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# taz.de -- Bedrückende Coronanews: Zeit für eine Nachrichtendiät
> Lagerfeuer und Glühwein helfen gegen negative Gedanken in Zeiten von
> Corona. Und spazieren, spazieren und spazieren.
Bild: Am Lagerfeuer in eine Decke einmummeln, Glühwein trinken und lachen
Ich stehe am Bahnsteig und sehe zu, wie meine Freunde mit ihren Fahrrädern
aus dem Zug herausquellen. Die Waggons sind übervoll, Leute stürzen noch
mit ihren Rädern heraus, während der Zug schon anfährt. Andere eilen zu
Hilfe, ich beobachte nur und wundere mich etwas.
Seit einigen Wochen träume ich schräge Sachen. Ich war zum Beispiel in
einem Kaufhaus, alle trugen Masken. Meine beiden großen Söhne schoben einen
Einkaufswagen, es sah aus, als ob sie viel einkaufen wollten.
Neulich beim Online-Yoga hatte ich plötzlich auch Visionen, eigentlich eher
ganz starke Empfindungen. Ich stellte mir vor, wie ich wieder in einer
Kneipe sitzen würde, dicht an dicht mit anderen Menschen, laute Musik, alle
ohne Masken. Ich würde plötzlich wieder Menschen riechen: ihr
aufdringliches Parfum oder Deo, kalten Rauch oder Schweiß. Ich würde viele
fremde Menschen ansehen, plötzlich wieder ihre ganze Mimik erkennen. Und
nicht nur versuchen in ihren Augen zu lesen, ob sie gerade fröhlich,
deprimiert, gleichgültig oder gestresst sind.
Lange Zeit dachte ich, Corona macht nichts mit mir, also nichts Negatives.
Ich freue mich über das Arbeiten zu Hause und habe mich daran gewöhnt,
meine Familie den ganzen Tag zu sehen, besser gesagt zu hören. Sie
telefonieren stundenlang in ihren Zimmern. Mittags treffen wir uns dann in
unserer „Kantine“.
## Zu viele Mutanten unterwegs
Am Abend haben mich die Nachrichten erschreckt. Nicht wegen der
Coronazahlen, die sinken ja. Aber dieses ständige Betonen, dass der
mutierte Virus viel ansteckender sei. Es klingt plötzlich so, als ob die
Impfstoffe vielleicht doch nicht gegen die immer mehr werdenden Varianten
helfen würden. Oder als ob, wenn nicht schnell genug geimpft wird, zu viele
Mutanten unterwegs sind, die dann wieder die nächste Welle hervorrufen. Der
Streit mit den Firmen, die nicht genug liefern. Portugal, das in der ersten
Welle so leicht durch die Krise schwebte und nun mit einem Mal so zu
kämpfen hat.
Ich muss heute wieder spazieren gehen, das hilft gegen alles. Früher habe
ich viele Menschen im Zug getroffen, wenn wir gemeinsam nach Berlin zur
Arbeit gefahren sind. Ich vermisse es, im Zug zu sitzen und zu plaudern.
Auf diesem Weg sind schon viele Freundschaften entstanden. Eine gemeinsame
Fahrt von einer halben Stunde, man schaut sich an oder guckt aus dem
Fenster.
Geschichten über die Arbeit, über die Diskussionen mit heranwachsenden
Kindern oder über die Vor- und Nachteile der staatlichen und privaten
Schulen. Jetzt gehen wir ein oder zwei Stunden spazieren und erzählen uns
vom Leben in dieser seltsamen Zeit.
## Ich will ans Meer!
Ich will nichts Negatives denken. Ich will positiv in die Zukunft sehen.
Ich will meine Eltern bald wieder besuchen, ich will das Familienfest im
Mai planen, ich will ans Meer in den Sommerferien! Und ich möchte wieder
mit Freunden essen gehen, Konzerte hören und an der Bar stehen.
Vielleicht sollte ich mal eine Nachrichtendiät machen in den nächsten
Tagen. Weniger von dem reinziehen, was mich runterzieht. Vor dem Fenster
sehe ich den Nachbarn mit seinem Minitraktor vorbeifahren. Es schneit, die
Schneeflocken fallen weich auf unsere unbefestigte Straße. Der Traktor hat
ziemlich Tempo drauf und zieht hinter sich vier Schlitten mit Kindern und
Erwachsenen. In den Schlaglöchern hüpfen die Schlitten, die Kinder
kreischen und die Erwachsenen filmen.
Eine Freundin hat mir eben eine Einladung für heute Abend geschickt.
Lagerfeuer und Glühwein. Mich in eine warme Decke einmummeln, neue
Geschichten hören, lachen, trinken und abends nach Rauch riechend in mein
Bett sinken. Mal sehen, was ich heute Nacht träume.
11 Feb 2021
## AUTOREN
Elke Eckert
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