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# taz.de -- Atommüllexpertin zu Bürgerbeteiligung: „Die Chance wurde vertan…
> Ulrike Laubenthal war in der Vorbereitungsgruppe für den ersten Termin
> der Fachkonferenz Teilgebiete. Mit scharfer Kritik hat sie das Gremium
> verlassen.
Bild: Feier zum Ausscheiden Gorlebens aus dem Suchverfahren für ein Atommülle…
taz: Frau Laubenthal, warum finden Sie ein Beteiligungsverfahren
grundsätzlich wichtig?
Ulrike Laubenthal: Damit wir wirklich den bestmöglichen Standort finden.
Dazu brauchen wir ein Verfahren, in dem viele Menschen mitdenken, Wissen
und Erfahrung einbringen, Fehler suchen. Ein transparentes Verfahren, bei
dem wir ausschließen können, dass nach politischer Macht statt nach
geologischen Kriterien entschieden wird. Und ein gerechtes Verfahren, damit
die, die es am Ende trifft, die Entscheidung auch akzeptieren können. Wir
haben in Gorleben erlebt, wie es sich anfühlt, wenn der Staat einen
Standort gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen will. So darf es
nicht noch einmal laufen.
Die Auftaktveranstaltung zur Beteiligungskonferenz im Oktober hat viel
Unmut hervorgerufen.
Ich würde es schärfer formulieren: Die Chance, eine gute Grundlage für die
Fachkonferenz zu schaffen, wurde vertan. Am schwersten wiegt meiner Meinung
nach, dass laut Ankündigung nur informiert und diskutiert, aber nichts
entschieden werden sollte. Viele hatten sich deshalb gar nicht angemeldet,
sondern die Veranstaltung auf Youtube verfolgt. Plötzlich sollte eine
Arbeitsgruppe für die Vorbereitung des ersten Beratungstermins gewählt
werden. Organisationen und Kommunen hatten keine Zeit, sich zu überlegen,
wer kandidieren soll. Wegen technischer Schwierigkeiten konnten manche
nicht kandidieren, andere nicht abstimmen. Wer über Youtube teilnahm,
konnte beides nicht.
Sie haben trotzdem kandidiert.
Ich war im Zwiespalt und habe mich dafür entschieden, die Chance zu nutzen
und konsensorientierte, basisdemokratische Verfahren einzubringen. Atommüll
ist Gegenstand eines tiefen, alten gesellschaftlichen Konflikts. Ein
Verfahren, das zu einem breiten gesellschaftlichen Konsens führen soll, wie
von allen Seiten immer wieder betont wird, muss meiner Erfahrung nach von
Anfang an konsensorientiert sein. Ich habe das bei meiner Kandidatur
eingebracht und nehme an, dass ich deshalb gewählt wurde.
Warum sind Sie damit gescheitert?
Es war nur eine Minderheit in der Gruppe, die so arbeiten wollte. Es
herrschte ein enormer Zeitdruck. Letztlich hat sich die Mehrheit für die
Moderation durch den vom BASE beauftragten Dienstleister IKU entschieden
und damit für einen Arbeitsstil, bei dem Konflikte,
Meinungsverschiedenheiten, Ungeklärtes per Abstimmung abgehandelt wird. Es
wäre ein außerordentlicher Glücksfall gewesen, wenn sich unter diesen
Bedingungen Leute zusammengefunden hätten, die die Sache noch in Richtung
echter Partizipation bewegen.
Was meinen Sie mit echter Partizipation?
Eine gleichberechtigte Zusammenarbeit aller Interessierten auf Augenhöhe,
ein Format, in dem konstruktive Auseinandersetzungen Raum haben. In einem
partizipativen Prozess darf man die Ziele nicht von oben festlegen. Viele
Beteiligte wünschen sich zum Beispiel, dass die Fachkonferenz die
Selbstorganisation der Betroffenen stärkt.
Laut Gesetz ist das Ziel der Fachkonferenz die Erörterung des
Zwischenberichts Teilgebiete.
Dies ist meines Erachtens eine Verwechslung zwischen Ziel und Inhalt. Die
Erörterung des Zwischenberichts ist nach dem Gesetz der Inhalt der
Konferenz, nicht das Ziel. Meiner Lesart nach lassen sich die Ziele so
zusammenfassen: die Förderung einer standortübergreifenden Sichtweise, der
Aufbau eines Erfahrungs- und Wissensstandes bei den Betroffenen, die
Schaffung von guten Grundlagen für den weiteren Prozess. Was gute
Grundlagen sind, kann nicht das BASE festlegen, das können nur die
Betroffenen selbst. Wenn sie etwa die Förderung der Selbstorganisation, den
Aufbau von nachhaltigen Vernetzungsstrukturen, die kritische Reflexion des
bisherigen Verfahrens für eine gute Grundlage brauchen, darf das nicht
wegmoderiert werden, wie auf der Auftaktveranstaltung geschehen, sondern
muss ein Ziel der Fachkonferenz werden.
Sie sehen einen grundlegenden Konflikt zwischen zivilgesellschaftlichen
Gruppen, die sich am Prozess beteiligen, und der Behörde, die ihn
organisiert.
Ja. Man hat verstanden, dass es wichtig ist, für ein Atommülllager
Akzeptanz zu schaffen und dass es dafür ein Beteiligungsverfahren geben
muss. So wie das Verfahren angelegt ist, ist das Ziel aber bloße
Akzeptanzmaximierung und nicht, gemeinsam den bestmöglichen Standort zu
finden. Ich sehe nicht, dass das Bundesamt oder die BGE der Meinung sind,
dass die Zivilgesellschaft etwas Relevantes zur Endlagersuche beitragen
könnte. Das Verfahren wird durchgezogen, es gibt ein großes Budget für
Öffentlichkeitsarbeit, aber nicht die Haltung, echte Partizipation zu
suchen.
Ist konsensorientierte Arbeit mit so vielen Menschen überhaupt möglich,
muss man dabei nicht immer auf Mehrheitsentscheidungen zurückgreifen?
Die Anti-Atom-Bewegung hat Erfahrungen damit, wie man mit vielen tausend
Menschen gemeinsam Entscheidungen per Konsens treffen kann, wie man
miteinander handlungsfähig wird. Bei den großen Blockaden der
Castortransporte ins Wendland von X-tausendmal-quer haben viele Menschen an
dieser Erfahrung teilhaben können. Aber ein überwiegender Teil der
Bevölkerung und auch der Menschen in den Behörden kann sich nicht
vorstellen, wie das funktionieren soll.
Aus Erfahrung mit bisherigen Beteiligungsverfahren ist das
Standortsuchverfahren als „lernendes Verfahren“ angelegt. Es wird sich
dieses Wochenende zeigen, was aus bisherigen Fehlern gelernt wurde. Geben
Sie dem Verfahren keine Chance mehr?
Für mich kann ich sagen: Ich möchte das Verfahren nicht mehr durch meine
Teilnahme legitimieren. Informieren kann ich mich anders, Kritik einbringen
auch.
6 Feb 2021
## AUTOREN
Beate Selders
## TAGS
Anti-Atom-Bewegung
Gorleben
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