# taz.de -- Die Wahrheit: Die Bar Zum Holodeck | |
> Wohin in Pandemiezeiten, wenn die geliebte Kneipe geschlossen hat? Mit | |
> den Freunden an die virtuelle Theke. Wenn es denn Freunde sind … | |
Rudi, der Blödmann, war sichtlich ratlos. Sein kugelrunder Schädel schwebte | |
über den Bildschirm wie der Vollmond durch die Nacht, dann erschienen | |
plötzlich seine Finger in riesiger Vergrößerung, weil er vermutlich an der | |
Kamera seines Laptops rumfummelte. | |
„Er sieht uns nicht“, grinste Luis: „Und er hat nicht die geringste Ahnun… | |
dass wir ihn beobachten.“ – „Schade nur, dass sein Mikro nicht geht“, s… | |
Raimund. Es war allerdings nicht schwer, ihm von den Lippen abzulesen, dass | |
er „So eine Scheiße, warum funktioniert das nicht?!“ vor sich hin fluchte. | |
Seit Wochen war das Café Gum wegen der Pandemie geschlossen, und uns allen | |
schien das Dasein sinnlos und leer, weil wir abends nicht bei Petris, dem | |
Gumwirt, an der Theke stehen durften, um die wesentlichen Probleme des | |
Menschseins zu diskutieren und nebenher ein paar Bier zu trinken. Vor allem | |
aber entwickelte jeder von uns beängstigende Marotten: Petris absolvierte | |
einen Fernlehrgang zum Thema „Effiziente Unternehmensführung für | |
Kneipenwirte“, Luis quälte sich jeden Abend durch dreißig Seiten auf der | |
„Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust und Raimund hatte das | |
Chaos in seiner Wohnung mithilfe von Marie Kondos Aufräumtipps in eine | |
seelenlose Hochglanzwelt verwandelt. | |
„Warum machen wir keine Videokonferenz?“, hatte Theo eines Tages gesagt. | |
„Wir setzen uns vor die Rechner, treffen uns an der virtuellen Theke im | |
Netz, und damit auch Petris was davon hat, kaufen wir bei ihm Gumbier in | |
Flaschen zu fairen Preisen!“ Wir waren begeistert. | |
Mittlerweile hatte auch Rudi, der Blödmann, den Log-in geschafft. | |
Selbstverständlich hatte er als Einziger kein Gumbier gekauft. „Du bist und | |
bleibst ein Blödmann!“, schimpfte Raimund. „Phh“, machte Rudi, „ich ka… | |
Hause trinken, was ich will. Vielleicht treffe ich mich bald auch mit | |
anderen Leuten, wenn ihr immer so gemein zu mir seid!“ | |
„Bin gespannt, wer das sein soll.“ – „Jim Morrison zum Beispiel.“ –… | |
Morrison?! Also bitte …“ – „Che Guevara!“ – „Rudi! Die sind beide… | |
Und wenn sie nicht tot wären, würden sie schreiend davonrennen, sobald du | |
einen Satz Rudigequassel von dir gibst.“ – „Nicht, wenn ich nicht will!“ | |
„Du bist übergeschnappt!“ – „Bin ich nicht! An einer virtuellen Theke … | |
ich mich auch mit virtuellen Freunden umgeben. Es gibt im Netz massenhaft | |
Programmierer, die mir Gefährten nach meinen Wünschen kreieren. Endlich | |
trinke ich Bier mit wirklichen Freunden, endlich habe ich die Kontrolle!“ | |
„Wer ist eigentlich das Kerlchen da unten?“, fragte Luis auf einmal. | |
Tatsächlich saß ein Fremder in unserer Thekenkonferenz. „Jetzt ist er weg!�… | |
– „Der sah aus wie Commander Data.“ – „Nee, der sah aus wie Putin. Un… | |
hat echt fies gegrinst, als Rudi das mit der Kontrolle gesagt hat“, rief | |
Theo. | |
So kam es, dass wir fortan wieder allein Bier tranken – oder bestenfalls | |
zusammen mit Langweilern wie Marcel Proust und Marie Kondo. | |
3 Mar 2021 | |
## AUTOREN | |
Joachim Schulz | |
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