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# taz.de -- Begegnung mit Wildtieren: Heia Safari
> Auf den Spuren von Dickhäutern und Dickköpfen in der afrikanischen
> Savannah. Und ein Hippo, direkt vor der eigenen Haustür.
Afrika stand früh auf meiner Liste. Mein Vater liebte den fernen Kontinent,
und bei uns zu Hause stapelten sich die Bildbände über die wenig bekannten
Länder. Ich konnte gerade Dreirad fahren, da war das Virus auf mich
übergesprungen. Die Landschaft, die Menschen und die wilden Tiere
faszinierten mich, auch wenn ich mich vor den geschnitzten schwarzen
Holzmasken mit Strubbelhaaren schrecklich fürchtete. Meine erste
Afrikareise kam dennoch viel später.
Die Masai Mara im Südwesten Kenias war schon immer als besonders
wildreiches Gebiet bekannt. Wie eine grüne Oase in der Savanne lag das Mara
Buffalo Safari Camp am Ufer des Mara-Flusses. Dass Flusspferde Dickhäuter
und Dickköpfe seien, erfuhr ich gleich bei der Ankunft. Dass sie zu den
gefährdetsten, aber auch zu den gefährlichsten Wildtieren Afrikas zählten.
Den Tag verbringen sie im Wasser, wo sie ihre empfindliche Haut vor der
Sonne schützen. In der Dämmerung gehen die Pflanzenfresser auf
Nahrungssuche – an Land. Auch in dieses Camp. „Das kann man spannend
finden. Doch wir sind hier nicht im Zoo“, warnte der Manager Joel. „Ihr
geht nie allein.“
Kurz darauf erschienen echte [1][Massai-Krieger], die die Gäste zu ihren
Bungalows begleiteten. Ayubu war hochgewachsen, in einen roten Kanga
gehüllt, trug schwere Ohrringe, einen Perlenhalsring und einen Speer in der
Hand. Wortlos griff er nach meinem Koffer und zwinkerte mit den Augen. Ein
persönlicher Leibwächter. Ich war beeindruckt. Ayubu führte mich durch die
parkähnliche Anlage.
Vom befestigten Steinweg aus ging es zu den rustikalen strohgedeckten
Spitzdachhütten, den Bandas. Wir waren fast an der Uferböschung, als er
endlich das Gepäck vor der letzten Banda abstellte. „For you!“ Der Massai
hielt mir lächelnd den Schlüssel hin. Doch ich sah nur das schlammige
Wasser, in dem mehrere rosé schimmernde Hippo-Rücken lagen, reglos wie
Felsbrocken. Tagsüber baden sie, nachts fressen sie in unserem Camp, fielen
mir Joels Worte wieder ein. Ich maß die Entfernung ab. „Call me“, beruhigte
Ayubu. Er drehte sich um und entschwand mit federndem Gang. Ihn rufen,
aber wie? Einfach seinen Namen?
Auf meiner Veranda genoss ich die wundersame Ruhe der Buschatmosphäre.
Meine Aufregung schwand. Langsam fand ich Gefallen am Grunzen der
Flusspferde, einer undefinierbaren Mischung aus Schiffssirene,
Eselsgeschrei und Lachsack. Die Vorfreude auf die erste Pirsch im
Morgengrauen ließ mich alle Befürchtungen vergessen.
## Auf Pirsch in der Savanne
Im 1.510 Quadratkilometer großen Naturschutzpark der Masai Mara waren uns
die Big Five versprochen – Löwen, Elefanten, Nashörner, Büffel und, mit
Glück, Leoparden. Den Namen verdankt der Park dem Mara-Fluss, der sich in
vielen Schleifen von Tansania nach Kenia windet, und dem dort lebenden
Hirtenvolk der Massai.
„It’s tea-time, Lady!“, flötete am nächsten Morgen der Weckdienst, der …
und zwei Butterkekse brachte. Es war kurz nach sechs. Die beste Zeit, um
Wildtiere zu sehen. Am Startplatz liefen die Motoren schon. Joel teilte die
Gäste in Gruppen ein. Ich stieg bei Simeon ein. Behutsam lenkte der Ranger
den Wagen in Zebra-Look in die weite Savanne.
Am Horizont zeichneten sich Hügelketten ab, die von der aufgehenden Sonne
rötlich gerahmt waren. Davor erhoben sich blassgrüne Schirmakazien,
Tamarinden, ein einsamer Baobab-Baum. Sonst standen auf der Hochebene nur
ausgedörrte Gräser, verholzte Sträucher und rußschwarze Stöcke, ein offenes
Gelände, das Tieren wenige Verstecke bot. Ideal für die Beobachtung.
Impalas sprangen im Zickzack davon, Dikdiks huschten aufgescheucht durchs
Unterholz. Überrascht unterbrachen Giraffen ihr Mahl an einer Akazie, am
Fluss graste eine Riesenherde Zebras. Zu Gast in Eden.
„Wenn man die Natur versteht, riecht man die Tiere“, sagte der Kenianer in
der grünen Uniform. Der Jeep wippte über die Landschaft. „Da, Löwen“, ri…
Simeon. Es dauerte eine Weile, ehe meine Augen zwei Löwen von strohgelben
Dornbüschen und dem Savannenboden unterscheiden konnten. Das Fahrzeug
pirschte sich bis auf wenige Meter heran. Wie zwei eitle Diven lagen Mutter
und Tochter auf einem Steinklotz und ließen sich wohlgefällig von allen
Seiten fotografieren. Vier Geschwister räkelten sich darunter im Gras, die
wohl gut gefrühstückt hatten. Vielleicht den Büffel, an dessen abgenagtem
Skelett wir vorhin vorbeigefahren waren?
## Auge in Auge mit dem Flusspferd
Nachmittags ging es wieder raus zur [2][Safari] – ein Wort aus der
Swahili-Sprache, das „reisen“ bedeutet. Guide Simeon erwies sich als Profi
im Spurenlesen. Als hätte er Raubtieraugen, lauerte er den Wildtieren auf.
Bald hatte er wieder Löwen gesichtet, die mit der Grandezza des
kenianischen Wappentiers an unserem Jeep vorbeischritten. Nach ein paar
holprigen Sandkuhlen machte Simeon eine Gruppe Gnus und Kaffernbüffel an
einer Wasserstelle aus. Im Schritttempo fuhr er durch Gestrüpp und über
Steine. Thompson-Gazellen und Kudus suchten das Weite, ein Warzenschwein,
der „Kenia-Express“, flitzte davon. Aus dem Busch bewegte sich langsam eine
Elefantenherde Richtung Horizont. Und Rhinos? „Fast ausgerottet“, sagte der
Ranger. Leoparden? „Morgen ist auch noch ein Tag“, zügelte er die Ungeduld.
Es dämmerte, als das Camp in Sicht kam. Den Kopf voller Eindrücke folgte
ich dem Weg zu meinem Bungalow. Plötzlich hörte ich ein lautes Schmatzen
und Schnaufen. Mir stockte der Atem. Ein Hippo, direkt vor meiner Haustür!
„Don’t worry!“, ertönte hinter mir die flüsternde Stimme von Ayubu. Mei…
Erstarrung wich. Das riesige Flusspferd graste ungerührt weiter und
verschwand langsam in der Dunkelheit.
Mein erstes Afrikaerlebnis war aber noch längst nicht das aufregendste. Das
kam wiederum Jahre später in Südafrika. Wieder war es eine Begegnung mit
einem Dickhäuter. Diesmal mit dem Nashorn.
Zu der Zeit hing das Schicksal der grauen Kolosse bereits am seidenen
Faden. Südafrika hatte bereits große Flächen unter Naturschutz gestellt.
Afrikas Süden schien ihr letztes Paradies zu sein, besonders für die
Nashörner. Doch Wilderer jagten sie so gnadenlos, dass sich ihr Bestand mit
jedem Jahr reduzierte. Kein Artenschutzabkommen, kein Handelsverbot, kein
Schutzgebiet und keine Armee halfen. Im Krüger-Nationalpark war
Nashornschutz zur Sache der Besitzer von privaten Wildreservaten und
Luxuslodges geworden. Tierwohl und kommerzielle Interessen vermischten
sich. Was sollten die Lodges ihren Safari-Gästen präsentieren, wenn die Big
Five ausgerottet sind?
## Professionelle Wilderer
Das Lagerfeuer der Sweni Lodge knisterte lauschig, Shangaan-Tänzerinnen
betörten mit traditionellen Gesängen. Der Gesprächsstoff war allerdings
ungemütlich. „Was bei uns los ist, ist Krieg“, schoss es aus Mac Maclachlan
heraus, als wir auf die Nashörner zu sprechen kamen. Der Ranger im Singita
[3][Wildreservat] im Norden des Krüger Nationalparks beschrieb die
Dramatik: Täglich würde mindestens ein Nashorn massakriert. Die Wilderer
arbeiteten immer professioneller.
„Sie kommen in der Dämmerung mit Hubschraubern, Kleinflugzeugen,
Nachtsichtgeräten, Mobilfunk, sind mit Jagdgewehren und Motorsägen
bewaffnet“, berichtete Mac, selbst in einer Anti-Wilderer-Einheit aktiv.
[4][Eine Mafia], gegen die nicht einmal das nationale Militär und gut
ausgerüstete Spezialtruppen etwas ausrichteten.
Die Zahl der erlegten Tiere steigt Jahr um Jahr. „Die Diebe wollen nur das
Horn, schlachten aber das ganze Tier“, klagte der Wildhüter. Das Elend der
angeschossenen Kreaturen mochte ich mir kaum vorstellen. Doch Mac half
nach: „Oft schlagen die Barbaren ihnen das Horn vom lebendigen Leib ab,
verschwinden mit der Beute und lassen das Opfer qualvoll verenden.“ Wenn
das nicht aufhöre, prophezeite er, dürfte das Rhinozeros in zwanzig Jahren
ausgerottet sein.
## Verbrechen am Nashorn
Im Sweni-Schutzgebiet lebten einige noch, hatte Maclachlan versichert.
Während er den Landrover steuerte, saß Spurenleser Sunday Ndlovu auf dem
linken Kotflügel. Als er frische Dungspuren im Sand entdeckte, gab er ein
Zeichen zu stoppen. „Noch warm“, sagte der Tracker vom lokalen
Shangaan-Volk. Der Wagen rollte weiter, bis Sunday stumm auf ein braunes
Gestrüpp zeigte. Sekunden darauf trat ein drei Tonnen schweres Muskelpaket
heraus, ein riesiges Breitmaulnashorn von prähistorischer Schönheit, keine
dreißig Meter entfernt.
Was für eine enorme Masse sich da bewegte, dachte ich, ein Kopf wie ein
Felsen, besetzt mit diesen zwei Hörnern, auf die es die Wilderer abgesehen
haben. Ich war Aug in Aug mit einem der letzten lebenden Dinosaurier.
Paläontologen bescheinigten ihm die erfolgreichste Entwicklungsgeschichte
eines Landsäugetieres. Seit mehr als fünfzig Millionen Jahre bevölkerte es
die Erde, und jetzt, im 21. Jahrhundert, ging es ihm ans Leder. Nur, um aus
seinem Horn ein Pülverchen zu machen, das für Asiaten vermeintlich
Heilkräfte besäße.
Doch ich sollte dem [5][Nashorn] auf dieser Reise noch näher kommen. Im
Wildreservat von Singita Sabi Sand arbeitete Wade Swart Field als Ranger.
Zu seinem Job gehörten auch Walking Safaris. Mit geladenem Jagdgewehr und
zwanzigjähriger Erfahrung gerüstet, startete er mit einer Einführung ins
Wesentliche. Die wichtigste Regel: Niemals laufen! Im Busch laufen nur
Opfer. Der Wildhüter verriet noch, dass es bei manchen Tieren genüge, auf
den Gewehrkolben zu klopfen – und sie würden verschwinden.
Die Expedition begann. Zu Fuß in der dichten Wildnis kam plötzlich doch
Angst vor der eigenen Courage auf. Wer sagt denn, dass kein Löwe
vorbeikäme? Das Nashorn mochte ein Grasfresser sein, doch eine Begegnung
mit ihm wäre ebenfalls ein Rendezvous auf Leben oder Tod. Nashörner sehen
schlecht, hören und riechen aber exzellent. Wenn der bullige Körper mit den
kurzen Beinen in Fahrt kommt, schafft er locker fünfundvierzig
Stundenkilometer. Ihre Angriffslust war sprichwörtlich: Engländer nennen
die Herde „Crash“ – Zusammenstoß.
## Absurdes Wagnis
Wade ging voran, ich blieb dicht hinter ihm. Er könne Tiere riechen, sagte
er leise: „Purer Selbstschutz.“ Nach kurzer Pirsch entdeckte er frische
Spuren von zwei Breitmaulnashörnern. „Mutter mit Kalb“, raunte er mir zu
und winkte, ihm gebückt zu folgen. Es ging durch hohes Gras und quer über
eine Lichtung. Hinter ein paar Büschen erblickte ich die beiden, die wie
Fressmaschinen mit dem Kopf nach unten durch die Landschaft wanderten. „Der
Wind steht gut, die Sonne blendet sie“, flüsterte der Wildhüter, wahrte
aber einen großzügigen Sicherheitsabstand.
Die Rhinozerosse rasteten an einem Wasserloch. Wade wählte einen
Termitenhügel als Sichtschutz aus, ein guter Posten, um die gewaltigen
Wesen aus der Urzeit in Ruhe zu beobachten. „Sie haben uns gewittert, aber
sie sind relaxt“, beschwichtigte er mich. Plötzlich hoben beide Panzertiere
gleichzeitig die Köpfe mit den spitzen Hörnern und wandten sie zum
Termitenhügel. Sie gingen ein paar Schritte, drehten sich unruhig. Dann
donnerten sie los. Mehrere Tonnen Angriffslust.
Der Boden bebte, und sie hielten direkt auf unser Versteck zu. Das war kein
Spiel, kein Film, und es gab keine Barrikade, hinter die der Stierkämpfer
springen könnte, wenn ihn der Mut verließ. Das war’s jetzt, sagte ich zu
mir und fühlte mich auf dem Weg ins Jenseits. Doch ebenso plötzlich blieben
die beiden Nashörner wenige Meter vor uns stehen. Wieder reckten sie die
Hörner, standen starr, wendeten sich ruckartig ab und trabten davon, als
wäre nichts gewesen.
Was für ein absurdes Wagnis, dachte ich, als ich wieder bei Sinnen war.
Wenn Wade hätte schießen müssen, um die Abenteurer im Busch zu retten,
wären wieder zwei der prähistorischen Wesen verloren gewesen.
Wahrscheinlich hatte er auf das Holz seines Gewehrkolbens geklopft.
7 Mar 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Beate Schümann
## TAGS
Afrika
Safari
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