# taz.de -- Dozentin über Anti-Rassismus-Schulungen: „Es geht darum, Macht z… | |
> Ikram Errahmouni-Rimi schult gegen rassistische Diskriminierung. Ein | |
> Gespräch über Schamgefühle und das Abgeben von Privilegien. | |
Bild: Ikram Errahmouni-Rimi vor einer Hauswand in Bremen | |
taz: Frau Errahmouni-Rimi, sind Sie es langsam leid, immer erklären zu | |
müssen, warum es rassistisch ist, Menschen immer wieder zu fragen, woher | |
sie kommen? | |
Ikram Errahmouni-Rimi: Wenn ich beruflich Schulungen anbiete, gehört das | |
einfach zu meinem Job. Ich finde, dass in Schulungen fast alle Fragen | |
erlaubt sind. Es gibt einfach Menschen, die von der Sozialisation her noch | |
nicht mit dem konfrontiert worden sind, was ihre eigene Sprache auslöst | |
oder welche Narrative sie reproduzieren. Das ist so das kleine … Alman-Eins | |
hätte ich fast gesagt … Das ist ja ein lustiger Versprecher (lacht). „Das | |
kleine Alman-Eins von Alltagsrassismus“. Ja, genau. | |
Und außerhalb der Schulungen? | |
Ich bin es leid, wenn das Kontexte sind, in denen ich das nicht erklären | |
muss. Insbesondere wenn ich mich überwinde, eine Frage zu beantworten und | |
mein Gegenüber eigentlich von vornherein keine Erklärung akzeptiert und | |
dann sofort in eine Abwehrhaltung gerät – als ob die Leute, die etwas | |
stört, der Fehler sind. Es wird eine Überempfindlichkeit suggeriert. | |
Woher kommt diese Abwehrhaltung? | |
Es tut erst mal weh, wenn man damit konfrontiert wird, dass den Dingen, die | |
man sagt oder denkt, rassistische Strukturen zugrunde liegen. Das sorgt | |
dann erst mal für den Impuls, das abzuwehren, weil man so nicht gesehen | |
werden will. Das ist ja eigentlich das paradoxe an der Sache, weil es dann | |
immer um die Sensitivität der Menschen geht, die sich rassistisch äußern | |
oder rassistisch handeln, und eigentlich nie um die Wahrnehmung der | |
Menschen, die es eigentlich betrifft. Das Ziel dieser Schulungen ist auch | |
zu verstehen, dass ein Teil dieses Problems diese Schambehaftetheit ist und | |
dieses Gefühl, angegriffen zu werden. Das Thema ist deshalb so | |
unbesprechbar, weil es mit etwas in Verbindung gebracht wird, was | |
allenfalls vor 70 Jahren mal ein Thema war … | |
… in der Nazizeit … | |
… und mit dem man sich nicht identifiziert. Menschen denken, rassistisch | |
sind nur Nazis. Solange es diese Narrative gibt, ist es schwierig, sich mit | |
eigenen Rassismen auseinanderzusetzen. In den Schulungen versuche ich zu | |
erklären, warum man durchaus auch rassistisch sein kann, ohne das zu | |
beabsichtigen. Und dann fängt der Job der Leute an. Dann ist die Frage: Was | |
machen die daraus? | |
Und was ist dann deren Job? | |
Deren Job ist, das erst mal sacken zu lassen. Und zu überlegen. Wenn sie zu | |
so einer Schulung kommen, werden sie damit konfrontiert, wie die | |
Wahrnehmungen von Betroffenen sind. Sie werden feststellen, dass es einen | |
kausalen Zusammenhang gibt zwischen dem Schmerz und den Verletzungen durch | |
die erfahrenen Rassismen und dem Ausschluss von materiellen und | |
immateriellen Ressourcen, der auch mit ihnen selbst zu tun hat. Sie | |
profitieren ja auch davon. | |
Und wie geht man damit um? | |
Es gibt zwei Wege. Der eine ist, bei dieser Abwehrhaltung zu bleiben. Dann | |
kann man das Gesagte auf die Sprecherin projizieren und sagen, ich hätte | |
keine Ahnung und ich wäre ideologisch eingefärbt. Den andern Weg erlebe ich | |
meistens bei Menschen, die sowieso schon reflektiert sind. Die sagen okay, | |
das fühlt sich nicht so gut an, aber ich denk einfach drüber nach. Das ist | |
der Job, den müssen sie selbst machen. Ich gebe nur Impulse. | |
Woher kommen denn diese Bilder, die wir alle im Kopf haben? | |
Rassistische Narrative sind auch heute noch geprägt von kolonialen | |
Wissensbeständen. Also die historische Entmenschlichung und Abwertung von | |
Menschen, um zu legitimieren, warum man eigentlich gegen Rechte verstößt, | |
die man selbst gemacht hat. Und diese Bilder wirken heute noch. Ich erlebe | |
häufig in Schulungen, dass es Menschen gibt, die sagen, „an diese und jene | |
Personengruppe will ich meine Wohnung nicht vermieten, weil die sind laut, | |
oder unordentlich“. Da wird dann die Entscheidung getroffen, bestimmten | |
konstruierten Gruppen keinen Zugang zu so etwas Essenziellem wie Wohnraum | |
zu geben. Das ist derselbe Mechanismus. Wenn ich eine Wohnung nicht bekomme | |
auf Grund meines Namens, weil der mit bestimmten Verhaltensweisen und | |
Eigenschaften verbunden wird, dann erhöht das zum Beispiel für Sie die | |
Chance die Wohnung zu bekommen. Menschen profitieren in vielen Fällen vom | |
Rassismus, den andere Menschen erleben. Und das ist, was weh tut. | |
Was sagen Sie denn zu Leuten, die angefangen haben, sich mit Rassismus zu | |
beschäftigen, aber dann Angst haben, was Falsches zu sagen und gar nicht | |
darüber sprechen können? | |
Na ja, also als aufrichtig erlebe ich das meistens nicht. Ich erlebe das | |
eher so im Sinne von „Man darf ja jetzt gar nichts mehr sagen“. Und „Ich | |
bin total verunsichert“, aber mit einer Überaffektiertheit. Wo man merkt, | |
das ist jetzt nicht wirklich so. Wo es so eine Inszenierung gibt, als | |
würden wir in einem Land leben, wo man nichts mehr sagen darf. Man darf | |
natürlich alles sagen. Aber man muss dann damit rechnen, dass man Gegenwind | |
bekommt. | |
Und wenn man wirklich verunsichert ist, weil man es richtig machen will? | |
Dann finde ich, eigentlich kann man das immer auch so deutlich machen. Also | |
nachfragen: „Wie darf ich dich ansprechen?“, oder von vornherein sagen: | |
„Korrigiere mich, oder bitte weis mich darauf hin, wenn ich irgendwas sage, | |
dass …“ In Schulungen zu diskriminierungssensibler Sprache geht es auch oft | |
um die Frage, was an „Migrationshintergrund“ als Personenbeschreibung so | |
problematisch ist oder am „Südländer“-Begriff oder „Wie bezeichne ich | |
eigentlich Kinder, die ein Weißes Elternteil und ein Schwarzes Elternteil | |
haben?“ Das sind dann Fragen, die ich total gut finde, weil Sprache im | |
Wandel ist und das davon zeugt, dass man was richtig machen will. | |
Warum ist es denn wichtig, eine diskriminierungssensible Sprache zu | |
verwenden? | |
Wenn man den Anspruch an sich hat, Menschen nicht beleidigen zu wollen oder | |
nicht verletzend zu sein, dann ist es eine gute Sache, sich damit | |
auseinanderzusetzen. Und dann kommt man zu Fragen nach Begriffen und „Sind | |
das eigentlich Selbstbezeichnungen oder sind das Fremdbezeichnungen? Wie | |
sind die historisch besetzt?“ Und man sollte verstehen, dass, wie wir | |
sprechen, auch häufig damit einhergeht, wie wir denken. Eigentlich ist es | |
eine Frage der Moral. Die Frage, ob man selbst an sich den Anspruch hat, | |
Menschen mit seiner Sprache weder auszuschließen noch zu diskriminieren. | |
Eine Kollegin hat mich gefragt, ob es eigentlich sinnvoll ist, wenn [1][wir | |
uns als eine komplett weiße Redaktion] hinsetzen, um über Rassismus zu | |
reden. | |
Meine Position wäre, sich erst mal darüber Gedanken zu machen, warum man | |
überhaupt in dieser Ursprungssituation ist. Das ist ja auch Teil des | |
Problems. Wenn wir darüber sprechen, wer wohin eingeladen wird und wem wie | |
eine Plattform gegeben wird, greift das aus meiner Sicht zu kurz. Es muss | |
darum gehen, wer eigentlich über die Macht verfügt, bestimmte Sachen zu | |
entscheiden. Eine Redaktion zu leiten, Themen zu platzieren, Leitlinien zu | |
formulieren. Also nicht nur zu fragen, wer darf mitsprechen, sondern wer | |
trifft Entscheidungen? Alltagsrassismus schön und gut, aber es steht und | |
fällt eigentlich alles mit der Frage nach Teilhabe. Auf allen Ebenen. | |
Was sollte man also tun? | |
Ich würde mir in der Redaktion erst mal die Frage stellen, warum sind wir | |
so zusammengesetzt, wie wir zusammengesetzt sind, welche Perspektiven | |
fehlen und welche Perspektiven haben wir hier nicht drin und warum haben | |
wir sie nicht drin? Und wie können wir da für eine Veränderung sorgen? Und | |
bei der Frage, wer soll und darf über Rassismus sprechen, finde ich ist es | |
total wichtig, mit Bündnissen zu arbeiten. So wie man Sexismus nicht ohne | |
die Solidarisierung von männlich positionierten Menschen bekämpfen kann. | |
Ich finde es grundsätzlich hilfreich, wenn nicht von Rassismus betroffene | |
Menschen Bildungsarbeit machen. Man muss nicht von etwas betroffen sein, um | |
sich dafür einzusetzen. | |
Ich hab das Gefühl, dass es ganz oft einen Konsens gibt in linken weißen | |
Räumen, dass Rassismus ein Problem ist, und trotzdem kommen diese Bündnisse | |
nicht zustande. | |
Ja, das ist ja vielleicht auch eine Frage von Klassismus. Wir sprechen von | |
Bündnissen und Solidarisierung, mit meiner Mutter könnten Sie solche | |
Gespräche nicht führen. Ich würde jetzt mal behaupten, die überwiegende | |
Mehrzahl der Menschen, die von Rassismus betroffen sind, hat gerade andere | |
Probleme. Nicht andere Probleme als Rassismus, sondern andere Probleme im | |
Rassismus. Die kämpfen noch mit viel materielleren Sachen. Es geht | |
eigentlich darum: Wie kann man den Zugang zu Ressourcen gerechter machen | |
und wie mit eigenen Privilegien verantwortungsvoll umgehen? Es gibt viele | |
linke Menschen, die keinen Bock auf Rassismus haben und die das auch in | |
ihrer Kleidung sichtbar machen, dass sie sich so positionieren, oder in | |
Bannern an Häusern, aber am Ende geht es darum, eigene Privilegien | |
abzugeben; darum, Macht zu teilen. Und das geht nicht, ohne sich auch über | |
Klassismus Gedanken zu machen. | |
8 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Franziska Betz | |
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