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# taz.de -- Gebühren für die Unterkunft: Wucherpreise für Geflüchtete
> Für einen Schlafplatz verlangt die Stadt Hemmingen 930 Euro. Dahinter
> steckt ein Problem, auf das der Flüchtlingsrat schon lange aufmerksam
> macht.
Bild: Selbst für karge Unterkünfte werden horrende Gebühren verlangt
Hannover taz | Das Zimmer hat weniger als zwanzig Quadratmeter und ist nur
mit dem Nötigsten ausgestattet. Zwei Betten stehen darin. Für jedes
einzelne davon verlangt die Stadt 930 Euro. Umgerechnet auf den
Quadratmeter wären das stolze 93 Euro. Und nein, die Rede ist nicht von
einem WG-Zimmer in London. Sondern von einer Gewerbeimmobilie im
niedersächsischen Hemmingen-Westerfeld, für die es eine Sondergenehmigung
brauchte, um dort überhaupt Menschen unterbringen zu dürfen.
„Die Familien mit Kindern und Frauen, die gesondert im dritten Stock
untergebracht sind, müssen zum Duschen in den Keller“, erzählt Muzaffer
Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen.
Dem ist jetzt der Kragen geplatzt, weil die Stadt Hemmingen nun gerade
wieder Mahnbescheide verschickt hat. Auf mehr als 3.800 Eurobelief sich
einer. Das sei ein Versehen gewesen, ruderte die Stadt sofort zurück.
Corona, die Überlastung, abgezogenes Fachpersonal.
Am Grundproblem ändert sich dadurch allerdings wenig: Schon im vergangenen
Jahr hatte die Stadt in einem anderen Fall einmal auf ausstehende Gebühren
verzichtet – weil der Betreffende klagte und man wohl ahnte, dass es
schwierig werden könnte, mit dieser Gebührenhöhe beim Gericht
durchzukommen. Eine Überarbeitung der Gebührenordnung hatte die Stadt schon
Ende 2019 versprochen. Passiert ist immer noch nichts.
## Die Kommunen versuchen, die Baukosten wieder reinzuholen
Das Grundproblem: Die Kommunen versuchen die Kosten für die
Flüchtlingsunterkünfte wieder reinzuholen. Vom Kommunalabgabengesetz sind
sie angehalten, die Kosten nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu
ermitteln und die Benutzungsgebühren entsprechend zu kalkulieren. Das gilt
für Unterkünfte für Geflüchtete wie für Obdachlose gleichermaßen.
Allerdings: Weil nach 2015 viele Kommunen in Not waren, rasch
Unterbringungsplätze aus dem Boden zu stampfen, wurde oft sehr teuer
gebaut, gekauft und gemietet. Jetzt versuchten die Städte, diese
Investitionen auch noch kurzfristiger abzuschreiben als gewöhnlich,
kritisiert der Flüchtlingsrat. Sie strecken die Kosten auf nur zehn statt
wie sonst dreißig Jahre.
Das ist im Grunde auch der Versuch, sich die Kosten vom Bund zurückzuholen.
Denn in den allermeisten Fällen zahlen ja zunächst einmal die
Sozialbehörden, in der Regel das Jobcenter, für die Unterkünfte.
Und bei Gebühren, die im Rahmen einer staatlichen Zuweisung entstehen (also
weil der Bund die Geflüchteten auf die Kommunen verteilt), tun sie das auch
noch viel großzügiger, als sie es bei privaten Mietverhältnissen je tun
würden.
## Arbeiten rechnet sich plötzlich nicht mehr
Zum Problem wird das aber, wenn die betreffenden Geflüchteten anfangen zu
arbeiten und über ein eigenes Einkommen verfügen – dann müssen sie die
horrenden Gebühren plötzlich selbst berappen.
Und weil es meist dauert, bis die Aufnahme des Beschäftigungsverhältnisses
registriert und die Gebührenbescheide erstellt wurden, läppert sich das
schnell auf Summen, die den – meist zum Mindestlohn beschäftigten –
Geflüchteten irrwitzig erscheinen müssen. Und letztlich dazu führen, dass
es sich für sie eigentlich nicht rechnet zu arbeiten.
Der Flüchtlingsrat hält das auch deshalb für „sittenwidrig“, weil die
meisten der Betroffenen ja kaum eine Wahl haben: Teilweise dürfen sie nicht
wegziehen, und selbst wenn sie dürften und wollten, haben sie auf dem
freien Wohnungsmarkt kaum eine Chance.
Nun gibt es durchaus Städte, die von strikt kostendeckenden Gebühren
absehen – entweder weil sie die Kosten anders kalkulieren, eine soziale
Staffelung in ihre Gebührensatzungen einbauen oder bei bestimmten Gruppen
ganz auf Zahlungen verzichten. Das ist in der Abgabenordnung auch
ausdrücklich als Möglichkeit vorgesehen.
## Andere Lösungen wären möglich – die nutzt aber nicht jeder
Welche Kommune es wie mache, sei aber maximal intransparent und
undurchschaubar, kritisiert der Flüchtlingsrat. Neben den hohen Bau- und
Einrichtungskosten veranschlagen manche auch noch die Kosten für
Sozialarbeit und Sicherheitsdienst, andere beschränken sich auf die
laufenden Betriebskosten der Einrichtung.
„Weil das Sache der Kommunen ist, hat auch niemand einen Überblick“, klagt
Öztürkyilmaz. „Aber die Preisspannen sind enorm: Von maximal 180 Euro in
Harburg bis 930 Euro in Hemmingen.“
Schon vor zwei Jahren hat der Flüchtlingsrat eine Fachtagung zum Thema
veranstaltet und seither eine Reihe von Einzelfällen betreut, die
gerichtlich mit mal größerem, mal kleinerem Erfolg gegen überzogene
Gebührenbescheide vorgegangen sind. An der Ausgangslage hat sich aber
dadurch nichts geändert.
Die Stadt Hemmingen sagt, sie habe erst einmal alle Gebührenbescheide und
Mahnverfahren auf Eis gelegt. Man will die neue Gebührenordnung abwarten.
Die verzögert sich allerdings, weil die pandemiegeplagte Verwaltung gerade
mit anderen Dingen befasst ist. Immerhin: Es sei nicht geplant, die in der
Zwischenzeit auflaufenden Gebührenforderungen nachträglich einzutreiben,
sagt ein Mitarbeiter der Stadt auf taz-Nachfrage.
Die Tage der Gemeinschaftsunterkunft im Gewerbegebiet sind ohnehin gezählt,
2022 läuft die Sondergenehmigung endgültig aus. Die Stadt sucht
händeringend nach Privatwohnungen für die Geflüchteten. Bisher mit mäßigem
Erfolg.
13 Feb 2021
## AUTOREN
Nadine Conti
## TAGS
Niedersachsen
Flüchtlingsrat
Unterbringung von Geflüchteten
Geflüchtete
Sozialwohnungen
Integration
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