# taz.de -- Politik in der Pandemie: Früher Grundrecht, heute Privileg | |
> Geimpft oder nicht geimpft? Mit dem Kammerton der Moral tut sich die | |
> politische Klasse gerade schwer. Es droht ein Glaubwürdigkeitsproblem. | |
Bild: „Privilegien“ für jene, die bereits die Impfspritze erhalten haben? … | |
Die Sprache in der Zeit der Pandemie ist demagogisch. Die Politik in der | |
Zeit der Pandemie ist verlogen, ratlos, scheinheilig. Das ist keine gute | |
Mischung. Die Folgen werden nachhaltig sein. Und weiter reichen, als wir | |
uns das jetzt vorstellen können. | |
Keine „Privilegien“ für Geimpfte: das war über Tage hinweg die Losung der | |
Bundesregierung. Früher hieß Grundrecht, was heute Privileg heißt. Die | |
Wortwahl war clever. „Privileg“: das ruft sofort blanken Zorn bei allen | |
hervor, die nicht privilegiert sind. Gegen „Privilegien“ sind wir alle. | |
Immer. | |
Nun hat sich auch der Deutsche Ethikrat zum Thema geäußert. Der äußert sich | |
grundsätzlich immer ex cathedra, weshalb man kaum zu widersprechen wagt. | |
Selbst dann nicht, wenn er Unfug redet. | |
Der Ethikrat spricht nicht von „Privilegien“, sondern von „Sonderrechten�… | |
Was dasselbe ist, aber weniger provokant klingt. Er findet jedoch auch, | |
dass es keine solche Rechte für Geimpfte geben kann, solange nicht | |
feststeht, ob sie nicht vielleicht doch ansteckend sind. | |
Natürlich nicht. Das ist selbstverständlich. Aber was, wenn sich | |
herausstellt, dass Geimpfte eben nicht ansteckend sind? Müssen dann | |
Rückkehrende aus dem Ausland dennoch in Quarantäne, einfach aus Gründen der | |
Gerechtigkeit? Was für eine alberne Vorstellung. | |
Der Ethikrat meint, dass auch Geimpften, die nicht infektiös sind, | |
zugemutet werden kann, eine Maske zu tragen. Weil ein Teil der Bevölkerung | |
das andernfalls ungerecht finden könnte. Rücksicht auf Neid zum ethischen | |
Prinzip zu verklären ist immerhin originell. | |
Gefahr durch Zickzackkurs | |
Mit dem Kammerton der Moral tut sich die politische Klasse im Augenblick | |
ohnehin schwer. Auf der Seite der Guten steht die Bundesregierung, wenn sie | |
von Moskau die Achtung der Menschenrechte fordert, vor allem im Hinblick | |
auf die Behandlung des Oppositionellen Alexei Nawalny. Die Wirkung der | |
markigen Worte wird aber ein wenig geschmälert, wenn die Bundeskanzlerin | |
fast im selben Atemzug von einem nützlichen Gespräch mit dem russischen | |
Präsidenten Putin erzählt, bei dem es um das Thema Impfstoff ging. | |
Da das russische Mittel vielleicht demnächst von der EU zugelassen wird, | |
hätten wir nämlich gerne etwas davon ab. Eigentlich am liebsten möglichst | |
viel. Anders ausgedrückt: Die mächtige und insgesamt total überlegene | |
Europäische Union bekommt das mit dem Impfen nicht so recht auf die Reihe. | |
Deshalb hofft Deutschland nun auf Hilfe aus Moskau. Zugleich wollen wir | |
aber vielleicht Sanktionen gegen Russland verhängen. Wegen Nawalny und so. | |
Glaubwürdige Politik sieht anders aus. Wenn in der Bevölkerung die | |
Verachtung des Systems und der politischen Klasse zunimmt, sollte sich | |
niemand wundern. Darin liegt die große, langfristige Gefahr des innen- und | |
außenpolitischen Zickzackkurses dieser Tage. | |
Auf russischen – und vielleicht chinesischen – Impfstoff hoffen übrigens | |
auch viele Regierungen in Afrika. Worauf sollen sie sonst hoffen? | |
Sicherlich nicht auf die Unterstützung jener westlichen Länder, die ihnen | |
vorher jahrzehntelang gerne erklärt haben, was Gemeinsinn bedeutet und | |
gutes Regieren. Das werden sie sicher auch weiterhin tun, wenn die Seuche | |
einmal unter Kontrolle gebracht worden ist. Dass dann in Afrika noch jemand | |
zuhört, darf allerdings bezweifelt werden. | |
„Es ist töricht, sich in medizinischen Fragen auf die westlichen Nationen | |
zu verlassen“, erklärte der kenianische Gesundheitsminister [1][Mutahi | |
Kagwe] der Deutschen Welle. Seine ehemalige Amtskollegin Agnes Binagwaho | |
aus Ruanda sagte: „Seien Sie ehrlich und sagen Sie: ‚Mein Volk zuerst.‘ | |
Lügen Sie uns nicht an und sagen Sie, wir sind gleichberechtigt.“ Corona | |
hat Schwächen bloß gelegt, individuelle und systemische. Europa hatte einen | |
Ruf zu verlieren. Gilt das noch? | |
7 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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