| # taz.de -- Filmtipps der Woche: Chillen ohne durchzudrehen | |
| > Das Berliner Wolf Kino bietet Filme des eigenen Verleihs Steppenwolf | |
| > On-Demand an – vor allem Arbeiten von jungen portugiesischen | |
| > Regisseur*innen. | |
| Bild: In „Alva“ versteckt sich Henrique im Wald – warum, bleibt unklar | |
| Wer hätte nach dem Coronajahr 2020 nicht die Sehnsucht, nachzuspüren, wie | |
| sich das Leben angefühlt haben muss, als dieses noch vergleichsweise | |
| beschaulich und unaufregend war? Somit hat der Dokumentarfilm von Ann | |
| Carolin Renninger und René Frölke mit dem Titel „Aus einem Jahr der | |
| Nichtereignisse“ schon mal einen vielversprechenden Titel. Der diesem dann | |
| auch absolut gerecht wird. | |
| Der Alltag des fast neunzigjährigen Willi auf seinem Bauernhof im | |
| norddeutschen Glücksburg, der hier gezeigt wird, schleppt sich so langsam | |
| dahin, wie dieser sich mit seinem Rollator von A nach B. In Spielfilmlänge | |
| bekommt man nichts anderes gezeigt, als einen alten Mann auf seinem Hof. Er | |
| lebt dort mit seiner Katze, bereitet sich sein Essen zu und tut gerne: gar | |
| nichts. | |
| Die Hühner gackern, die Vögel zwitschern, der Wind weht über die Wiesen und | |
| Willi setzt sich erst einmal hin. Und er sitzt und sitzt. Und die Uhr tickt | |
| und tickt. Wer das genaue Gegenteil zu irgendeiner rasant geschnittenen | |
| Marvel-Comic-Verfilmung sucht: Hier wäre ein perfekter Kandidat. | |
| Regisseurin Ann Carolin Renninger kannte Willi noch aus ihrer Kindheit. Sie | |
| lebte einst in dessen Nachbarschaft. Für ihr Filmportrait, das 2017 in die | |
| Kinos kam, hat sie ihn mit der Kamera erneut besucht, um die Banalitäten | |
| des Alltags eines Mannes, der das meiste schon hinter sich hat, in all | |
| seinen Facetten einzufangen. Wenn Willi in seinem norddeutschen Slang | |
| gelegentlich spricht und von Damals erzählt, versteht man ihn kaum, gut, | |
| dass es Untertitel gibt. | |
| ## Meditation festgefrorener Bilder | |
| Sein Zuhause, ein verwitterter Bauerhof inmitten der ländlichen Idylle, | |
| wird aus sämtlichen nur denkbaren Perspektiven gezeigt. Dabei entstehen | |
| fast schon kitschige Bilder, auch wenn sie trocken naturalistisch sind. | |
| Eingefangen wurden sie mit einer analogen Super-8-Kamera. Das verleiht den | |
| Impressionen eine passende Patina. Die Pausen, die beim Einlegen eines | |
| neuen Films entstanden sind, stören auch niemanden. Man kann sicher sein: | |
| Es wurden keine bahnbrechenden Ereignisse verpasst. | |
| Denn passieren tut hier rein gar nichts, die Doku ist eine einzige | |
| Meditation aus schier festgefrorenen Bildern. Sie erdet und bringt einen | |
| richtig schön runter im Coronalockdown. Wer bereits genug davon hat, kurz | |
| vor dem zu Bett gehen immer nur Bob Ross beim Pinseln zuzuschauen und dazu | |
| einen Kamillentee zu trinken: Dieser Film hat dieselbe beruhigende Wirkung. | |
| „Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ ist einer von mehreren Filmen, die das | |
| Neuköllner Arthouse-Kino Wolf in seinem neu eingerichteten | |
| Video-on-Demand-Streamingkanal auf der eigenen Homepage anbietet. Kinos wie | |
| das Wolf sind wegen Corona geschlossen, via hauseigenen Streams kann man | |
| sich ihnen jedoch wenigstens ein kleines bisschen verbunden fühlen. Ab | |
| Mitte Februar wird das VoD-Programm des Wolf dann auf die neu gegründete | |
| Streaming-Plattform diverser Arthouse-Kinos mit dem Namen Cinemalovers | |
| weiterziehen. | |
| ## Emapthie für ein gebuteltes Land | |
| Im Programm hat das Wolf Filme seines hauseigenen Verleihs Steppenwolf. | |
| Dessen Schwerpunkt, neben eigenwilligen Werken wie „Aus einem Jahr der | |
| Nichtereignisse“: Junges Kino aus Portugal. Passt gerade auch ganz gut. | |
| Portugal ist derzeit in Europa besonders von Corona betroffen. Dank Filmen | |
| wie etwa „Alva“ von Ico Costa aus dem Jahr 2019 lässt sich vielleicht | |
| gleich noch ein bisschen einfacher Empathie für ein gebeuteltes Land | |
| erzeugen. Vor allem dann, wenn man derart berauschende und auch wieder | |
| extrem naturalistische Naturaufnahmen wie in diesem Film gezeigt bekommt. | |
| Die Story erinnert ein wenig an Terence Malicks Klassiker „Badlands“. Nach | |
| einem begangenen Verbrechen versteckt sich Henrique in den Wäldern. Er ist | |
| auf der Flucht und richtet sich langsam in seiner neuen Umgebung ein. Klaut | |
| ein Schaf, um es zu essen. Badet im Fluss, der wie der Film Alva heißt. Was | |
| genau Henrique getan hat und warum, bleibt im Dunkeln. Statt nun Spannung | |
| zu erzeugen, macht Regisseur Ico Costa etwas ganz anderes: Er beobachtet | |
| Henrique eigentlich nur mit der Handkamera. Wie der sich wäscht, wie er | |
| geht, wie er ratlos herumsitzt. Und dann irgendwann den Wald einfach wieder | |
| verlässt. | |
| Vielleicht ist das ja die Neue Portugiesische Schule: Ein Kino der | |
| Unaufgeregtheiten. Der portugiesische Film „Ordinary Time“ von Susana Nobre | |
| ist in dieser Hinsicht sogar noch radikaler. Marta und Pedro bekommen ihr | |
| erstes Kind. Ihr Leben müsste nun eigentlich Kopf stehen. Stattdessen geht | |
| alles weiter wie bisher, nur jetzt halt mit Kind und Milchpumpe. Die beiden | |
| chillen einfach, obwohl sie auch durchdrehen könnten. Man sollte von ihnen | |
| lernen in diesen Zeiten. | |
| 7 Feb 2021 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
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