# taz.de -- Australien Open: Kalkuliert kaltschnäuzig | |
> Naomi Osaka gewinnt bei den Australian Open ihren vierten | |
> Grand-Slam-Titel. Verbesserungspotenzial sieht sie auf Sand und Rasen. | |
Bild: Bussi für den Pott: Naomi Osaka herzt den Siegerpokal der Australian Open | |
Es gibt immer wieder Gelegenheiten, herzhaft über Naomi Osaka zu lachen. Da | |
stand sie also nun auf dem Podium nach ihrem Sieg bei den [1][Australian | |
Open] und startete mit ihrer kleinen Siegerrede. Zuerst lobt man in solchen | |
Fällen üblicherweise die Gegnerin, und genau das wollte sie tun, als sie | |
sich an die im Hintergrund stehende US-Amerikanerin Jennifer Brady wandte | |
und fragte: „Möchtest du eigentlich Jennifer oder Jenny genannt werden?“ | |
„Jenny“, sagte Brady, leicht verwirrt, doch Osaka machte weiter und sprach | |
von „Jennifer“. Allgemeine Erheiterung in der Rod Laver Arena, ein | |
federleichter Moment. | |
Andere Dinge hatten fraglos mehr Gewicht. Der Titel, den [2][die Japanerin] | |
trotz einiger Zittermomente mit einem überzeugenden Sieg gegen Brady gewann | |
(6:4, 6:3), war der siebte ihrer Karriere und schon der vierte bei einem | |
Grand-Slam-Turnier. Vier Endspiele, vier Treffer zum Start – in der | |
Profizeit gab es nur eine, der das im Frauentennis gelungen war, Monica | |
Seles; die gewann Anfang der 90er Jahre sogar die ersten sechs. Osaka | |
schnappte sich den ersten im denkwürdigen Finale der US Open 2018 unter | |
schwierigsten Umständen gegen die vor Wut schäumende Serena Williams, den | |
zweiten mit harmonischerer Begleitmusik vor zwei Jahren in Melbourne und | |
den dritten vor fünf Monaten wieder in New York. | |
Bei den ersten beiden wurde sie vom Münchner Sascha Bajin trainiert, bei | |
Nummer drei und vier saß [3][der Belgier Wim Fissette] in der Box, dessen | |
Erfolgsliste immer länger wird. Den ersten großen Titel gewann er mit Kim | |
Clijsters im Jahr 2009, den vierten mit Angelique Kerber 2018, jetzt ist er | |
bei sechs angekommen. Und dabei dürfte es vermutlich nicht bleiben, denn | |
Naomi Osakas Zukunft liegt sonnenbeschienen und grün bewachsen im großen | |
Reich des Frauentennis. Die mächtigen Schläge hatte sie schon immer, doch | |
inzwischen sind ihre Gedanken so gut geordnet – und da ist eine Menge zu | |
ordnen –, dass selbst ein kleiner Exkurs keinen Schaden anrichten kann. | |
## „Sie zögert nicht“ | |
Warum sie so gut ist? In einem Interview mit dem niederländischen Tennis | |
Magazine meinte Fissette kürzlich, mit ihrer Physis spiele Naomi Osaka auf | |
einem ganz anderen Niveau als 90 Prozent aller Gegnerinnen; vieles sei das | |
Ergebnis harter Arbeit, vieles von der Natur mitgegeben. Dazu komme ihre | |
Kaltblütigkeit in Verbindung mit Zuversicht. „Sie zögert nicht. Wenn sie | |
das Ziel vor Augen hat, dann beschleunigt sie und spielt ihr bestes Tennis. | |
Das ist eine große Qualität und macht einen Riesenunterschied.“ | |
Und die Zuversicht wächst. Vor einem Jahr hatte Osaka in Melbourne in der | |
dritten Runde gegen die junge Amerikanerin Cori Gauff verloren – gefesselt | |
vom Gefühl, den Leuten etwas beweisen zu müssen. So denkt sie jetzt nicht | |
mehr. „Ich sehe Erwartungen nicht mehr als Last, sondern als etwas, wofür | |
ich hart gearbeitet habe.“ Was nicht heißt, wie Fissette ergänzt, eine gute | |
Einstellung käme ohne schwarze Momente aus. Es sei ja menschlich und | |
normal, manchmal frustriert zu sein, sagt er, aber sofort wieder auf null | |
zu schalten, darauf komme es an. | |
Auf Hartplätzen wie in Melbourne und in New York hat Osaka ihre Claims | |
abgesteckt, und mit ihren vier Titeln steht sie auf einer Plattform in den | |
wechselnden Gezeiten des Frauentennis. Der nächste Schritt, das nächste | |
Ziel? Ganz klar, ein Turnier im 16. Pariser Bezirk, Roland Garros. Auf Sand | |
kam sie auf der Ebene der Grand-Slam-Turniere bisher nie weiter als in | |
Runde drei, desgleichen auf dem Rasen von Wimbledon. Fissette sagt, mit | |
ihren natürlichen Bewegungen und der Art, Punkte aufzubauen, sehe er nicht, | |
warum das nicht klappen sollte. | |
Das sieht sie ähnlich, doch Grand-Slam-Titel Nummer fünf oder sechs stehen | |
offenbar nicht ganz oben auf der Liste der Prioritäten. Die Antwort darauf, | |
wonach sie am meisten strebe, ist so gut und romantisch, dass man sie in | |
großen Lettern auf eine Wand pinseln möchte. „Also“, sagte Naomi Osaka, | |
geboren in Osaka, Tochter einer Japanerin und eines Vaters aus Haiti und | |
damit die Erbin vieler Kulturen, „das größte Ding für mich wäre – ich w… | |
das hört sich jetzt merkwürdig an –, dass ich hoffentlich lang genug dabei | |
bin, um gegen ein Mädchen spielen zu können, dessen Lieblingsspielerin ich | |
mal war.“ In den Jahren bis dahin wird sie vermutlich noch diverse Reden | |
halten und garantiert ein paar Leute verwirren. | |
21 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.perfect-tennis.com/prize-money/australian-open/ | |
[2] https://www.forbes.com/sites/kurtbadenhausen/2020/05/22/naomi-osaka-is-the-… | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Wim_Fissette | |
## AUTOREN | |
Doris Henkel | |
## TAGS | |
Australian Open | |
Tennis | |
Japan | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2021 | |
Naomi Osaka | |
Tennis | |
Kolumne Frühsport | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Tennis | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Japans Superstar Naomi Ōsaka: Unmenschlich menschlich | |
Naomi Ōsaka ist Tennisspielerin, Covergirl und Aktivistin gegen Rassismus. | |
Sie hat das olympische Feuer entzündet. Jetzt soll sie auch noch Gold | |
holen. | |
Nach Presseboykott bei French Open: Osaka erklärt Rückzug vom Turnier | |
Weil um ihren Presseboykott bei den French Open Diskussionen entbrannten, | |
will Naomi Osaka nicht weiter antreten. Auf Twitter spricht sie über ihre | |
Depressionen. | |
Nachwuchssorgen im deutschen Tennis: Der weite Weg in die Top 100 | |
Hinter dem deutschen Tennisspieler Alexander Zverev kommt nicht viel. Warum | |
es so schwer ist, junge Menschen an die Weltspitze heranzuführen. | |
Athleten-Widerstand nicht nur in den USA: We the Sport – We the People | |
Während Donald Trump Ex-Golfprofis ehrt, kämpfen Basketball- und | |
Tennisprofis für Menschenrechte. Sport hat ein enormes demokratisches | |
Potenzial. | |
Kolumne Pressschlag: Der „weiße Sport“ ist bunt | |
Tennisprofi Naomi Osaka gewinnt die Australian Open. Ihr Sponsor betreibt | |
in einem animierten Werbevideo Whitewashing. | |
Tennis: US Open: Im Zickzack nach oben | |
An Serena Williams orientiert sich Naomi Osaka seit Beginn ihrer | |
Tenniskarriere. Nun trifft sie am Samstag im Finale der US Open auf ihr | |
Vorbild. |