# taz.de -- Die Generation Corona: Der Mut zur Unvernunft | |
> Wenn der sechsjährige Sohn den 81. Geburtstag seines Teddys feiert, weil | |
> der dann nämlich die Corona-Impfung bekommt, stellen Eltern sich so | |
> Fragen. | |
Bild: Der Teddy, geimpft und flugs nach Italien getrampt.. | |
Neulich habe ich in einer Zeitung ein Gespräch mit vier jungen Menschen | |
gelesen, sie sitzen mit ihrer Mutter, die Journalistin bei dieser Zeitung | |
ist, um den Küchentisch herum und unterhalten sich: über das Leben, wie es | |
mal war, über verlorene Freiheiten, über mühsam zusammengehaltene | |
Hoffnungen und zerbröselnde Perspektiven. Da steckt die eine nach dem | |
Schulabschluss länger als gedacht ihre Füße unter den heimischen | |
Küchentisch. Der andere sieht seine geplanten Wanderjahre im Ausland | |
unrettbar verloren, weil er ahnt, dass Corona den Moment gekillt hat, wo er | |
frei genug dafür gewesen wäre. | |
Das Ganze hat etwas Schicksalergebenes, ganz ohne weinerlich zu sein, und | |
da hätte ich wiederum fast geheult. Das passiert mir sonst eher nicht, | |
dafür lese ich berufsbedingt wohl einfach zu viele Interviews. Vermutlich | |
habe ich einfach Homeoffice. Gilt das schon offiziell als Spätfolge von | |
Corona? | |
Corona, jedenfalls, ist ein Zeitfresser. Das mag für uns Erwachsene ein | |
bisschen egal sein, wir haben meist unsere Jobs und unsere Freundschaften | |
und unsere Kinder, und das geht dann eben alles mal für ein paar Jahre so | |
weiter. Wenn man jung ist, ist das anders. Auch wenn einem im Rückblick die | |
Zeit zwischen 18 und Mitte 20 ewig lang vorkommt: Das tut sie nur deshalb, | |
weil meistens so verdammt viel passiert in dieser Handvoll Jahre. Schule zu | |
Ende, andere Stadt, neue Freunde – man hat eigentlich Zeit für genau gar | |
nichts, das Leben rast. | |
Jetzt rast gerade nichts, im Gegenteil. Wenn man richtig jung ist, muss das | |
brutal sein – als ob man mit Schwung und zu viel Energie gegen eine Wand | |
rennt, vielleicht. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß noch, wie sich das | |
angefühlt hat, als man endlich fertig war mit der Schule und frei, zu | |
gehen, wohin man wollte, und überhaupt nicht in Erwägung gezogen hat, die | |
Welt könnte einem nicht offen stehen. | |
## Per Anhalter nach Italien | |
So eine Mischung aus Selbstüberschätzung und einem völlig haltlosen Glauben | |
an die eigene Unverwundbarkeit war es, fürchte ich, die mich mal per | |
Anhalter bis nach Italien gebracht hat. Das Handy hatte ich ausgeschaltet, | |
meine Eltern sind fast gestorben vor Angst. | |
Ich hoffe, meine Kinder fahren nie per Anhalter bis nach Italien. Aber ich | |
wünschte, sie könnten es, wenn sie es denn wollen. | |
Man liest gerade viel von Generationenforschern, die den Jungen den Puls | |
fühlen wollen. Für die Generation Z (1995–2010 geboren) sei es die erste | |
Krise, die sie bewusst miterlebt – dennoch sei sie erstaunlich optimistisch | |
und solidarisch, hat eine größere Studie mit 4.000 Befragten 2020 ergeben. | |
Sie habe Vertrauen, auch, weil sie noch keine Krisen erlebt hätte. Keine | |
Ahnung ob das stimmt, vermutlich ist es zu einleuchtend, um nicht auch zu | |
pauschal zu sein. | |
Mein sechsjähriger Sohn hat neulich den 81. Geburtstag seines Teddys | |
gefeiert: „Dann kriegt er nämlich die Corona-Impfung!“ Sprach’s und ramm… | |
Teddy die Spielzeugspritze ins Plüsch. Vor seinem Kaufladen hat er auf dem | |
Fußboden Markierungen mit Klebeband angebracht – der Mindestabstand, mit | |
dem sich alle anstellen müssen, um Einkaufen zu spielen. Die Maskenpflicht | |
gilt, eh klar. Und der Elfjährige hat mir neulich erklärt, er könne sich | |
„natürlich nicht“ mit seinen drei Freunden am Schlittenhügel verabreden, | |
„da sind wir echt zu viele Haushalte, Mama, schon vergessen?“ | |
Sie sind so wahnsinnig vernünftig, die Kinder. Vernünftig und geduldig und | |
solidarisch. Sind sie erschüttert von dieser Krise, von der Erfahrung, dass | |
die Welt sich ihnen verschließen kann? Vermutlich eine Aufgabe für künftige | |
Generationenforscher, das zu erfragen. | |
Ich hoffe nur, der Mut zur Unvernunft kommt ihnen nicht völlig abhanden, | |
bis diese Krise mal vorbei ist. Und dass sie dann das Handy anlassen, wenn | |
sie nach Italien trampen. | |
14 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
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