken, und sage | |
ihnen, sie sollen sich nicht ärgern lassen. | |
Tanja Gongala: Wir sind sehr aufmerksam und fragen sie immer, wie ihr Tag | |
war, was sie erlebt haben, und besprechen Situationen. Ich merke, dass es | |
ihnen wichtig ist zu merken, dass sie nicht die einzigen Kinder mit dunkler | |
Hautfarbe sind. Wir reisen auch mit ihnen in den Senegal. Das finden sie | |
gut und wollen da immer wieder hin. Die Herkunft ihres Vaters erleben sie | |
als etwas Positives, Stärkendes. | |
Amadou N’Diaye: Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft in Deutschland | |
aufhört, die Menschen wie Angehörige erster und zweiter Klasse zu | |
behandeln, je nachdem, wie hell die Haut ist. | |
Tanja Gongala: Damit das passiert, muss viel aufgearbeitet werden. Es gab | |
mal eine Ausstellung im Landesmuseum, da wurde ein Dokumentarfilm gezeigt, | |
in dem Menschen auf der Straße in Hannover gefragt wurden, was sie über die | |
Rolle Deutschlands in der Kolonialzeit wissen. Die meisten, auch junge | |
Leute, wussten gar nichts. Auch ich habe damals im Geschichtsunterricht | |
nichts über deutsche Kolonien gelernt. Ich weiß nicht, ob das heute immer | |
noch so ist, dass da nicht drüber gesprochen wird. Aber man muss zum | |
Beispiel auch in der Literatur und im Film darauf achten, dass nicht immer | |
alle weiß und blauäugig sind. Auch bei Kinderbüchern ist das schwierig, man | |
muss sehr suchen, aber dann findet man andere Protagonisten und Helden. | |
Amadou N’Diaye: Ich habe mal ein Kinderbuch gesehen, da ging es um Berufe. | |
Die weißen waren Polizist, Feuerwehrmann oder Arzt, nur der Müllmann war | |
schwarz. | |
28 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Katharina Schipkowski | |
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