| # taz.de -- Baudenkmal in Berlin: Funkstille an der Regattastrecke | |
| > Ein Spekulant lässt das denkmalgeschützte Funkhaus Grünau verfallen. | |
| > Aktivist*innen wollen es übernehmen und den Eigentümer dafür gern | |
| > enteignen. | |
| Bild: Früher Radio, bald Seenotrettungstraining? Das ehemalige Funkhaus Grünau | |
| BERLIN taz | In dem seit mehr als zehn Jahren verfallenen Baudenkmal | |
| Funkhaus Grünau in der Regattastraße könnte schon bald neues Leben | |
| einziehen, zumindest wenn es nach einer [1][Gruppe Berliner | |
| Aktivist*innen] geht. Diese haben ein [2][Konzept für eine Begegnungs- | |
| und Bildungsstätte für zivilgesellschaftliches Engagement] entwickelt. | |
| Angedacht ist ein Trainingscenter der Seenotrettungsorganisation Sea-Watch, | |
| um Crews ihrer und anderer Schiffe auf Einsätze an den europäischen | |
| Außengrenzen vorzubereiten. Auch soll hier die Segelschule des | |
| FLINT*-Segelvereins Krakenkollektiv ihren Sitz finden mit Liegeplätzen für | |
| Schulungsboote. Zum Konzept gehören darüber hinaus öffentlich nutzbare | |
| Werkstätten und ein Hackerspace, in dem Open-Source-Lösungen etwa für | |
| humanitäre Einsätze von Drohnen für die Seennotrettung oder Elemente für | |
| mobile Kliniken entwickelt werden. | |
| Eine zehnköpfige Gruppe aus Aktivist*innen bekannter humanitärer | |
| Organisationen hat die Ideen entwickelt und möchte dafür das Gebäude „dem | |
| privaten Immobilien- und Spekulationsmarkt entziehen“. Möglich machen soll | |
| das eine nicht-kommerziell organisierte Beteiligungsgesellschaft zum | |
| gemeinschaftlichen Erwerb des Hauses mithilfe einer gemeinnützigen | |
| Stiftung. | |
| Unterstützung für die Idee kommt von dem Linken-Bundestagsabgeordneten | |
| Gregor Gysi und dem SPD-Abgeordnetenhausmitglied Robert Schaddach sowie von | |
| zwei Ortsvereinen. Schaddach möchte das Funkhaus daher enteignen lassen. | |
| Denn der Umsetzung des Plans stehen aus Sicht der Aktivist*innen und | |
| ihrer Unterstützer*innen zwei verantwortliche Akteure im Weg: der | |
| wenig aktive Bezirk Treptow-Köpenick samt seiner Denkmalschutzbehörde und | |
| der derzeitige auf Profitmaximierung getrimmte Eigentümer. | |
| ## Eigentümer macht nichts | |
| Das Ende der 1920er Jahre errichtete Funkhaus im Stil der Moderne diente | |
| ursprünglich als Boothaus und ist auch heute noch zwingend für eine | |
| wassersportliche Nutzung vorgesehen. Zu DDR-Zeiten waren hier erst eine | |
| Rundfunkschule und der Berliner Rundfunk untergebracht, später die | |
| Unterhaltungsredaktion des Deutschen Fernsehfunks und das Fernsehballet. | |
| Der vierstöckige Backsteinbau mit seiner Klinkerfassade war bis 2008 in | |
| einem „guten Zustand“, sagt Nils Schulze, der sich in den | |
| Anwohnerinitiativen Ortsverein Grünau und Zukunft in Grünau engagiert. | |
| Dann allerdings ersteigerte die Erste Hanseatische Projektmanagement GmbH | |
| (EHP) das Gebäude für 650.000 Euro. Die EHP gehört zum Firmengeflecht des | |
| Hamburger Geschäftsmanns und Professors Thomas Matzen. Heute soll die | |
| ebenfalls mit Matzen verbundene Laho Landart GmbH Eigentümerin sein. | |
| Seitdem ist bis auf eine kurzzeitige künstlerische Zwischennutzung nichts | |
| passiert. | |
| „Jetzt ist fast alles kaputt“, sagt Schulze: Im Gasheizungskeller soll | |
| Wasser stehen, aus dem Dach wachsen Bäume, es gibt Vandalismusschäden. Das | |
| bestätigt auch Schaddach, der für den Bezirk im Abgeordnetenhaus sitzt. Der | |
| Bezirk aber vermeldete im November: „Erhebliche substanzbedrohende Mängel | |
| konnten nicht festgestellt werden.“ Schaddach sagt, dass die Substanz des | |
| massiven Hauses vielleicht nicht gefährdet sei, dennoch sei nichts für den | |
| Erhalt getan worden. Er sagt: „Eigentum verpflichtet ja auch.“ | |
| Ende Januar hat der SPD-Politiker deshalb an das Bezirksamt einen Antrag | |
| auf Enteignung nach Paragraf 17 des Berliner Denkmalschutzgesetzes | |
| gestellt. Schaddach geht davon aus, dass „mit dem jetzigen Eigentümer keine | |
| Aussicht auf die gebotene Revitalisierung und Restaurierung im Sinne des | |
| Denkmalschutzes“ besteht und dass der Untergang des Denkmals für diesen gar | |
| ein „wirtschaftlich willkommenes Ereignis“ darstellen könnte. | |
| ## Enteignung nur unter bestimmten Bedingungen möglich | |
| Der Weg bis zur Enteignung ist allerdings voraussetzungsvoll: Zunächst | |
| müsste die Denkmalschutzbehörde Anordnungen zur Wiederherstellung erlassen. | |
| Das ginge aber auch erst, wenn der Eigentümer zuvor angeordnete | |
| Sicherungsmaßnahmen nicht vornehme. | |
| Würden diese missachtet, kann sie selbst tätig werden und die Maßnahmen dem | |
| Eigentümer in Rechnung stellen. Kommt er dafür nicht auf, wäre eine | |
| Enteignung gegen Entschädigung möglich. Bezirksbaustadtrat Rainer Hölmer | |
| (SPD) weist auf taz-Anfrage darauf hin, dass vor einer Enteignung „alle | |
| milderen Mittel inklusive freihändiger Kaufverhandlungen auszuschöpfen“ | |
| seien. Die Voraussetzungen dafür seien „nicht ansatzweise erfüllt“. | |
| Was die Hamburger Eigentümer vorhaben, weiß Hölmer nicht: Es habe zwar in | |
| den vergangenen Wochen „mehrere Bauberatungsgespräche zu den planungs- und | |
| denkmalrechtlichen Anforderungen“ gegeben, aber ob damit eine „konkrete | |
| Realisierungsabsicht“ verbunden sei, könne das Amt „nicht prognostizieren�… | |
| Ein Bauantrag wurde in den zwölf Jahren seit Erwerb nicht gestellt. 2017 | |
| äußerte der damalige EHP-Geschäftsführer gegenüber Radio Eins die Idee, das | |
| Objekt für „betreutes Wohnen“ herzurichten. Dies allerdings ist laut | |
| Bebauungsplan nicht zulässig. Auf eine Anfrage der taz, welche Pläne sie | |
| derzeit verfolgen, reagierte in Hamburg niemand. | |
| ## Spekulationsfrist ist abgelaufen | |
| Auch der Treptow-Köpenicker Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi, der für die | |
| Aktivist*innen mit den Eigentümern ins Gespräch zu kommen versucht, | |
| hatte bislang keinen Erfolg: „Tatsächlich hatte ich mich an den Eigentümer | |
| gewandt, der aber erstaunlicherweise oder nicht erstaunlicherweise bisher | |
| nicht geantwortet hat. Das ist mir sonst noch nicht passiert“, sagte Gysi | |
| zur taz. | |
| Ortsaktivist Schulze und SPD-Mann Schaddach berichten übereinstimmend von | |
| Kaufverhandlungen, die kürzlich ein lokaler Interessent in Hamburg führte. | |
| Dabei soll eine Forderung von 10 Millionen Euro im Raum gestanden haben, | |
| das 15-Fache des ursprünglichen Kaufpreises. | |
| Für den Interessenten wie für die Aktivst*innen liegt dieser Betrag | |
| jenseits von Gut und Böse. Mehr als zehn Jahre nach dem Kauf ist auch die | |
| Spekulationsfrist abgelaufen, bei einem Verkauf müsste der Gewinn nicht | |
| mehr versteuert werden. | |
| Schulze und Schaddach fühlen sich an die benachbarten Ausflugslokale | |
| „Riviera“ und „Gesellschaftshaus“ ganz in der Nähe erinnert, die ein | |
| Spekulant ebenfalls günstig kaufte, mehr als ein Jahrzehnt verfallen ließ, | |
| dann für 15 Millionen Euro verkaufte und die nun zu einer | |
| Luxus-Seniorenunterkunft werden. | |
| ## Zwölf Jahre Stillstand | |
| Die taz [3][schrieb 2019 über den Fall] als „ein Lehrstück darüber, wie | |
| Berlin Investoren einen roten Teppich ausrollt. Und wie ein Spekulant | |
| seinen Reibach macht, weil der Bezirk nicht ins Risiko gehen will, sondern | |
| den Weg des geringsten Widerstands geht“. Auch damals sei der | |
| „Denkmalschutz nicht durchgesetzt“ worden, sagt Schulze. Schaddach spricht | |
| von einer „schlecht aufgestellte Behörde“, die schlussendlich gar | |
| [4][darauf verzichtete den vollständigen Erhalt der Denkmäler zu fordern]. | |
| Berlins oberster Denkmalschützer, Landeskonservator Christoph Rauhut, | |
| bezeichnet das Funkhaus gegenüber der taz als ein „herausragendes bauliches | |
| Zeugnis aus den 1920er Jahren“, dessen Zustand sich, etwa weil es nicht | |
| geheizt werde, „kontinuierlich verschlechtert“. Die untere | |
| Denkmalschutzbehörde und das Landesdenkmalamt würden das Gebäude aber | |
| mindestens einmal jährlich begehen. | |
| Der Eigentümer sei bislang „allen Aufforderungen nach Sicherungsmaßnahmen | |
| nachgekommen“. Erst kürzlich seien die Fenster mit Holz abgedichtet worden. | |
| Solange dies der Fall ist, hätten die Behörden keine Möglichkeit, | |
| Anordnungen zu einer Wiederherstellung zu erlassen, sagt Rauhut. Dennoch | |
| wünsche er sich für das Objekt einen Eigentümer, der es „mit entsprechender | |
| Liebe behandelt“. | |
| Im „Worst Case“ ist es laut Rauhut möglich, dass der Stillstand der | |
| vergangenen zwölf Jahre noch lange weitergeht. Doch die Aktivist*innen | |
| und ihre Unterstützer*innen werden ungeduldiger und wünschen sich | |
| einen energischer auftretenden Bezirk. Sie hoffen, dass ihr Druck womöglich | |
| doch noch ihre Utopie ermöglichen kann. | |
| 12 Feb 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/funky4all | |
| [2] http://funkhaus-fuer-alle.de/ | |
| [3] /Ausflugsziel-weicht-Seniorenresidenz/!5584638 | |
| [4] /Abriss-in-Gruenau/!5621199 | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
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