# taz.de -- Vermissten-Zettel und roter Schnee: Feinstoffliche Verbindung | |
> Die Menschen sind über Grenzen und Kontinente hinweg miteinander | |
> verbunden. Deutlich wird das vor allem in Zeiten der Not. | |
Bild: Von Saharastaub orange eingefärbt: Himmel in Bramois in der Schweiz am 6… | |
Jetzt, da der Schnee getaut ist, hoffe ich, dass Bambam lebt. „Bambam ist | |
zugeschneit worden“. In der Nacht, in der viel Schnee fiel, war er | |
verschwunden. Ein Kater, ein bisschen getigert, etwas gefleckt. Bambam ist | |
fort. Ein Zettel mit seinem Foto hing in der Straße, in der er fehlte, an | |
jedem Laternenpfahl: „Wir glauben, dass er irgendwo eingeschneit wurde und | |
nicht mehr raus kann. Bitte schauen Sie in Ihre Keller und Garagen. Bitte | |
schaufeln Sie den Schnee unter ihren Autos frei. Er ist ein großer und | |
scheuer Kater. Wir machen uns sehr viele Sorgen.“ | |
Ich schaute beklommen auf Bambams Bild und den Schnee. Wo war Bambam jetzt? | |
War er eingesperrt und hatte Hunger? Was deckte der Schnee zu? Würde | |
darunter ein erfrorener Kater auftauchen, wenn es taute? | |
Ich dachte an die Familie, die ihn vermisste. Die wahrscheinlich jetzt die | |
Straßen ablief und in Hinterhöfe schaute. Es ist schwer, zur Ruhe zu | |
kommen, wenn etwas Grundsätzliches fehlt. Der Schnee hielt etwas verborgen. | |
Und gleichzeitig machte er auch etwas sichtbar. | |
In manchen Teilen des Landes war der Schnee rötlich gefärbt gewesen. Die | |
Menschen hatten sich gewundert – roter Schnee – es hatte fast apokalyptisch | |
angemutet. Bis die Nachricht kam, dass es Wüstensand aus der Sahara war, | |
der sich mit den Schneeflocken verbunden hatte. Er war in der Wüste | |
aufgewirbelt und durch Winde bis nach Mitteleuropa gebracht worden. | |
Saharaschnee: Was für ein Bild dafür, dass alles miteinander verbunden ist. | |
Der rote Schnee machte deutlich, was wir sonst nicht direkt wahrnehmen. | |
Dass sich etwas Feinstoffliches über Länder und Kontinente hinweg zieht. So | |
sehr man Grenzen schließen und sich gegen Viren und Kriege abschotten mag – | |
es ist doch nicht möglich. Letztlich überträgt sich in der Atmosphäre immer | |
etwas, was uns alle betrifft. Uns verbindet auf eine manchmal deutliche, | |
manchmal unbestimmte Weise das Leid. In der Not besinnen wir uns darauf, | |
rücken zusammen oder hoffen zumindest, dass uns die anderen helfen. | |
Es rührte mich, wie überall um Bambams Revier an diesen schneeverwehten | |
Tagen die Zettel hingen. Wie die Familie hoffte, dass andere mit ihnen für | |
ihren Kater achtsam wären und unter ihren Autos gruben. Wenn Menschen etwas | |
vermissen, hängen sie noch immer, wie seit Jahrhunderten schon, Zettel auf. | |
Wenn sie nicht mehr weiterkommen, hoffen sie auf die Augen und Herzen ihrer | |
Nächsten. | |
Ich lese mir immer diese Vermissten-Zettel durch. Sie erzählen so viel von | |
der Liebe der Menschen. Was ihnen wichtig ist und wie verletzlich sie | |
dadurch sind. Ich hoffe dann, dass ich eine vermisste Katze einmal finde, | |
dass mir etwas aufgefallen ist. Auch bei Bambam suchte ich innerlich die | |
Straße mit meinen Augen ab. Doch nach ein paar Stunden hatte ich ihn wieder | |
vergessen. Nur wer sich direkt sorgt, sucht lange. | |
In diesen Februartagen denke ich auch an Liam. Vor drei Jahren im Februar | |
war er an einem Junggesellenabschied auf dem Kiez verschwunden. Er kam aus | |
Schottland und hatte mit seinem Bruder und anderen auf der Reeperbahn | |
gefeiert. In der Nacht war er verschwunden. | |
Seine Familie aus Schottland hatte Hunderttausende Zettel in Hamburg | |
aufgehängt. Sein lächelndes Gesicht war einem überall vor Augen. Viele | |
sprachen darüber. Die schottische Familie hoffte bis zuletzt, dass ihn | |
jemand gesehen hatte, dass es Hinweise gab. Zehn Wochen später entdeckte | |
ein Passant in der Hafencity einen leblosen Körper in der Elbe. Es war | |
Liam. Sein Schicksal bewegte viele. Er war über Monate in der Stadt präsent | |
gewesen. | |
Auch seitdem denke ich, wie gut es ist, dass die Menschen Zettel aufhängen. | |
Selbst wenn man nicht helfen kann, wird einem so die Situation der anderen | |
bewusst: Wie wichtig es ist, auf andere Menschen und Tiere mit aufzupassen, | |
auch schon, bevor sie verloren gehen. | |
Wo ist Bambam? Ob er wohl wieder aus dem Schnee aufgetaucht ist? Noch nie | |
habe ich einen Zettel gesehen, auf dem jemand, der gesucht hatte, davon | |
schrieb, wie die Suche ausgegangen ist. Das würde mich freuen. Denn mit | |
jedem Zettel werden wir stärker in das eingebunden, mit dem wir längst | |
schon verbunden sind. | |
21 Feb 2021 | |
## AUTOREN | |
Christa Pfafferott | |
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